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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
geben sich aufs deutlichste aus dem Vorbilde der civilprozessrecht-
lichen Zwangsvollstreckung
. Es kommt darauf an, was zu
erzwingen ist: Dulden, Unterlassen oder Handeln.

Danach ist das eigentliche Gebiet ihrer Brauchbarkeit die Er-
zwingung eines Duldens. Gewaltanwendung verbindet sich nach
C.Pr.O. § 777 vor allem mit der Ersatzvornahme der schuldigen
Handlung; dafür haben wir das verwaltungsrechtliche Seitenstück
soeben behandelt. Ausserdem findet sie statt zur Erzwingung der
"Duldung" der Vornahme einer handlung des Berechtigten (§ 777),
und ebenso ist sie enthalten in der Wegnahme von Sachen (§ 769),
wie in der Erzwingung der Räumung (§ 771). Auch in den letzteren
Fällen ist das Wesentliche das Dulden der Handlung eines Anderen,
nur dass der Handelnde hier die Obrigkeit selbst ist; deshalb unter-
scheidet die C.Pr.O. diese Fälle von der eigentlichen Duldung.

Für die polizeiliche Zwangsvollstreckung verschwindet dieser Unter-
schied; denn hier sind Obrigkeit und Berechtigter eins. Wir haben
demnach hier den allgemeinen Satz: überall, wo der dem zu er-
zwingenden Befehl entsprechende Erfolg durch ein von dem Pflichtigen
zu duldendes Handeln der Obrigkeit herbeigeführt werden kann, ist
Gewaltanwendung das natürliche Zwangsvollstreckungsmittel dafür27.

Dieses Handeln wird bestehen in einem thatsächlichen Ändern
der von dem Gezwungenen geschaffenen oder aufrechterhaltenen Zu-
stände
gegen seinen Willen, in einem Verfügen über seine
Sachen, seine Unternehmungen:
Wegnahme, Zerstörung und
Veränderung der Sachen, Schliessen des Gewerbebetriebes durch Ver-
sperrung der Thüre für die Kunden und Abweisung derselben, durch
Verhinderung und Wegschicken der Arbeiter, Wegnahme und Un-
benutzbarmachen der Gerätschaften und Maschinen. In Fällen der
letzteren Art hat die einfache Gewaltanwendung eine gewisse Ähnlich-
keit mit der Ersatzvornahme. Aber der Unterschied ist daran zu er-
kennen, dass hier alles in dem Verhindern, Beseitigen besteht, nicht
wie dort eine Arbeit geleistet wird, welche dem Gezwungenen oblag.
Das wird bedeutsam in der Kostenfrage: der Gezwungene hat hier
nichts zu ersetzen; in der Duldung erschöpft sich der Zwang28.

27 Seydel, Bayr. St.R. V S. 10.
28 Die Ersatzvornahme und die einfache Gewaltanwendung sind deutlich ge-
schieden in Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 20 Abs. 1--3 und Abs. 4. -- O.V.G. 1. Aug.
1876 (Samml. I S. 322) bringt einen Fall gewaltsamer Schliessung einer Wirtschaft:
die Behörde lässt einfach das gegen ihr Verbot angebrachte Wirtshausschild, "im
Interesse der öffentlichen Ordnung" mit Teer überstreichen. Das ist sicherlich
keine Ersatzvornahme mit Kostenerstattungspflicht. -- Etwas phrasenhaft begründet
ist eine solche Gewaltanwendung in R.G. 14. Jan. 1882 (Samml. IV S. 363 ff.).

Die Polizeigewalt.
geben sich aufs deutlichste aus dem Vorbilde der civilprozeſsrecht-
lichen Zwangsvollstreckung
. Es kommt darauf an, was zu
erzwingen ist: Dulden, Unterlassen oder Handeln.

Danach ist das eigentliche Gebiet ihrer Brauchbarkeit die Er-
zwingung eines Duldens. Gewaltanwendung verbindet sich nach
C.Pr.O. § 777 vor allem mit der Ersatzvornahme der schuldigen
Handlung; dafür haben wir das verwaltungsrechtliche Seitenstück
soeben behandelt. Auſserdem findet sie statt zur Erzwingung der
„Duldung“ der Vornahme einer handlung des Berechtigten (§ 777),
und ebenso ist sie enthalten in der Wegnahme von Sachen (§ 769),
wie in der Erzwingung der Räumung (§ 771). Auch in den letzteren
Fällen ist das Wesentliche das Dulden der Handlung eines Anderen,
nur daſs der Handelnde hier die Obrigkeit selbst ist; deshalb unter-
scheidet die C.Pr.O. diese Fälle von der eigentlichen Duldung.

Für die polizeiliche Zwangsvollstreckung verschwindet dieser Unter-
schied; denn hier sind Obrigkeit und Berechtigter eins. Wir haben
demnach hier den allgemeinen Satz: überall, wo der dem zu er-
zwingenden Befehl entsprechende Erfolg durch ein von dem Pflichtigen
zu duldendes Handeln der Obrigkeit herbeigeführt werden kann, ist
Gewaltanwendung das natürliche Zwangsvollstreckungsmittel dafür27.

Dieses Handeln wird bestehen in einem thatsächlichen Ändern
der von dem Gezwungenen geschaffenen oder aufrechterhaltenen Zu-
stände
gegen seinen Willen, in einem Verfügen über seine
Sachen, seine Unternehmungen:
Wegnahme, Zerstörung und
Veränderung der Sachen, Schlieſsen des Gewerbebetriebes durch Ver-
sperrung der Thüre für die Kunden und Abweisung derselben, durch
Verhinderung und Wegschicken der Arbeiter, Wegnahme und Un-
benutzbarmachen der Gerätschaften und Maschinen. In Fällen der
letzteren Art hat die einfache Gewaltanwendung eine gewisse Ähnlich-
keit mit der Ersatzvornahme. Aber der Unterschied ist daran zu er-
kennen, daſs hier alles in dem Verhindern, Beseitigen besteht, nicht
wie dort eine Arbeit geleistet wird, welche dem Gezwungenen oblag.
Das wird bedeutsam in der Kostenfrage: der Gezwungene hat hier
nichts zu ersetzen; in der Duldung erschöpft sich der Zwang28.

27 Seydel, Bayr. St.R. V S. 10.
28 Die Ersatzvornahme und die einfache Gewaltanwendung sind deutlich ge-
schieden in Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 20 Abs. 1—3 und Abs. 4. — O.V.G. 1. Aug.
1876 (Samml. I S. 322) bringt einen Fall gewaltsamer Schlieſsung einer Wirtschaft:
die Behörde läſst einfach das gegen ihr Verbot angebrachte Wirtshausschild, „im
Interesse der öffentlichen Ordnung“ mit Teer überstreichen. Das ist sicherlich
keine Ersatzvornahme mit Kostenerstattungspflicht. — Etwas phrasenhaft begründet
ist eine solche Gewaltanwendung in R.G. 14. Jan. 1882 (Samml. IV S. 363 ff.).
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[342/0362] Die Polizeigewalt. geben sich aufs deutlichste aus dem Vorbilde der civilprozeſsrecht- lichen Zwangsvollstreckung. Es kommt darauf an, was zu erzwingen ist: Dulden, Unterlassen oder Handeln. Danach ist das eigentliche Gebiet ihrer Brauchbarkeit die Er- zwingung eines Duldens. Gewaltanwendung verbindet sich nach C.Pr.O. § 777 vor allem mit der Ersatzvornahme der schuldigen Handlung; dafür haben wir das verwaltungsrechtliche Seitenstück soeben behandelt. Auſserdem findet sie statt zur Erzwingung der „Duldung“ der Vornahme einer handlung des Berechtigten (§ 777), und ebenso ist sie enthalten in der Wegnahme von Sachen (§ 769), wie in der Erzwingung der Räumung (§ 771). Auch in den letzteren Fällen ist das Wesentliche das Dulden der Handlung eines Anderen, nur daſs der Handelnde hier die Obrigkeit selbst ist; deshalb unter- scheidet die C.Pr.O. diese Fälle von der eigentlichen Duldung. Für die polizeiliche Zwangsvollstreckung verschwindet dieser Unter- schied; denn hier sind Obrigkeit und Berechtigter eins. Wir haben demnach hier den allgemeinen Satz: überall, wo der dem zu er- zwingenden Befehl entsprechende Erfolg durch ein von dem Pflichtigen zu duldendes Handeln der Obrigkeit herbeigeführt werden kann, ist Gewaltanwendung das natürliche Zwangsvollstreckungsmittel dafür 27. Dieses Handeln wird bestehen in einem thatsächlichen Ändern der von dem Gezwungenen geschaffenen oder aufrechterhaltenen Zu- stände gegen seinen Willen, in einem Verfügen über seine Sachen, seine Unternehmungen: Wegnahme, Zerstörung und Veränderung der Sachen, Schlieſsen des Gewerbebetriebes durch Ver- sperrung der Thüre für die Kunden und Abweisung derselben, durch Verhinderung und Wegschicken der Arbeiter, Wegnahme und Un- benutzbarmachen der Gerätschaften und Maschinen. In Fällen der letzteren Art hat die einfache Gewaltanwendung eine gewisse Ähnlich- keit mit der Ersatzvornahme. Aber der Unterschied ist daran zu er- kennen, daſs hier alles in dem Verhindern, Beseitigen besteht, nicht wie dort eine Arbeit geleistet wird, welche dem Gezwungenen oblag. Das wird bedeutsam in der Kostenfrage: der Gezwungene hat hier nichts zu ersetzen; in der Duldung erschöpft sich der Zwang 28. 27 Seydel, Bayr. St.R. V S. 10. 28 Die Ersatzvornahme und die einfache Gewaltanwendung sind deutlich ge- schieden in Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 20 Abs. 1—3 und Abs. 4. — O.V.G. 1. Aug. 1876 (Samml. I S. 322) bringt einen Fall gewaltsamer Schlieſsung einer Wirtschaft: die Behörde läſst einfach das gegen ihr Verbot angebrachte Wirtshausschild, „im Interesse der öffentlichen Ordnung“ mit Teer überstreichen. Das ist sicherlich keine Ersatzvornahme mit Kostenerstattungspflicht. — Etwas phrasenhaft begründet ist eine solche Gewaltanwendung in R.G. 14. Jan. 1882 (Samml. IV S. 363 ff.).

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/362>, abgerufen am 17.05.2024.