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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 4. Der Polizeistaat.
schränkung und den schliesslichen Wegfall der Reichsgerichtsbar-
keit nicht berührt; sie erhält mit der schärferen Ausprägung des
Polizeistaates eine immer wachsende Bedeutung.

2. Für die Frage, ob die Civilgerichte zuständig sind, ist es also
entscheidend, ob der Staat in einem bestimmten Verhältnisse dem
Civilrechte unterliegt;
das bedeutet aber nichts anderes als
die Frage, ob er überhaupt in den Schranken einer Rechtsordnung
stehen soll; denn ausserhalb des Civilrechts giebt es kein Recht. Des-
halb handelt es sich hier um mehr als bloss um eine wissenschaft-
liche Grenzziehung zwischen zwei verschieden gearteten Rechtsge-
bieten. Es ist der Widerstreit zweier mächtiger Ideen, der seinen
Ausgleich finden soll: der Idee des allgewaltigen Staates, die sich
eben erst durch Zerstörung der Grenzen der Hoheitsrechte bewährt
hat, und der Idee des Rechts, welche darauf angewiesen ist, die
einzige ihr zu Gebote stehende Form für Recht und Rechtsordnung
möglichst weit vorwärts zu tragen in die Lebensbeziehungen zwischen
Staat und Unterthan hinein.

Die Lösung hat der Polizeistaat gefunden in jener eigentümlichen
Lehre vom Fiskus, welche in dieser Zeit zur Ausbildung gelangt
und heute noch bei ganz geänderten Voraussetzungen, uneingestanden,
ja meist ausdrücklich verleugnet, die Rechtsanwendung und die Rechts-
lehre unverkennbar beeinflusst.

Für den Begriff des Fiskus hat das römische Recht die Grund-
lagen geliefert. Der Fiskus erschien dort zuletzt als eine juristische
Person neben dem Kaiser, als Träger der dem Staatszwecke dienen-
den Vermögensrechte, ausgestattet mit besonderen Einkünften und
mit Vorzügen in Civilrecht und Prozess16. Das deutsche Staatsrecht
legt bei Übernahme dieses Begriffes zunächst den Schwerpunkt in die
"utilitates", die Vorteile, die damit verbunden sind: auf die jura fisci
kommt es an, die Ansprüche auf Geldstrafen, verwirkte Güter, bona
vacantia, gefundene Schätze u. s. w. Der Fiskus ist eine Kasse, in
welche das fliesst. Ursprünglich hat bloss der Kaiser diese Rechte;
nachher gehen sie auf die Landesherren über: auch sie, "können einen
fiscus haben"; schliesslich besitzen sie die umstrittenen Rechte allein17.

16 Savigny, Syst. II S. 272 ff.; Weiske, Rechtslex. IV S. 297 ff.;
Mommsen, Abriss des röm. St.R. S. 279.
17 Moser, Landeshoh. in Kam.Sachen S. 107: "Fiskus heisst die landesherr-
liche Kasse, darein die Gefälle fliessen, welche der Regent nicht von seinen
Kammer- oder eigentümlichen Gütern, sondern von denen Unterthanen oder auch
der ihnen, nicht als Eigentümern, sondern als Landesherren unterworfenen Erde
oder Wasser, oder auch von Fremden ziehet". Eine Kasse, zu deren Gunsten

§ 4. Der Polizeistaat.
schränkung und den schlieſslichen Wegfall der Reichsgerichtsbar-
keit nicht berührt; sie erhält mit der schärferen Ausprägung des
Polizeistaates eine immer wachsende Bedeutung.

2. Für die Frage, ob die Civilgerichte zuständig sind, ist es also
entscheidend, ob der Staat in einem bestimmten Verhältnisse dem
Civilrechte unterliegt;
das bedeutet aber nichts anderes als
die Frage, ob er überhaupt in den Schranken einer Rechtsordnung
stehen soll; denn auſserhalb des Civilrechts giebt es kein Recht. Des-
halb handelt es sich hier um mehr als bloſs um eine wissenschaft-
liche Grenzziehung zwischen zwei verschieden gearteten Rechtsge-
bieten. Es ist der Widerstreit zweier mächtiger Ideen, der seinen
Ausgleich finden soll: der Idee des allgewaltigen Staates, die sich
eben erst durch Zerstörung der Grenzen der Hoheitsrechte bewährt
hat, und der Idee des Rechts, welche darauf angewiesen ist, die
einzige ihr zu Gebote stehende Form für Recht und Rechtsordnung
möglichst weit vorwärts zu tragen in die Lebensbeziehungen zwischen
Staat und Unterthan hinein.

Die Lösung hat der Polizeistaat gefunden in jener eigentümlichen
Lehre vom Fiskus, welche in dieser Zeit zur Ausbildung gelangt
und heute noch bei ganz geänderten Voraussetzungen, uneingestanden,
ja meist ausdrücklich verleugnet, die Rechtsanwendung und die Rechts-
lehre unverkennbar beeinfluſst.

Für den Begriff des Fiskus hat das römische Recht die Grund-
lagen geliefert. Der Fiskus erschien dort zuletzt als eine juristische
Person neben dem Kaiser, als Träger der dem Staatszwecke dienen-
den Vermögensrechte, ausgestattet mit besonderen Einkünften und
mit Vorzügen in Civilrecht und Prozeſs16. Das deutsche Staatsrecht
legt bei Übernahme dieses Begriffes zunächst den Schwerpunkt in die
„utilitates“, die Vorteile, die damit verbunden sind: auf die jura fisci
kommt es an, die Ansprüche auf Geldstrafen, verwirkte Güter, bona
vacantia, gefundene Schätze u. s. w. Der Fiskus ist eine Kasse, in
welche das flieſst. Ursprünglich hat bloſs der Kaiser diese Rechte;
nachher gehen sie auf die Landesherren über: auch sie, „können einen
fiscus haben“; schlieſslich besitzen sie die umstrittenen Rechte allein17.

16 Savigny, Syst. II S. 272 ff.; Weiske, Rechtslex. IV S. 297 ff.;
Mommsen, Abriſs des röm. St.R. S. 279.
17 Moser, Landeshoh. in Kam.Sachen S. 107: „Fiskus heiſst die landesherr-
liche Kasse, darein die Gefälle flieſsen, welche der Regent nicht von seinen
Kammer- oder eigentümlichen Gütern, sondern von denen Unterthanen oder auch
der ihnen, nicht als Eigentümern, sondern als Landesherren unterworfenen Erde
oder Wasser, oder auch von Fremden ziehet“. Eine Kasse, zu deren Gunsten
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[47/0067] § 4. Der Polizeistaat. schränkung und den schlieſslichen Wegfall der Reichsgerichtsbar- keit nicht berührt; sie erhält mit der schärferen Ausprägung des Polizeistaates eine immer wachsende Bedeutung. 2. Für die Frage, ob die Civilgerichte zuständig sind, ist es also entscheidend, ob der Staat in einem bestimmten Verhältnisse dem Civilrechte unterliegt; das bedeutet aber nichts anderes als die Frage, ob er überhaupt in den Schranken einer Rechtsordnung stehen soll; denn auſserhalb des Civilrechts giebt es kein Recht. Des- halb handelt es sich hier um mehr als bloſs um eine wissenschaft- liche Grenzziehung zwischen zwei verschieden gearteten Rechtsge- bieten. Es ist der Widerstreit zweier mächtiger Ideen, der seinen Ausgleich finden soll: der Idee des allgewaltigen Staates, die sich eben erst durch Zerstörung der Grenzen der Hoheitsrechte bewährt hat, und der Idee des Rechts, welche darauf angewiesen ist, die einzige ihr zu Gebote stehende Form für Recht und Rechtsordnung möglichst weit vorwärts zu tragen in die Lebensbeziehungen zwischen Staat und Unterthan hinein. Die Lösung hat der Polizeistaat gefunden in jener eigentümlichen Lehre vom Fiskus, welche in dieser Zeit zur Ausbildung gelangt und heute noch bei ganz geänderten Voraussetzungen, uneingestanden, ja meist ausdrücklich verleugnet, die Rechtsanwendung und die Rechts- lehre unverkennbar beeinfluſst. Für den Begriff des Fiskus hat das römische Recht die Grund- lagen geliefert. Der Fiskus erschien dort zuletzt als eine juristische Person neben dem Kaiser, als Träger der dem Staatszwecke dienen- den Vermögensrechte, ausgestattet mit besonderen Einkünften und mit Vorzügen in Civilrecht und Prozeſs 16. Das deutsche Staatsrecht legt bei Übernahme dieses Begriffes zunächst den Schwerpunkt in die „utilitates“, die Vorteile, die damit verbunden sind: auf die jura fisci kommt es an, die Ansprüche auf Geldstrafen, verwirkte Güter, bona vacantia, gefundene Schätze u. s. w. Der Fiskus ist eine Kasse, in welche das flieſst. Ursprünglich hat bloſs der Kaiser diese Rechte; nachher gehen sie auf die Landesherren über: auch sie, „können einen fiscus haben“; schlieſslich besitzen sie die umstrittenen Rechte allein 17. 16 Savigny, Syst. II S. 272 ff.; Weiske, Rechtslex. IV S. 297 ff.; Mommsen, Abriſs des röm. St.R. S. 279. 17 Moser, Landeshoh. in Kam.Sachen S. 107: „Fiskus heiſst die landesherr- liche Kasse, darein die Gefälle flieſsen, welche der Regent nicht von seinen Kammer- oder eigentümlichen Gütern, sondern von denen Unterthanen oder auch der ihnen, nicht als Eigentümern, sondern als Landesherren unterworfenen Erde oder Wasser, oder auch von Fremden ziehet“. Eine Kasse, zu deren Gunsten

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/67>, abgerufen am 06.05.2024.