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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 5. Der Rechtsstaat.
gleich den Gerichten dem Gesetze zu unterwerfen,
das ist es, was einzig als Abhülfe vorschwebt. Damit verbindet
sich nun die mächtige Bewegung auf Anerkennung der Volks-
souveränetät,
die in Rousseau ihren feurigsten Verkünder ge-
funden hat. Die Form, in welcher das Volk seine oberste Gewalt
ausübt, soll gerade darin bestehen, dass es die Gesetze macht, d. h.
allgemeine Regeln, welche nun alle Beamten des Staates gleichmässig
verbinden, richterliche und andere, das Staatsoberhaupt selbst mit
eingeschlossen: sie haben sämtlich nur thätig zu werden selon la
direction de la volonte generale d. h. gemäss dem Gesetz6.

Bald haben die Verfassungen der Revolutionszeit freie Bahn, um alle
Ideale zu verwirklichen. Die Rechtsgestalt, welche der öffentlichen Ge-
walt hier gegeben wird und die grundlegend geworden ist für die ganze
weitere Entwicklung auch ausserhalb Frankreichs, entspricht nicht den
Formeln, in welche Rousseau sie gefasst hatte. Von Montesquieu wird das
Schlagwort der Trennung der Gewalten entlehnt, die Drei-
teilung derselben und die Bezeichnung als pouvoir legislatif, judiciaire
und executif. Doch sind es auch seine Theorien nicht, die unter
diesen Namen schlechthin verwirklicht worden wären. Man weiss,
welche bedeutsame Rolle in jenen verfassunggebenden Versammlungen
von Anfang an die zahlreichen Advokaten gespielt haben. Der Stand
der praktischen Juristen, welche die Welt von den Schranken des
Gerichts aus zu betrachten gewohnt sind, hat den leitenden Ideen,
indem er ihnen zur festen Gestalt des Rechtes verhalf, das Gepräge
seiner Neigungen und Anschauungen aufgedrückt. Es wäre ver-
wunderlich, wenn es nicht so wäre. Die Namen pouvoir legislatif,
judiciaire und executif erinnern an die gewohnte Gliederung der
Justiz in Gesetz, Urteil und Exekution. So ist die Verteilung der
Gewalten allerdings nicht ganz gemeint, noch weniger aber eine
Trennung mit völliger Gleichwertigkeit.

Die Hauptsache und worauf es in erster Linie ankam, ist die
Herrschaft des Gesetzes. Es wird verwirklicht, was in den
Kämpfen der alten Parlamente so schwer vermisst worden war. Das

6 Rousseau, contrat social l. II cap. VI: "j'appelle donc republique tout etat
regi par des lois". -- 1. III cap. I: "Qu'est-ce donc le gouvernement? Un corps
intermediaire charge de l'execution des lois". cap. X: "le cas de la dissolution de
l'etat peut arriver ... quand le prince n'administre plus l'etat selon les lois;
... le despote est celui qui se met au dessus des lois". Diese Sätze sind geradezu
auf die französische Verwaltung gemünzt, nur dass noch der Grundsatz der Volks-
souveränetät hinzukommt, wonach auch la loi selbst künftig anders zu stande
kommen soll, als bisher.

§ 5. Der Rechtsstaat.
gleich den Gerichten dem Gesetze zu unterwerfen,
das ist es, was einzig als Abhülfe vorschwebt. Damit verbindet
sich nun die mächtige Bewegung auf Anerkennung der Volks-
souveränetät,
die in Rousseau ihren feurigsten Verkünder ge-
funden hat. Die Form, in welcher das Volk seine oberste Gewalt
ausübt, soll gerade darin bestehen, daſs es die Gesetze macht, d. h.
allgemeine Regeln, welche nun alle Beamten des Staates gleichmäſsig
verbinden, richterliche und andere, das Staatsoberhaupt selbst mit
eingeschlossen: sie haben sämtlich nur thätig zu werden selon la
direction de la volonté générale d. h. gemäſs dem Gesetz6.

Bald haben die Verfassungen der Revolutionszeit freie Bahn, um alle
Ideale zu verwirklichen. Die Rechtsgestalt, welche der öffentlichen Ge-
walt hier gegeben wird und die grundlegend geworden ist für die ganze
weitere Entwicklung auch auſserhalb Frankreichs, entspricht nicht den
Formeln, in welche Rousseau sie gefaſst hatte. Von Montesquieu wird das
Schlagwort der Trennung der Gewalten entlehnt, die Drei-
teilung derselben und die Bezeichnung als pouvoir législatif, judiciaire
und exécutif. Doch sind es auch seine Theorien nicht, die unter
diesen Namen schlechthin verwirklicht worden wären. Man weiſs,
welche bedeutsame Rolle in jenen verfassunggebenden Versammlungen
von Anfang an die zahlreichen Advokaten gespielt haben. Der Stand
der praktischen Juristen, welche die Welt von den Schranken des
Gerichts aus zu betrachten gewohnt sind, hat den leitenden Ideen,
indem er ihnen zur festen Gestalt des Rechtes verhalf, das Gepräge
seiner Neigungen und Anschauungen aufgedrückt. Es wäre ver-
wunderlich, wenn es nicht so wäre. Die Namen pouvoir législatif,
judiciaire und exécutif erinnern an die gewohnte Gliederung der
Justiz in Gesetz, Urteil und Exekution. So ist die Verteilung der
Gewalten allerdings nicht ganz gemeint, noch weniger aber eine
Trennung mit völliger Gleichwertigkeit.

Die Hauptsache und worauf es in erster Linie ankam, ist die
Herrschaft des Gesetzes. Es wird verwirklicht, was in den
Kämpfen der alten Parlamente so schwer vermiſst worden war. Das

6 Rousseau, contrat social l. II cap. VI: „j’appelle donc république tout état
régi par des lois“. — 1. III cap. I: „Qu’est-ce donc le gouvernement? Un corps
intermédiaire chargé de l’exécution des lois“. cap. X: „le cas de la dissolution de
l’état peut arriver … quand le prince n’administre plus l’état selon les lois;
… le despote est celui qui se met au dessus des lois“. Diese Sätze sind geradezu
auf die französische Verwaltung gemünzt, nur daſs noch der Grundsatz der Volks-
souveränetät hinzukommt, wonach auch la loi selbst künftig anders zu stande
kommen soll, als bisher.
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[57/0077] § 5. Der Rechtsstaat. gleich den Gerichten dem Gesetze zu unterwerfen, das ist es, was einzig als Abhülfe vorschwebt. Damit verbindet sich nun die mächtige Bewegung auf Anerkennung der Volks- souveränetät, die in Rousseau ihren feurigsten Verkünder ge- funden hat. Die Form, in welcher das Volk seine oberste Gewalt ausübt, soll gerade darin bestehen, daſs es die Gesetze macht, d. h. allgemeine Regeln, welche nun alle Beamten des Staates gleichmäſsig verbinden, richterliche und andere, das Staatsoberhaupt selbst mit eingeschlossen: sie haben sämtlich nur thätig zu werden selon la direction de la volonté générale d. h. gemäſs dem Gesetz 6. Bald haben die Verfassungen der Revolutionszeit freie Bahn, um alle Ideale zu verwirklichen. Die Rechtsgestalt, welche der öffentlichen Ge- walt hier gegeben wird und die grundlegend geworden ist für die ganze weitere Entwicklung auch auſserhalb Frankreichs, entspricht nicht den Formeln, in welche Rousseau sie gefaſst hatte. Von Montesquieu wird das Schlagwort der Trennung der Gewalten entlehnt, die Drei- teilung derselben und die Bezeichnung als pouvoir législatif, judiciaire und exécutif. Doch sind es auch seine Theorien nicht, die unter diesen Namen schlechthin verwirklicht worden wären. Man weiſs, welche bedeutsame Rolle in jenen verfassunggebenden Versammlungen von Anfang an die zahlreichen Advokaten gespielt haben. Der Stand der praktischen Juristen, welche die Welt von den Schranken des Gerichts aus zu betrachten gewohnt sind, hat den leitenden Ideen, indem er ihnen zur festen Gestalt des Rechtes verhalf, das Gepräge seiner Neigungen und Anschauungen aufgedrückt. Es wäre ver- wunderlich, wenn es nicht so wäre. Die Namen pouvoir législatif, judiciaire und exécutif erinnern an die gewohnte Gliederung der Justiz in Gesetz, Urteil und Exekution. So ist die Verteilung der Gewalten allerdings nicht ganz gemeint, noch weniger aber eine Trennung mit völliger Gleichwertigkeit. Die Hauptsache und worauf es in erster Linie ankam, ist die Herrschaft des Gesetzes. Es wird verwirklicht, was in den Kämpfen der alten Parlamente so schwer vermiſst worden war. Das 6 Rousseau, contrat social l. II cap. VI: „j’appelle donc république tout état régi par des lois“. — 1. III cap. I: „Qu’est-ce donc le gouvernement? Un corps intermédiaire chargé de l’exécution des lois“. cap. X: „le cas de la dissolution de l’état peut arriver … quand le prince n’administre plus l’état selon les lois; … le despote est celui qui se met au dessus des lois“. Diese Sätze sind geradezu auf die französische Verwaltung gemünzt, nur daſs noch der Grundsatz der Volks- souveränetät hinzukommt, wonach auch la loi selbst künftig anders zu stande kommen soll, als bisher.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/77>, abgerufen am 06.05.2024.