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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.

Der in Verwahrung Genommene muss nach 24 Stunden, 48 Stunden
oder "spätestens im Laufe des folgenden Tages" wieder in Freiheit
gesetzt werden -- selbst dann, wenn die zu bekämpfende Störungs-
gefahr, um derenwillen die Festnahme erfolgte, zu dieser Zeit noch
fortwährt. Es kann die Freilassung gehindert werden, wenn Unter-
suchungshaft oder Strafhaft eintritt; das sind Gründe für sich. Vom
polizeilichen Standpunkt aus ist der Zwang beendet. Es kann nur
ein neuer beginnen, wenn neue Gründe dafür selbständig wieder zu
Tage treten.

Umgekehrt wirkt diese Fristbestimmung auch zu Gunsten der
Polizei
und erspart ihr die ängstliche, den Geschäftsbetrieb er-
schwerende Überwachung der natürlichen Grenzen des Zwangs. Der
Mann hat sich etwa ganz beruhigt; aller Wahrscheinlichkeit nach
wird er sich jetzt der Ordnung fügen; rein menschlich genommen,
müsste der Zwang sofort aufhören. Oder die äussere Möglichkeit der
Störung ist weggefallen; die Verwaltungsmassregeln, die Arbeiten,
welche der Mann hindern und belästigen konnte, sind durchgeführt;
der Gegenstand seiner Angriffe hat sich entfernt. Die Zurückhaltung
bis zum Ablauf der Frist ist gleichwohl keine Rechtswidrigkeit. Der
Rest von Besorgnis, er könnte wieder anfangen, die ohne genauere
Untersuchung nicht mögliche Feststellung, ob er wirklich gar nichts
mehr schaden könnte, die manchmal recht schleppende Abwicklung
der Sache durch Vorführung bei einer Behörde und dergleichen, alles
das darf die Freilassung bis zu jenem Punkte verzögern. Rechts-
widrig wird die Zurückbehaltung erst, wenn Böswilligkeit der Be-
amten darin zum Ausdruck kommt. Das Gesetz hat der Polizei den
Mann für eine kurze Frist in die Gewalt gegeben; es liegt der Ge-
danke einer verdienten Strafe unverkennbar mit darin13. --

Wo die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen der polizeilichen
Verhaftung und Verwahrung nicht vorliegen, sind gleichwohl derartige
Gewaltmittel nicht gänzlich ausgeschlossen. Dies ist namentlich

13 Eisenlohr, Bad. Stf.G.B. S. 184, behauptet, dass die gesetzliche Frist nur
das Höchstmass gebe, innerhalb dessen das rechtlich Zulässige durch die Not-
wendigkeit bestimmt sei. Einen Beweis dafür findet er in der besonderen Be-
stimmung des § 77, wonach Betrunkene, welche störend geworden waren, ausnahms-
weise nicht auf ganze 48, sondern nur auf 24 Stunden in Gewahrsam zu halten
sind. Denn, meint er, mit dem Eintritt der Nüchternheit müsse grundsätzlich der
Zwang von selbst aufhören und dazu genügten eben 24 Stunden. Allein eine vier-
undzwanzigstündige wirkliche Trunkenheit kann doch der Gesetzgeber nicht voraus-
gesetzt haben; es bleibt also auch hier ein gewisser Überschuss mit gelindem
Strafcharakter.
§ 25. Zwang durch Gewaltanwendung.

Der in Verwahrung Genommene muſs nach 24 Stunden, 48 Stunden
oder „spätestens im Laufe des folgenden Tages“ wieder in Freiheit
gesetzt werden — selbst dann, wenn die zu bekämpfende Störungs-
gefahr, um derenwillen die Festnahme erfolgte, zu dieser Zeit noch
fortwährt. Es kann die Freilassung gehindert werden, wenn Unter-
suchungshaft oder Strafhaft eintritt; das sind Gründe für sich. Vom
polizeilichen Standpunkt aus ist der Zwang beendet. Es kann nur
ein neuer beginnen, wenn neue Gründe dafür selbständig wieder zu
Tage treten.

Umgekehrt wirkt diese Fristbestimmung auch zu Gunsten der
Polizei
und erspart ihr die ängstliche, den Geschäftsbetrieb er-
schwerende Überwachung der natürlichen Grenzen des Zwangs. Der
Mann hat sich etwa ganz beruhigt; aller Wahrscheinlichkeit nach
wird er sich jetzt der Ordnung fügen; rein menschlich genommen,
müſste der Zwang sofort aufhören. Oder die äuſsere Möglichkeit der
Störung ist weggefallen; die Verwaltungsmaſsregeln, die Arbeiten,
welche der Mann hindern und belästigen konnte, sind durchgeführt;
der Gegenstand seiner Angriffe hat sich entfernt. Die Zurückhaltung
bis zum Ablauf der Frist ist gleichwohl keine Rechtswidrigkeit. Der
Rest von Besorgnis, er könnte wieder anfangen, die ohne genauere
Untersuchung nicht mögliche Feststellung, ob er wirklich gar nichts
mehr schaden könnte, die manchmal recht schleppende Abwicklung
der Sache durch Vorführung bei einer Behörde und dergleichen, alles
das darf die Freilassung bis zu jenem Punkte verzögern. Rechts-
widrig wird die Zurückbehaltung erst, wenn Böswilligkeit der Be-
amten darin zum Ausdruck kommt. Das Gesetz hat der Polizei den
Mann für eine kurze Frist in die Gewalt gegeben; es liegt der Ge-
danke einer verdienten Strafe unverkennbar mit darin13. —

Wo die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen der polizeilichen
Verhaftung und Verwahrung nicht vorliegen, sind gleichwohl derartige
Gewaltmittel nicht gänzlich ausgeschlossen. Dies ist namentlich

13 Eisenlohr, Bad. Stf.G.B. S. 184, behauptet, daſs die gesetzliche Frist nur
das Höchstmaſs gebe, innerhalb dessen das rechtlich Zulässige durch die Not-
wendigkeit bestimmt sei. Einen Beweis dafür findet er in der besonderen Be-
stimmung des § 77, wonach Betrunkene, welche störend geworden waren, ausnahms-
weise nicht auf ganze 48, sondern nur auf 24 Stunden in Gewahrsam zu halten
sind. Denn, meint er, mit dem Eintritt der Nüchternheit müsse grundsätzlich der
Zwang von selbst aufhören und dazu genügten eben 24 Stunden. Allein eine vier-
undzwanzigstündige wirkliche Trunkenheit kann doch der Gesetzgeber nicht voraus-
gesetzt haben; es bleibt also auch hier ein gewisser Überschuſs mit gelindem
Strafcharakter.
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[365/0385] § 25. Zwang durch Gewaltanwendung. Der in Verwahrung Genommene muſs nach 24 Stunden, 48 Stunden oder „spätestens im Laufe des folgenden Tages“ wieder in Freiheit gesetzt werden — selbst dann, wenn die zu bekämpfende Störungs- gefahr, um derenwillen die Festnahme erfolgte, zu dieser Zeit noch fortwährt. Es kann die Freilassung gehindert werden, wenn Unter- suchungshaft oder Strafhaft eintritt; das sind Gründe für sich. Vom polizeilichen Standpunkt aus ist der Zwang beendet. Es kann nur ein neuer beginnen, wenn neue Gründe dafür selbständig wieder zu Tage treten. Umgekehrt wirkt diese Fristbestimmung auch zu Gunsten der Polizei und erspart ihr die ängstliche, den Geschäftsbetrieb er- schwerende Überwachung der natürlichen Grenzen des Zwangs. Der Mann hat sich etwa ganz beruhigt; aller Wahrscheinlichkeit nach wird er sich jetzt der Ordnung fügen; rein menschlich genommen, müſste der Zwang sofort aufhören. Oder die äuſsere Möglichkeit der Störung ist weggefallen; die Verwaltungsmaſsregeln, die Arbeiten, welche der Mann hindern und belästigen konnte, sind durchgeführt; der Gegenstand seiner Angriffe hat sich entfernt. Die Zurückhaltung bis zum Ablauf der Frist ist gleichwohl keine Rechtswidrigkeit. Der Rest von Besorgnis, er könnte wieder anfangen, die ohne genauere Untersuchung nicht mögliche Feststellung, ob er wirklich gar nichts mehr schaden könnte, die manchmal recht schleppende Abwicklung der Sache durch Vorführung bei einer Behörde und dergleichen, alles das darf die Freilassung bis zu jenem Punkte verzögern. Rechts- widrig wird die Zurückbehaltung erst, wenn Böswilligkeit der Be- amten darin zum Ausdruck kommt. Das Gesetz hat der Polizei den Mann für eine kurze Frist in die Gewalt gegeben; es liegt der Ge- danke einer verdienten Strafe unverkennbar mit darin 13. — Wo die besonderen gesetzlichen Voraussetzungen der polizeilichen Verhaftung und Verwahrung nicht vorliegen, sind gleichwohl derartige Gewaltmittel nicht gänzlich ausgeschlossen. Dies ist namentlich 13 Eisenlohr, Bad. Stf.G.B. S. 184, behauptet, daſs die gesetzliche Frist nur das Höchstmaſs gebe, innerhalb dessen das rechtlich Zulässige durch die Not- wendigkeit bestimmt sei. Einen Beweis dafür findet er in der besonderen Be- stimmung des § 77, wonach Betrunkene, welche störend geworden waren, ausnahms- weise nicht auf ganze 48, sondern nur auf 24 Stunden in Gewahrsam zu halten sind. Denn, meint er, mit dem Eintritt der Nüchternheit müsse grundsätzlich der Zwang von selbst aufhören und dazu genügten eben 24 Stunden. Allein eine vier- undzwanzigstündige wirkliche Trunkenheit kann doch der Gesetzgeber nicht voraus- gesetzt haben; es bleibt also auch hier ein gewisser Überschuſs mit gelindem Strafcharakter.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/385>, abgerufen am 21.05.2024.