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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.

Daraus ergiebt sich die übliche Regel, dass eine Nachhebung wegen
einer Versäumnis in der Feststellung der Steuerpflicht bei direkten
Steuern nur zulässig ist im Falle der Übergehung oder der
Hinterziehung.

Besser ausgedrückt: die wirksam gewordene Veranlagung
der direkten Steuer befreit den Schuldner von dem
Überschuss der Steuerpflicht, ausgenommen den Fall
der Hinterziehung
2.

Alle anderen Nachforderungen an direkten Steuern und indirekten
Steuern sind frei.

2. Die Verjährung ist kein selbstverständliches Institut des
öffentlichen Rechts; die Geltendmachung der Polizeigewalt z. B. er-
leidet durch Zeitablauf keinerlei Eintrag. Für Steuerforderungen da-
gegen ist sie überall anerkannt und durch allgemeine Steuer- und
Gebühren-Verjährungs-Gesetze oder durch die Gesetze der einzelnen
Steuerarten geregelt. Die Verjährungszeit ist durchweg eine kurze,
meist drei- bis fünfjährige.

Man unterscheidet aber zweierlei Arten von solchem Rechtsverlust
durch Zeitablauf, wie er für die Ansprüche der Steuerverwaltung ein-
treten kann.

2 In der ersteren Weise formuliert den Satz das Preuss. Ges. v. 18. Juni
1840 über die Reklamationen und Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben § 6:
Die Nachforderung der direkten Steuern findet nur "im Fall gänzlicher Übergehung"
statt; ausserdem nach § 10 im Falle einer "Kontravention gegen die Steuergesetze".
Von letzterer ist zwar nur gesagt: "so verjährt die Nachforderung nur gleichzeitig
mit der gesetzlichen Strafe", aber als eine solche Verjährung fasst eben das Gesetz
auch den Ausschluss der Nachforderung durch unvollständige Veranlagung. Das
wird auch sonst nicht ordentlich geschieden, z. B. bei v. Roenne, Preuss. St.R.
IV S. 863. -- Den richtigen Gedanken giebt Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201, wenn
er die Unzulässigkeit der Nachforderung zurückführt auf die "Rechtskraft der
Steuerfestsetzung". Von Rechtskraft im strengen Sinne des Civilprozesses und der
Verwaltungsrechtspflege (oben S. 175) ist hier selbstverständlich nicht die Rede; es
ist die blosse Unabänderlichkeit des Verwaltungsaktes gemeint. -- Man darf nicht
sofort die Folgerung ziehen, dass die gleiche Gebundenheit der Steuerpflicht
und Verwirkung des Überschusses auch bei indirekten Steuern eintreten muss, so-
bald da zufällig ein Verwaltungsakt dazwischen kommt, der die Steuer festsetzt.
Das kann geschehen im Strafbescheid der Zollbehörde, der gleichzeitig die Nach-
zahlung des hinterzogenen Zolles anordnete (Zollges. § 135, Löbe, Zollstrafrecht
S. 63); auch die Stundungsbewilligung mag eine solche Festsetzung enthalten (oben
§ 27 S. 401). Es käme darauf an, ob die Festsetzung dieses Verwaltungsaktes
die nämliche Unabänderlichkeit hat wie die Veranlagung; das wird beim Straf-
bescheid zutreffen, aber nicht beim Stundungsakt.
Die Finanzgewalt.

Daraus ergiebt sich die übliche Regel, daſs eine Nachhebung wegen
einer Versäumnis in der Feststellung der Steuerpflicht bei direkten
Steuern nur zulässig ist im Falle der Übergehung oder der
Hinterziehung.

Besser ausgedrückt: die wirksam gewordene Veranlagung
der direkten Steuer befreit den Schuldner von dem
Überschuſs der Steuerpflicht, ausgenommen den Fall
der Hinterziehung
2.

Alle anderen Nachforderungen an direkten Steuern und indirekten
Steuern sind frei.

2. Die Verjährung ist kein selbstverständliches Institut des
öffentlichen Rechts; die Geltendmachung der Polizeigewalt z. B. er-
leidet durch Zeitablauf keinerlei Eintrag. Für Steuerforderungen da-
gegen ist sie überall anerkannt und durch allgemeine Steuer- und
Gebühren-Verjährungs-Gesetze oder durch die Gesetze der einzelnen
Steuerarten geregelt. Die Verjährungszeit ist durchweg eine kurze,
meist drei- bis fünfjährige.

Man unterscheidet aber zweierlei Arten von solchem Rechtsverlust
durch Zeitablauf, wie er für die Ansprüche der Steuerverwaltung ein-
treten kann.

2 In der ersteren Weise formuliert den Satz das Preuſs. Ges. v. 18. Juni
1840 über die Reklamationen und Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben § 6:
Die Nachforderung der direkten Steuern findet nur „im Fall gänzlicher Übergehung“
statt; auſserdem nach § 10 im Falle einer „Kontravention gegen die Steuergesetze“.
Von letzterer ist zwar nur gesagt: „so verjährt die Nachforderung nur gleichzeitig
mit der gesetzlichen Strafe“, aber als eine solche Verjährung faſst eben das Gesetz
auch den Ausschluſs der Nachforderung durch unvollständige Veranlagung. Das
wird auch sonst nicht ordentlich geschieden, z. B. bei v. Roenne, Preuſs. St.R.
IV S. 863. — Den richtigen Gedanken giebt Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201, wenn
er die Unzulässigkeit der Nachforderung zurückführt auf die „Rechtskraft der
Steuerfestsetzung“. Von Rechtskraft im strengen Sinne des Civilprozesses und der
Verwaltungsrechtspflege (oben S. 175) ist hier selbstverständlich nicht die Rede; es
ist die bloſse Unabänderlichkeit des Verwaltungsaktes gemeint. — Man darf nicht
sofort die Folgerung ziehen, daſs die gleiche Gebundenheit der Steuerpflicht
und Verwirkung des Überschusses auch bei indirekten Steuern eintreten muſs, so-
bald da zufällig ein Verwaltungsakt dazwischen kommt, der die Steuer festsetzt.
Das kann geschehen im Strafbescheid der Zollbehörde, der gleichzeitig die Nach-
zahlung des hinterzogenen Zolles anordnete (Zollges. § 135, Löbe, Zollstrafrecht
S. 63); auch die Stundungsbewilligung mag eine solche Festsetzung enthalten (oben
§ 27 S. 401). Es käme darauf an, ob die Festsetzung dieses Verwaltungsaktes
die nämliche Unabänderlichkeit hat wie die Veranlagung; das wird beim Straf-
bescheid zutreffen, aber nicht beim Stundungsakt.
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[420/0440] Die Finanzgewalt. Daraus ergiebt sich die übliche Regel, daſs eine Nachhebung wegen einer Versäumnis in der Feststellung der Steuerpflicht bei direkten Steuern nur zulässig ist im Falle der Übergehung oder der Hinterziehung. Besser ausgedrückt: die wirksam gewordene Veranlagung der direkten Steuer befreit den Schuldner von dem Überschuſs der Steuerpflicht, ausgenommen den Fall der Hinterziehung 2. Alle anderen Nachforderungen an direkten Steuern und indirekten Steuern sind frei. 2. Die Verjährung ist kein selbstverständliches Institut des öffentlichen Rechts; die Geltendmachung der Polizeigewalt z. B. er- leidet durch Zeitablauf keinerlei Eintrag. Für Steuerforderungen da- gegen ist sie überall anerkannt und durch allgemeine Steuer- und Gebühren-Verjährungs-Gesetze oder durch die Gesetze der einzelnen Steuerarten geregelt. Die Verjährungszeit ist durchweg eine kurze, meist drei- bis fünfjährige. Man unterscheidet aber zweierlei Arten von solchem Rechtsverlust durch Zeitablauf, wie er für die Ansprüche der Steuerverwaltung ein- treten kann. 2 In der ersteren Weise formuliert den Satz das Preuſs. Ges. v. 18. Juni 1840 über die Reklamationen und Verjährungsfristen bei öffentlichen Abgaben § 6: Die Nachforderung der direkten Steuern findet nur „im Fall gänzlicher Übergehung“ statt; auſserdem nach § 10 im Falle einer „Kontravention gegen die Steuergesetze“. Von letzterer ist zwar nur gesagt: „so verjährt die Nachforderung nur gleichzeitig mit der gesetzlichen Strafe“, aber als eine solche Verjährung faſst eben das Gesetz auch den Ausschluſs der Nachforderung durch unvollständige Veranlagung. Das wird auch sonst nicht ordentlich geschieden, z. B. bei v. Roenne, Preuſs. St.R. IV S. 863. — Den richtigen Gedanken giebt Seydel, Bayr. St.R. IV S. 201, wenn er die Unzulässigkeit der Nachforderung zurückführt auf die „Rechtskraft der Steuerfestsetzung“. Von Rechtskraft im strengen Sinne des Civilprozesses und der Verwaltungsrechtspflege (oben S. 175) ist hier selbstverständlich nicht die Rede; es ist die bloſse Unabänderlichkeit des Verwaltungsaktes gemeint. — Man darf nicht sofort die Folgerung ziehen, daſs die gleiche Gebundenheit der Steuerpflicht und Verwirkung des Überschusses auch bei indirekten Steuern eintreten muſs, so- bald da zufällig ein Verwaltungsakt dazwischen kommt, der die Steuer festsetzt. Das kann geschehen im Strafbescheid der Zollbehörde, der gleichzeitig die Nach- zahlung des hinterzogenen Zolles anordnete (Zollges. § 135, Löbe, Zollstrafrecht S. 63); auch die Stundungsbewilligung mag eine solche Festsetzung enthalten (oben § 27 S. 401). Es käme darauf an, ob die Festsetzung dieses Verwaltungsaktes die nämliche Unabänderlichkeit hat wie die Veranlagung; das wird beim Straf- bescheid zutreffen, aber nicht beim Stundungsakt.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/440>, abgerufen am 21.05.2024.