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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
rechtliche Regelung nach Grund und Wirkung erhalten sie in dem
alle Staaten verbindenden Völkerrecht. Darum ist das alles keine
Verwaltung15.

Ferner gehört hierher die Kriegführung. Wenn der Staat
seine Heere dem Feinde entgegen wirft zur Verteidigung des Vater-
landes, Menschenleben vernichtet und Städte zerstört und den fried-
lichen Bevölkerungen Kriegsleistungen auferlegt, so ist das die kraft-
vollste Verfolgung seiner Zwecke, ist weder Gesetzgebung noch
Rechtspflege, aber auch keine Verwaltung. Nicht unser Recht, sondern
das Völkerrecht giebt auch dieser Thätigkeit des Staates die äussere
Regelung. Das Gleiche gilt auch im Innern für den Fall des Bürger-
krieges
. Aber auch die Niederwerfung der Empörung, die noch
nicht förmlich die Natur des Bürgerkrieges angenommen hat, steht
schon ausserhalb unserer Rechtsordnung; sie entlehnt die Freiheit
davon vom Bürgerkriege, ohne zugleich dessen völkerrechtliche Ge-
bundenheit dafür zu erhalten. Im Hinblick auf diese Verwendung ist
die ganze Heereseinrichtung auch innerlich gestaltet: das mili-
tärische Kommando,
das den Kern davon bildet, ist seiner Natur
nach unbedingt und an keine Rechtsschranken gebunden, die Aus-
übung desselben folglich nicht Verwaltung16.

Verwaltung ist es endlich nicht, wenn die bestehende Rechts-
ordnung im höheren Staatsinteresse durchbrochen wird. Die ältere
Lehre hat uns dafür den Begriff des Staatsnotrechts überliefert.
Die Möglichkeit derartiger formloser Gewaltmassregeln ist auch im
Verfassungsstaate nicht ausgeschlossen; die Verantwortlichkeit käme in
Frage für den Fall, dass die "Staatsnot" nicht wirklich vorhanden war.

15 Zorn in Annalen 1882 S. 82 Note 6; Laband, St.R. II S. 1 Note 1.
Wenn Jellinek, Ges. und Verord. S. 341, 342, die völkerrechtlichen Verträge in
die "materielle Kategorie der Verwaltungsthätigkeit" weist, so geht er eben davon
aus, dass der Staat "die objektiven Normen des Völkerrechts zu Sätzen seiner
staatlichen Rechtsordnung" mache. Da wäre dann allerdings auch der völker-
rechtliche Vertrag Thätigkeit des Staats unter der eigenen Rechtsordnung, also
Verwaltung. Die Frage wäre also nur, ob man an diese Nostrifikation des Völker-
rechts glauben will.
16 Laband, St.R. II S. 644; Haenel, St.R. I S. 473 ff. Das von der Ver-
waltung ausgeschlossene Gebiet reicht so weit als die Kraft des unbedingt ver-
bindlichen Kommandos. Den Gegensatz dazu bildet die sonstige staatliche Thätig-
keit für die grosse Anstalt des Heeres; sie findet, soweit sie nicht Gesetz-
gebung ist, unter der Rechtsordnung statt, ist also Militärverwaltung; Haenel,
St.R. I S. 472; Hecker in Wörterbuch I S. 63; G. Meyer, V.R. II S. 35. Dass
zur Militärverwaltung auch die Militärgerichtsbarkeit gerechnet wird, ist nur folge-
richtig.

§ 1. Der Begriff der Verwaltung.
rechtliche Regelung nach Grund und Wirkung erhalten sie in dem
alle Staaten verbindenden Völkerrecht. Darum ist das alles keine
Verwaltung15.

Ferner gehört hierher die Kriegführung. Wenn der Staat
seine Heere dem Feinde entgegen wirft zur Verteidigung des Vater-
landes, Menschenleben vernichtet und Städte zerstört und den fried-
lichen Bevölkerungen Kriegsleistungen auferlegt, so ist das die kraft-
vollste Verfolgung seiner Zwecke, ist weder Gesetzgebung noch
Rechtspflege, aber auch keine Verwaltung. Nicht unser Recht, sondern
das Völkerrecht giebt auch dieser Thätigkeit des Staates die äuſsere
Regelung. Das Gleiche gilt auch im Innern für den Fall des Bürger-
krieges
. Aber auch die Niederwerfung der Empörung, die noch
nicht förmlich die Natur des Bürgerkrieges angenommen hat, steht
schon auſserhalb unserer Rechtsordnung; sie entlehnt die Freiheit
davon vom Bürgerkriege, ohne zugleich dessen völkerrechtliche Ge-
bundenheit dafür zu erhalten. Im Hinblick auf diese Verwendung ist
die ganze Heereseinrichtung auch innerlich gestaltet: das mili-
tärische Kommando,
das den Kern davon bildet, ist seiner Natur
nach unbedingt und an keine Rechtsschranken gebunden, die Aus-
übung desselben folglich nicht Verwaltung16.

Verwaltung ist es endlich nicht, wenn die bestehende Rechts-
ordnung im höheren Staatsinteresse durchbrochen wird. Die ältere
Lehre hat uns dafür den Begriff des Staatsnotrechts überliefert.
Die Möglichkeit derartiger formloser Gewaltmaſsregeln ist auch im
Verfassungsstaate nicht ausgeschlossen; die Verantwortlichkeit käme in
Frage für den Fall, daſs die „Staatsnot“ nicht wirklich vorhanden war.

15 Zorn in Annalen 1882 S. 82 Note 6; Laband, St.R. II S. 1 Note 1.
Wenn Jellinek, Ges. und Verord. S. 341, 342, die völkerrechtlichen Verträge in
die „materielle Kategorie der Verwaltungsthätigkeit“ weist, so geht er eben davon
aus, daſs der Staat „die objektiven Normen des Völkerrechts zu Sätzen seiner
staatlichen Rechtsordnung“ mache. Da wäre dann allerdings auch der völker-
rechtliche Vertrag Thätigkeit des Staats unter der eigenen Rechtsordnung, also
Verwaltung. Die Frage wäre also nur, ob man an diese Nostrifikation des Völker-
rechts glauben will.
16 Laband, St.R. II S. 644; Haenel, St.R. I S. 473 ff. Das von der Ver-
waltung ausgeschlossene Gebiet reicht so weit als die Kraft des unbedingt ver-
bindlichen Kommandos. Den Gegensatz dazu bildet die sonstige staatliche Thätig-
keit für die groſse Anstalt des Heeres; sie findet, soweit sie nicht Gesetz-
gebung ist, unter der Rechtsordnung statt, ist also Militärverwaltung; Haenel,
St.R. I S. 472; Hecker in Wörterbuch I S. 63; G. Meyer, V.R. II S. 35. Daſs
zur Militärverwaltung auch die Militärgerichtsbarkeit gerechnet wird, ist nur folge-
richtig.
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[11/0031] § 1. Der Begriff der Verwaltung. rechtliche Regelung nach Grund und Wirkung erhalten sie in dem alle Staaten verbindenden Völkerrecht. Darum ist das alles keine Verwaltung 15. Ferner gehört hierher die Kriegführung. Wenn der Staat seine Heere dem Feinde entgegen wirft zur Verteidigung des Vater- landes, Menschenleben vernichtet und Städte zerstört und den fried- lichen Bevölkerungen Kriegsleistungen auferlegt, so ist das die kraft- vollste Verfolgung seiner Zwecke, ist weder Gesetzgebung noch Rechtspflege, aber auch keine Verwaltung. Nicht unser Recht, sondern das Völkerrecht giebt auch dieser Thätigkeit des Staates die äuſsere Regelung. Das Gleiche gilt auch im Innern für den Fall des Bürger- krieges. Aber auch die Niederwerfung der Empörung, die noch nicht förmlich die Natur des Bürgerkrieges angenommen hat, steht schon auſserhalb unserer Rechtsordnung; sie entlehnt die Freiheit davon vom Bürgerkriege, ohne zugleich dessen völkerrechtliche Ge- bundenheit dafür zu erhalten. Im Hinblick auf diese Verwendung ist die ganze Heereseinrichtung auch innerlich gestaltet: das mili- tärische Kommando, das den Kern davon bildet, ist seiner Natur nach unbedingt und an keine Rechtsschranken gebunden, die Aus- übung desselben folglich nicht Verwaltung 16. Verwaltung ist es endlich nicht, wenn die bestehende Rechts- ordnung im höheren Staatsinteresse durchbrochen wird. Die ältere Lehre hat uns dafür den Begriff des Staatsnotrechts überliefert. Die Möglichkeit derartiger formloser Gewaltmaſsregeln ist auch im Verfassungsstaate nicht ausgeschlossen; die Verantwortlichkeit käme in Frage für den Fall, daſs die „Staatsnot“ nicht wirklich vorhanden war. 15 Zorn in Annalen 1882 S. 82 Note 6; Laband, St.R. II S. 1 Note 1. Wenn Jellinek, Ges. und Verord. S. 341, 342, die völkerrechtlichen Verträge in die „materielle Kategorie der Verwaltungsthätigkeit“ weist, so geht er eben davon aus, daſs der Staat „die objektiven Normen des Völkerrechts zu Sätzen seiner staatlichen Rechtsordnung“ mache. Da wäre dann allerdings auch der völker- rechtliche Vertrag Thätigkeit des Staats unter der eigenen Rechtsordnung, also Verwaltung. Die Frage wäre also nur, ob man an diese Nostrifikation des Völker- rechts glauben will. 16 Laband, St.R. II S. 644; Haenel, St.R. I S. 473 ff. Das von der Ver- waltung ausgeschlossene Gebiet reicht so weit als die Kraft des unbedingt ver- bindlichen Kommandos. Den Gegensatz dazu bildet die sonstige staatliche Thätig- keit für die groſse Anstalt des Heeres; sie findet, soweit sie nicht Gesetz- gebung ist, unter der Rechtsordnung statt, ist also Militärverwaltung; Haenel, St.R. I S. 472; Hecker in Wörterbuch I S. 63; G. Meyer, V.R. II S. 35. Daſs zur Militärverwaltung auch die Militärgerichtsbarkeit gerechnet wird, ist nur folge- richtig.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/31>, abgerufen am 29.03.2024.