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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Geschichtliche Entwicklungsstufen.

Zu grösserer Gleichmässigkeit und Fülle gelangt diese Landes-
hoheit unter dem Einfluss des Naturrechts. Jene merkwürdige
Strömung, welche Jahrhunderte hindurch die gelehrte Welt beherrscht
mit dem festen Glauben an ein naturgegebenes Recht, das für alle
einzelnen Verhältnisse besteht und das von der Wissenschaft nur zu
erkennen, vom wirklichen Rechte nur durchzuführen ist, bemächtigt
sich vor allem auch dieses Gegenstandes. Die Gelehrten des 16. und
17. Jahrhunderts bereiten der Staatsidee den Weg, indem sie die Auf-
gaben und die Rechte des Fürsten unter den einheitlichen Gesichts-
punkt des Staatszweckes stellen. Der Fürst ist dazu da, die
gemeine Wohlfahrt zu schützen und zu fördern; alle besonderen
Rechte, die ihm zustehen, besitzt er nur zu diesem Zweck. Aber
dafür gilt auch umgekehrt der Satz: wenn etwas nützlich und er-
forderlich ist für die gemeine Wohlfahrt, so muss der Fürst auch das
entsprechende Recht haben, um solches vorkehren zu können. Der
Umfang der Hoheitsrechte bestimmt sich daher aus dem Umfang der
Aufgaben, deren Erfüllung für das Gemeinwesen die Zeit für an-
gemessen hält. Mit dem Anschwellen solcher Aufgaben wachsen auch
die einzelnen Hoheitsrechte, Majestätsrechte, jura majesta-
tis seu regiminis, jura regia seu regalia. Ihre Aufzählung und ge-
schmackvolle Einteilung, immer wieder vermehrt und verbessert,
bildet auf lange Zeit hinaus ein stehendes Stück der Staatsrechtslehre4.

Die Naturrechtslehre sagt damit freilich nur, was sein soll; sie
macht nicht unmittelbar Recht; das wirkliche Recht mag von vorn-
herein mit dem, was sie als das Selbstverständliche aufstellt und
namentlich auch dem Fürsten an neuen Befugnissen zuspricht, nicht
überall stimmen. Aber die Fürstenmacht steht als die grosse That-
sache dahinter; sie leiht diesem jeweiligen Programm willig den
starken Arm, um es zur Wirklichkeit zu machen und noch zu über-
bieten. So hat die Naturrechtslehre wenigstens mittelbar das neue
Recht schaffen helfen5.

4 Pütter, Instit. jur. publ. lib. VI und VII, giebt ein Muster dieser Auf-
zählungs- und Zerlegungskunst; vgl. auch den conspectus p. XXVII und XXVIII.
Goenner, St.R. § 275, begnügt sich bei seiner "Klassifikation der Hoheitsrechte"
mit 11 Arten. Nachdem unter dem Einflusse des Naturrechts die Hoheitsrechte
vervollständigt und zu einer gewissen Gleichmässigkeit gebracht worden waren,
traten die ursprünglichen Erwerbstitel zurück; alle Hoheitsrechte werden jetzt dem
Naturrecht zugeschrieben: Hufeland, Natur-R. § 460, 461, 468; Häberlin,
St.R. § 215.
5 Gierke, Natur-R. und Deutsch. R. (Rektoratsrede) S. 28.
Geschichtliche Entwicklungsstufen.

Zu gröſserer Gleichmäſsigkeit und Fülle gelangt diese Landes-
hoheit unter dem Einfluſs des Naturrechts. Jene merkwürdige
Strömung, welche Jahrhunderte hindurch die gelehrte Welt beherrscht
mit dem festen Glauben an ein naturgegebenes Recht, das für alle
einzelnen Verhältnisse besteht und das von der Wissenschaft nur zu
erkennen, vom wirklichen Rechte nur durchzuführen ist, bemächtigt
sich vor allem auch dieses Gegenstandes. Die Gelehrten des 16. und
17. Jahrhunderts bereiten der Staatsidee den Weg, indem sie die Auf-
gaben und die Rechte des Fürsten unter den einheitlichen Gesichts-
punkt des Staatszweckes stellen. Der Fürst ist dazu da, die
gemeine Wohlfahrt zu schützen und zu fördern; alle besonderen
Rechte, die ihm zustehen, besitzt er nur zu diesem Zweck. Aber
dafür gilt auch umgekehrt der Satz: wenn etwas nützlich und er-
forderlich ist für die gemeine Wohlfahrt, so muſs der Fürst auch das
entsprechende Recht haben, um solches vorkehren zu können. Der
Umfang der Hoheitsrechte bestimmt sich daher aus dem Umfang der
Aufgaben, deren Erfüllung für das Gemeinwesen die Zeit für an-
gemessen hält. Mit dem Anschwellen solcher Aufgaben wachsen auch
die einzelnen Hoheitsrechte, Majestätsrechte, jura majesta-
tis seu regiminis, jura regia seu regalia. Ihre Aufzählung und ge-
schmackvolle Einteilung, immer wieder vermehrt und verbessert,
bildet auf lange Zeit hinaus ein stehendes Stück der Staatsrechtslehre4.

Die Naturrechtslehre sagt damit freilich nur, was sein soll; sie
macht nicht unmittelbar Recht; das wirkliche Recht mag von vorn-
herein mit dem, was sie als das Selbstverständliche aufstellt und
namentlich auch dem Fürsten an neuen Befugnissen zuspricht, nicht
überall stimmen. Aber die Fürstenmacht steht als die groſse That-
sache dahinter; sie leiht diesem jeweiligen Programm willig den
starken Arm, um es zur Wirklichkeit zu machen und noch zu über-
bieten. So hat die Naturrechtslehre wenigstens mittelbar das neue
Recht schaffen helfen5.

4 Pütter, Instit. jur. publ. lib. VI und VII, giebt ein Muster dieser Auf-
zählungs- und Zerlegungskunst; vgl. auch den conspectus p. XXVII und XXVIII.
Goenner, St.R. § 275, begnügt sich bei seiner „Klassifikation der Hoheitsrechte“
mit 11 Arten. Nachdem unter dem Einflusse des Naturrechts die Hoheitsrechte
vervollständigt und zu einer gewissen Gleichmäſsigkeit gebracht worden waren,
traten die ursprünglichen Erwerbstitel zurück; alle Hoheitsrechte werden jetzt dem
Naturrecht zugeschrieben: Hufeland, Natur-R. § 460, 461, 468; Häberlin,
St.R. § 215.
5 Gierke, Natur-R. und Deutsch. R. (Rektoratsrede) S. 28.
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[26/0046] Geschichtliche Entwicklungsstufen. Zu gröſserer Gleichmäſsigkeit und Fülle gelangt diese Landes- hoheit unter dem Einfluſs des Naturrechts. Jene merkwürdige Strömung, welche Jahrhunderte hindurch die gelehrte Welt beherrscht mit dem festen Glauben an ein naturgegebenes Recht, das für alle einzelnen Verhältnisse besteht und das von der Wissenschaft nur zu erkennen, vom wirklichen Rechte nur durchzuführen ist, bemächtigt sich vor allem auch dieses Gegenstandes. Die Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts bereiten der Staatsidee den Weg, indem sie die Auf- gaben und die Rechte des Fürsten unter den einheitlichen Gesichts- punkt des Staatszweckes stellen. Der Fürst ist dazu da, die gemeine Wohlfahrt zu schützen und zu fördern; alle besonderen Rechte, die ihm zustehen, besitzt er nur zu diesem Zweck. Aber dafür gilt auch umgekehrt der Satz: wenn etwas nützlich und er- forderlich ist für die gemeine Wohlfahrt, so muſs der Fürst auch das entsprechende Recht haben, um solches vorkehren zu können. Der Umfang der Hoheitsrechte bestimmt sich daher aus dem Umfang der Aufgaben, deren Erfüllung für das Gemeinwesen die Zeit für an- gemessen hält. Mit dem Anschwellen solcher Aufgaben wachsen auch die einzelnen Hoheitsrechte, Majestätsrechte, jura majesta- tis seu regiminis, jura regia seu regalia. Ihre Aufzählung und ge- schmackvolle Einteilung, immer wieder vermehrt und verbessert, bildet auf lange Zeit hinaus ein stehendes Stück der Staatsrechtslehre 4. Die Naturrechtslehre sagt damit freilich nur, was sein soll; sie macht nicht unmittelbar Recht; das wirkliche Recht mag von vorn- herein mit dem, was sie als das Selbstverständliche aufstellt und namentlich auch dem Fürsten an neuen Befugnissen zuspricht, nicht überall stimmen. Aber die Fürstenmacht steht als die groſse That- sache dahinter; sie leiht diesem jeweiligen Programm willig den starken Arm, um es zur Wirklichkeit zu machen und noch zu über- bieten. So hat die Naturrechtslehre wenigstens mittelbar das neue Recht schaffen helfen 5. 4 Pütter, Instit. jur. publ. lib. VI und VII, giebt ein Muster dieser Auf- zählungs- und Zerlegungskunst; vgl. auch den conspectus p. XXVII und XXVIII. Goenner, St.R. § 275, begnügt sich bei seiner „Klassifikation der Hoheitsrechte“ mit 11 Arten. Nachdem unter dem Einflusse des Naturrechts die Hoheitsrechte vervollständigt und zu einer gewissen Gleichmäſsigkeit gebracht worden waren, traten die ursprünglichen Erwerbstitel zurück; alle Hoheitsrechte werden jetzt dem Naturrecht zugeschrieben: Hufeland, Natur-R. § 460, 461, 468; Häberlin, St.R. § 215. 5 Gierke, Natur-R. und Deutsch. R. (Rektoratsrede) S. 28.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/46>, abgerufen am 29.03.2024.