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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

Das gilt ebenso für die Zwangsvollstreckung eines Polizeibefehls.
Die Erzwingung eines Handelns kann durch Gewaltanwendung immer
nur geschehen, sofern ein Mehr an zuzufügenden Übeln zu Gebote
steht, wozu das Gesetz besonders ermächtigt. Und auch dann ist es
immer nur ein Versuch, ein psychologischer Zwang, dessen Erfolg un-
sicher bleibt.

Die Gewaltanwendung kann in dieser Weise wirksam gemacht
werden als bevorstehend, in Gestalt der Drohung; aber da muss
sie eben immer ein selbständiges Übel bedeuten über das befohlene
Handeln hinaus; denn gewaltsame Herbeiführung des befohlenen
Handelns selbst lässt sich auch als Drohung nicht anwenden, da sie
nicht möglich ist.

Die Gewaltanwendung kann auch dienen sollen zur Erschütte-
rung des widerstrebenden Willens
durch die Übel, die sie
zufügt. Sie vermag dabei insbesondere den Pflichtigen der befohlenen
Handlung näher zu bringen, so dass der moralische Druck, den die
erfahrene Gewalt ausübt, leicht genügt, um sie zur Vollendung kommen
zu lassen. Man schleppt ihn an den Platz, wo er thätig werden soll,
drückt ihm die Werkzeuge in die Hand, bringt ihn gewaltsam in
Stellung. Mehr kann man nicht thun; aber der gebrochene Wille
macht den letzten Schritt nunmehr von selbst.

Das ist die Art, wie die militärische Requisition in Kriegszeiten
verfährt, verstärkt freilich durch weitere Drohungen.

Ausdrückliche Gesetzesbestimmungen lassen es zu, auch sonst zur
Erzwingung öffentlichrechtlicher Handlungspflichten einen Versuch
dieser Art zu machen; einen Versuch, denn ob der letzte Schritt ge-
than wird, hängt von der Festigkeit des zu überwältigenden Willens
ab. Ein selbstverständliches Zwangsmittel aber, das ohne besonderes
Gesetz in dem vollstreckbaren Befehl naturgemäss schon enthalten
wäre, ist diese Art der Verwendung der Gewalt niemals, so wenig
wie die Strafe, der sie in Wirkungsweise und rechtlicher Natur ver-
wandt ist31. Ganz falsch ist die häufig verwertete Schlussfolgerung:
das Gesetz, welches die Behörde anweist, eine Handlung herbei-

31 Stf.Pr.O. § 50 gestattet ausser Geldstrafe und Haft gegen den unentschuldigt
ausgebliebenen Zeugen auch zwangsweise Vorführung; bei der Beratung im Reichs-
tag wurden alle diese "Zwangsmassregeln" erklärt als "Strafen, welche nur von
dem Richter ausgesprochen werden können" (Hahn, Mat. II S. 1733). Auch die
Verhängung der Ungehorsamsstrafe wird ja noch als Zwangsmittel angesehen
eben dieser Erschütterung des Willens wegen; oben Note 15. -- Andere Beispiele:
Seemannsord. v. 27. Dez. 1872 § 29; Preuss. Gesindeord. v. 8. Nov. 1810 § 51
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 106 Abs. 4 u. 5.
Die Polizeigewalt.

Das gilt ebenso für die Zwangsvollstreckung eines Polizeibefehls.
Die Erzwingung eines Handelns kann durch Gewaltanwendung immer
nur geschehen, sofern ein Mehr an zuzufügenden Übeln zu Gebote
steht, wozu das Gesetz besonders ermächtigt. Und auch dann ist es
immer nur ein Versuch, ein psychologischer Zwang, dessen Erfolg un-
sicher bleibt.

Die Gewaltanwendung kann in dieser Weise wirksam gemacht
werden als bevorstehend, in Gestalt der Drohung; aber da muſs
sie eben immer ein selbständiges Übel bedeuten über das befohlene
Handeln hinaus; denn gewaltsame Herbeiführung des befohlenen
Handelns selbst läſst sich auch als Drohung nicht anwenden, da sie
nicht möglich ist.

Die Gewaltanwendung kann auch dienen sollen zur Erschütte-
rung des widerstrebenden Willens
durch die Übel, die sie
zufügt. Sie vermag dabei insbesondere den Pflichtigen der befohlenen
Handlung näher zu bringen, so daſs der moralische Druck, den die
erfahrene Gewalt ausübt, leicht genügt, um sie zur Vollendung kommen
zu lassen. Man schleppt ihn an den Platz, wo er thätig werden soll,
drückt ihm die Werkzeuge in die Hand, bringt ihn gewaltsam in
Stellung. Mehr kann man nicht thun; aber der gebrochene Wille
macht den letzten Schritt nunmehr von selbst.

Das ist die Art, wie die militärische Requisition in Kriegszeiten
verfährt, verstärkt freilich durch weitere Drohungen.

Ausdrückliche Gesetzesbestimmungen lassen es zu, auch sonst zur
Erzwingung öffentlichrechtlicher Handlungspflichten einen Versuch
dieser Art zu machen; einen Versuch, denn ob der letzte Schritt ge-
than wird, hängt von der Festigkeit des zu überwältigenden Willens
ab. Ein selbstverständliches Zwangsmittel aber, das ohne besonderes
Gesetz in dem vollstreckbaren Befehl naturgemäſs schon enthalten
wäre, ist diese Art der Verwendung der Gewalt niemals, so wenig
wie die Strafe, der sie in Wirkungsweise und rechtlicher Natur ver-
wandt ist31. Ganz falsch ist die häufig verwertete Schluſsfolgerung:
das Gesetz, welches die Behörde anweist, eine Handlung herbei-

31 Stf.Pr.O. § 50 gestattet auſser Geldstrafe und Haft gegen den unentschuldigt
ausgebliebenen Zeugen auch zwangsweise Vorführung; bei der Beratung im Reichs-
tag wurden alle diese „Zwangsmaſsregeln“ erklärt als „Strafen, welche nur von
dem Richter ausgesprochen werden können“ (Hahn, Mat. II S. 1733). Auch die
Verhängung der Ungehorsamsstrafe wird ja noch als Zwangsmittel angesehen
eben dieser Erschütterung des Willens wegen; oben Note 15. — Andere Beispiele:
Seemannsord. v. 27. Dez. 1872 § 29; Preuſs. Gesindeord. v. 8. Nov. 1810 § 51
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 106 Abs. 4 u. 5.
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[344/0364] Die Polizeigewalt. Das gilt ebenso für die Zwangsvollstreckung eines Polizeibefehls. Die Erzwingung eines Handelns kann durch Gewaltanwendung immer nur geschehen, sofern ein Mehr an zuzufügenden Übeln zu Gebote steht, wozu das Gesetz besonders ermächtigt. Und auch dann ist es immer nur ein Versuch, ein psychologischer Zwang, dessen Erfolg un- sicher bleibt. Die Gewaltanwendung kann in dieser Weise wirksam gemacht werden als bevorstehend, in Gestalt der Drohung; aber da muſs sie eben immer ein selbständiges Übel bedeuten über das befohlene Handeln hinaus; denn gewaltsame Herbeiführung des befohlenen Handelns selbst läſst sich auch als Drohung nicht anwenden, da sie nicht möglich ist. Die Gewaltanwendung kann auch dienen sollen zur Erschütte- rung des widerstrebenden Willens durch die Übel, die sie zufügt. Sie vermag dabei insbesondere den Pflichtigen der befohlenen Handlung näher zu bringen, so daſs der moralische Druck, den die erfahrene Gewalt ausübt, leicht genügt, um sie zur Vollendung kommen zu lassen. Man schleppt ihn an den Platz, wo er thätig werden soll, drückt ihm die Werkzeuge in die Hand, bringt ihn gewaltsam in Stellung. Mehr kann man nicht thun; aber der gebrochene Wille macht den letzten Schritt nunmehr von selbst. Das ist die Art, wie die militärische Requisition in Kriegszeiten verfährt, verstärkt freilich durch weitere Drohungen. Ausdrückliche Gesetzesbestimmungen lassen es zu, auch sonst zur Erzwingung öffentlichrechtlicher Handlungspflichten einen Versuch dieser Art zu machen; einen Versuch, denn ob der letzte Schritt ge- than wird, hängt von der Festigkeit des zu überwältigenden Willens ab. Ein selbstverständliches Zwangsmittel aber, das ohne besonderes Gesetz in dem vollstreckbaren Befehl naturgemäſs schon enthalten wäre, ist diese Art der Verwendung der Gewalt niemals, so wenig wie die Strafe, der sie in Wirkungsweise und rechtlicher Natur ver- wandt ist 31. Ganz falsch ist die häufig verwertete Schluſsfolgerung: das Gesetz, welches die Behörde anweist, eine Handlung herbei- 31 Stf.Pr.O. § 50 gestattet auſser Geldstrafe und Haft gegen den unentschuldigt ausgebliebenen Zeugen auch zwangsweise Vorführung; bei der Beratung im Reichs- tag wurden alle diese „Zwangsmaſsregeln“ erklärt als „Strafen, welche nur von dem Richter ausgesprochen werden können“ (Hahn, Mat. II S. 1733). Auch die Verhängung der Ungehorsamsstrafe wird ja noch als Zwangsmittel angesehen eben dieser Erschütterung des Willens wegen; oben Note 15. — Andere Beispiele: Seemannsord. v. 27. Dez. 1872 § 29; Preuſs. Gesindeord. v. 8. Nov. 1810 § 51 Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 106 Abs. 4 u. 5.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/364>, abgerufen am 21.05.2024.