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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
dessen Zustimmung sie vielleicht berechtigen, mehr zu nehmen; aber
eine Steuerpflicht wird das nie.

Es ist ein ganz beschränkter Ausnahmefall, für welchen heute
noch von vertragsmässiger Festsetzung einer Steuerpflicht die Rede ist.
Unter Umständen nämlich sind die thatsächlichen Unterlagen für die
Bestimmung einer Steuerpflicht besonders schwierig zu erkennen und
festzuhalten. Da giebt dann das Gesetz die Ermächtigung, an Stelle
der genauen Anwendung des Steuerrechtssatzes eine blosse Schätzung,
einen annähernd richtigen Anschlag treten zu lassen. Ein Pau-
schale, Aversum wird festgesetzt durch Beschluss der Behörde; dem
Betroffenen ist dabei eine gewisse Mitwirkung zugestanden, um seine
Interessen zu sichern. Das bezeichnet man als Abfindung, Abonnement,
Fixationsvertrag, Komposition, vertragsmässige Regelung der Steuer-
pflicht. Vertrag im wahren Sinne des Wortes ist es nicht, sondern
ein Verwaltungsakt, der auf Grund des Gesetzes, verschiedentlich be-
dingt durch die Mitwirkung des Steuerpflichtigen, den Umfang der
Steuerpflicht mit einem gewissen freien Ermessen festsetzt.

Solche Festsetzungen kommen in geringem Umfange zur Anwen-
dung bei direkten Steuern13. Ihr Hauptgebiet sind die indirekten
Steuern auf Getränke: Wein, Bier, Branntwein. Der Vorgang ist aber
durchaus nicht überall gleichmässig gestaltet; vielmehr erscheint gerade
dasjenige Element, woran die Bezeichnung Vertrag sich knüpft, die
Mitwirkung des Steuerschuldners, in verschieden abgestufter Be-
deutung.

Das Gesetz kann gestatten, die "Fixation" eines Betriebes, von
dessen Erzeugnissen die indirekte Steuer zu erheben wäre, vorzunehmen
auch ohne den Willen des Unternehmers, auf Grund einer Berechnung
der Leistungsfähigkeit. Die Anhörung des Betroffenen ist lediglich
Formbedingung14.

wirksam beschränkt werden. Derartige Verträge werden jetzt für unzulässig er-
achtet als gegen die gute Sitte verstossend. So wurde namentlich entschieden bei
Verträgen zwischen Gemeinden und Eisenbahngesellschaften wegen Beschränkung
künftiger Gemeindesteuerauflagen zu Gunsten der letzteren. O.V.G. 28. Mai 1885;
R.G. 14. Okt. 1884 (Samml. XII S. 273).
13 Ein Beispiel im bayr. Erbschaftssteuerges. v. 18. Aug. 1879 Art. 36: das
Finanzministerium ist ermächtigt, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Aversional-
quantum für die Erbschaftssteuer anzunehmen. Die Annahme geschieht durch
einen dem Pflichtigen zu eröffnenden Beschluss, der an die Stelle der rentamtlichen
Veranlagung tritt.
14 So Branntweinsteuerges. v. 24. Juni 1887 § 13; Bundesratsbeschl. v.
27. Sept. 1887 n. 8 (Centr.Bl. 1887 S. 351). Keilwagen, Die Besteuerung des
Branntweins S. 169.

§ 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht.
dessen Zustimmung sie vielleicht berechtigen, mehr zu nehmen; aber
eine Steuerpflicht wird das nie.

Es ist ein ganz beschränkter Ausnahmefall, für welchen heute
noch von vertragsmäſsiger Festsetzung einer Steuerpflicht die Rede ist.
Unter Umständen nämlich sind die thatsächlichen Unterlagen für die
Bestimmung einer Steuerpflicht besonders schwierig zu erkennen und
festzuhalten. Da giebt dann das Gesetz die Ermächtigung, an Stelle
der genauen Anwendung des Steuerrechtssatzes eine bloſse Schätzung,
einen annähernd richtigen Anschlag treten zu lassen. Ein Pau-
schale, Aversum wird festgesetzt durch Beschluſs der Behörde; dem
Betroffenen ist dabei eine gewisse Mitwirkung zugestanden, um seine
Interessen zu sichern. Das bezeichnet man als Abfindung, Abonnement,
Fixationsvertrag, Komposition, vertragsmäſsige Regelung der Steuer-
pflicht. Vertrag im wahren Sinne des Wortes ist es nicht, sondern
ein Verwaltungsakt, der auf Grund des Gesetzes, verschiedentlich be-
dingt durch die Mitwirkung des Steuerpflichtigen, den Umfang der
Steuerpflicht mit einem gewissen freien Ermessen festsetzt.

Solche Festsetzungen kommen in geringem Umfange zur Anwen-
dung bei direkten Steuern13. Ihr Hauptgebiet sind die indirekten
Steuern auf Getränke: Wein, Bier, Branntwein. Der Vorgang ist aber
durchaus nicht überall gleichmäſsig gestaltet; vielmehr erscheint gerade
dasjenige Element, woran die Bezeichnung Vertrag sich knüpft, die
Mitwirkung des Steuerschuldners, in verschieden abgestufter Be-
deutung.

Das Gesetz kann gestatten, die „Fixation“ eines Betriebes, von
dessen Erzeugnissen die indirekte Steuer zu erheben wäre, vorzunehmen
auch ohne den Willen des Unternehmers, auf Grund einer Berechnung
der Leistungsfähigkeit. Die Anhörung des Betroffenen ist lediglich
Formbedingung14.

wirksam beschränkt werden. Derartige Verträge werden jetzt für unzulässig er-
achtet als gegen die gute Sitte verstoſsend. So wurde namentlich entschieden bei
Verträgen zwischen Gemeinden und Eisenbahngesellschaften wegen Beschränkung
künftiger Gemeindesteuerauflagen zu Gunsten der letzteren. O.V.G. 28. Mai 1885;
R.G. 14. Okt. 1884 (Samml. XII S. 273).
13 Ein Beispiel im bayr. Erbschaftssteuerges. v. 18. Aug. 1879 Art. 36: das
Finanzministerium ist ermächtigt, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Aversional-
quantum für die Erbschaftssteuer anzunehmen. Die Annahme geschieht durch
einen dem Pflichtigen zu eröffnenden Beschluſs, der an die Stelle der rentamtlichen
Veranlagung tritt.
14 So Branntweinsteuerges. v. 24. Juni 1887 § 13; Bundesratsbeschl. v.
27. Sept. 1887 n. 8 (Centr.Bl. 1887 S. 351). Keilwagen, Die Besteuerung des
Branntweins S. 169.
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[427/0447] § 29. Änderung und Aufhebung der Steuerpflicht. dessen Zustimmung sie vielleicht berechtigen, mehr zu nehmen; aber eine Steuerpflicht wird das nie. Es ist ein ganz beschränkter Ausnahmefall, für welchen heute noch von vertragsmäſsiger Festsetzung einer Steuerpflicht die Rede ist. Unter Umständen nämlich sind die thatsächlichen Unterlagen für die Bestimmung einer Steuerpflicht besonders schwierig zu erkennen und festzuhalten. Da giebt dann das Gesetz die Ermächtigung, an Stelle der genauen Anwendung des Steuerrechtssatzes eine bloſse Schätzung, einen annähernd richtigen Anschlag treten zu lassen. Ein Pau- schale, Aversum wird festgesetzt durch Beschluſs der Behörde; dem Betroffenen ist dabei eine gewisse Mitwirkung zugestanden, um seine Interessen zu sichern. Das bezeichnet man als Abfindung, Abonnement, Fixationsvertrag, Komposition, vertragsmäſsige Regelung der Steuer- pflicht. Vertrag im wahren Sinne des Wortes ist es nicht, sondern ein Verwaltungsakt, der auf Grund des Gesetzes, verschiedentlich be- dingt durch die Mitwirkung des Steuerpflichtigen, den Umfang der Steuerpflicht mit einem gewissen freien Ermessen festsetzt. Solche Festsetzungen kommen in geringem Umfange zur Anwen- dung bei direkten Steuern 13. Ihr Hauptgebiet sind die indirekten Steuern auf Getränke: Wein, Bier, Branntwein. Der Vorgang ist aber durchaus nicht überall gleichmäſsig gestaltet; vielmehr erscheint gerade dasjenige Element, woran die Bezeichnung Vertrag sich knüpft, die Mitwirkung des Steuerschuldners, in verschieden abgestufter Be- deutung. Das Gesetz kann gestatten, die „Fixation“ eines Betriebes, von dessen Erzeugnissen die indirekte Steuer zu erheben wäre, vorzunehmen auch ohne den Willen des Unternehmers, auf Grund einer Berechnung der Leistungsfähigkeit. Die Anhörung des Betroffenen ist lediglich Formbedingung 14. 12 13 Ein Beispiel im bayr. Erbschaftssteuerges. v. 18. Aug. 1879 Art. 36: das Finanzministerium ist ermächtigt, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Aversional- quantum für die Erbschaftssteuer anzunehmen. Die Annahme geschieht durch einen dem Pflichtigen zu eröffnenden Beschluſs, der an die Stelle der rentamtlichen Veranlagung tritt. 14 So Branntweinsteuerges. v. 24. Juni 1887 § 13; Bundesratsbeschl. v. 27. Sept. 1887 n. 8 (Centr.Bl. 1887 S. 351). Keilwagen, Die Besteuerung des Branntweins S. 169. 12 wirksam beschränkt werden. Derartige Verträge werden jetzt für unzulässig er- achtet als gegen die gute Sitte verstoſsend. So wurde namentlich entschieden bei Verträgen zwischen Gemeinden und Eisenbahngesellschaften wegen Beschränkung künftiger Gemeindesteuerauflagen zu Gunsten der letzteren. O.V.G. 28. Mai 1885; R.G. 14. Okt. 1884 (Samml. XII S. 273).

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/447>, abgerufen am 21.05.2024.