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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 20. Der Polizeibefehl.

Für den polizeilichen Einzelbefehl, die Polizeiverfügung ist zu
unterscheiden.

Als Verwaltungsakt ist die Polizeiverfügung gebunden an alle
Rechtssätze, welche für ihren Gegenstand gegeben sein mögen, nicht
bloss an gesetzliche, nicht bloss an die Verordnungen einer höheren
Stufe, sondern auch an die eigenen Verordnungen und die einer unteren
Stufe8. Sie ist ferner gebunden an Verwaltungsakte, welche für ihren
Gegenstand bereits ergangen sind, sofern sie nicht zuständiger Weise
gerade die Änderung oder Aufhebung eines solchen bezweckt (vgl.
oben § 8, II n. 2).

Soweit sie in diesen rechtlichen Gebundenheiten handelt, kommt
die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt für sie nicht weiter
in Frage; sie ist gedeckt durch die Bestimmung, die sie anwendet,
anpasst, durchführt.

Die Polizeiverfügung kann aber daneben auch berufen sein, mit
eignem Ermessen zu bestimmen, was der Unterthan soll und ihm
Befehl dahin zu erteilen. Das kann geschehen zur Ergänzung des
den Fall nicht vollkommen bestimmenden Rechtssatzes. Noch ent-
schiedener tritt es hervor, wo das Gesetz, wie es im Rechtsstaat
eigentlich nicht soll, der Behörde den ursprünglichen Polizeibefehl für
ein gewisses Gebiet frei überlässt.

Da ist dann die Behörde nicht in der Lage zu thun, was sie
will; die Amtspflicht bindet sie zu wählen, was dem Interesse des
Staates und des Gemeinwesens am besten entspricht; vor allem aber
ist sie gebunden an das, was für Inhalt, Mass und Richtung ihres
Befehls aus der naturrechtlichen Grundlage der Polizeigewalt sich er-
giebt. Ihr Befehl soll nur verwirklichen, was danach schon Pflicht

auch für die Verordnung der unteren Behörde bindend sein. Es handelt sich bei
ihm also vielmehr um eine -- gleichfalls unrichtige -- Übertreibung des Grund-
satzes des Vorrangs der oberen Willenserklärung nach aussen; in Wirklichkeit ist's
hier umgekehrt; vgl. folgende Note.
8 Vgl. oben § 7 Note 10 u. 11. -- O.V.G. 29. Okt. 1883: Die Polizeibehörde
verbietet einer Kunstwollefabrik, mehr als 20 Centner Lumpen in ihren Räumen
gelagert zu halten. Gleich darauf erlässt sie eine Polizeiverordnung, wonach die
Lagerung von Lumpen nur in Quantitäten von mehr als 50 Centnern verboten ist.
Das Gericht erklärt die letztere Bestimmung auch für massgebend gegenüber jener
Fabrik: "denn der Verwaltungsrichter kann keine polizeiliche Anordnung aufrecht-
erhalten, welche das von ihm anzuwendende, d. h. eben das zur Zeit des Spruches
bestehende Recht verletzt." -- Die obere Instanz steht solchen Rechtssätzen ganz
ebenso gebunden gegenüber wie die untere; O.V.G. 30.Nov.1882 (Samml. IX S. 340 1):
"es giebt kein generelles selbstverständliches Dispensationsrecht der Aufsichts-
behörde von Baupolizeiverordnungen".
§ 20. Der Polizeibefehl.

Für den polizeilichen Einzelbefehl, die Polizeiverfügung ist zu
unterscheiden.

Als Verwaltungsakt ist die Polizeiverfügung gebunden an alle
Rechtssätze, welche für ihren Gegenstand gegeben sein mögen, nicht
bloſs an gesetzliche, nicht bloſs an die Verordnungen einer höheren
Stufe, sondern auch an die eigenen Verordnungen und die einer unteren
Stufe8. Sie ist ferner gebunden an Verwaltungsakte, welche für ihren
Gegenstand bereits ergangen sind, sofern sie nicht zuständiger Weise
gerade die Änderung oder Aufhebung eines solchen bezweckt (vgl.
oben § 8, II n. 2).

Soweit sie in diesen rechtlichen Gebundenheiten handelt, kommt
die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt für sie nicht weiter
in Frage; sie ist gedeckt durch die Bestimmung, die sie anwendet,
anpaſst, durchführt.

Die Polizeiverfügung kann aber daneben auch berufen sein, mit
eignem Ermessen zu bestimmen, was der Unterthan soll und ihm
Befehl dahin zu erteilen. Das kann geschehen zur Ergänzung des
den Fall nicht vollkommen bestimmenden Rechtssatzes. Noch ent-
schiedener tritt es hervor, wo das Gesetz, wie es im Rechtsstaat
eigentlich nicht soll, der Behörde den ursprünglichen Polizeibefehl für
ein gewisses Gebiet frei überläſst.

Da ist dann die Behörde nicht in der Lage zu thun, was sie
will; die Amtspflicht bindet sie zu wählen, was dem Interesse des
Staates und des Gemeinwesens am besten entspricht; vor allem aber
ist sie gebunden an das, was für Inhalt, Maſs und Richtung ihres
Befehls aus der naturrechtlichen Grundlage der Polizeigewalt sich er-
giebt. Ihr Befehl soll nur verwirklichen, was danach schon Pflicht

auch für die Verordnung der unteren Behörde bindend sein. Es handelt sich bei
ihm also vielmehr um eine — gleichfalls unrichtige — Übertreibung des Grund-
satzes des Vorrangs der oberen Willenserklärung nach auſsen; in Wirklichkeit ist’s
hier umgekehrt; vgl. folgende Note.
8 Vgl. oben § 7 Note 10 u. 11. — O.V.G. 29. Okt. 1883: Die Polizeibehörde
verbietet einer Kunstwollefabrik, mehr als 20 Centner Lumpen in ihren Räumen
gelagert zu halten. Gleich darauf erläſst sie eine Polizeiverordnung, wonach die
Lagerung von Lumpen nur in Quantitäten von mehr als 50 Centnern verboten ist.
Das Gericht erklärt die letztere Bestimmung auch für maſsgebend gegenüber jener
Fabrik: „denn der Verwaltungsrichter kann keine polizeiliche Anordnung aufrecht-
erhalten, welche das von ihm anzuwendende, d. h. eben das zur Zeit des Spruches
bestehende Recht verletzt.“ — Die obere Instanz steht solchen Rechtssätzen ganz
ebenso gebunden gegenüber wie die untere; O.V.G. 30.Nov.1882 (Samml. IX S. 340 1):
„es giebt kein generelles selbstverständliches Dispensationsrecht der Aufsichts-
behörde von Baupolizeiverordnungen“.
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[277/0297] § 20. Der Polizeibefehl. Für den polizeilichen Einzelbefehl, die Polizeiverfügung ist zu unterscheiden. Als Verwaltungsakt ist die Polizeiverfügung gebunden an alle Rechtssätze, welche für ihren Gegenstand gegeben sein mögen, nicht bloſs an gesetzliche, nicht bloſs an die Verordnungen einer höheren Stufe, sondern auch an die eigenen Verordnungen und die einer unteren Stufe 8. Sie ist ferner gebunden an Verwaltungsakte, welche für ihren Gegenstand bereits ergangen sind, sofern sie nicht zuständiger Weise gerade die Änderung oder Aufhebung eines solchen bezweckt (vgl. oben § 8, II n. 2). Soweit sie in diesen rechtlichen Gebundenheiten handelt, kommt die naturrechtliche Grundlage der Polizeigewalt für sie nicht weiter in Frage; sie ist gedeckt durch die Bestimmung, die sie anwendet, anpaſst, durchführt. Die Polizeiverfügung kann aber daneben auch berufen sein, mit eignem Ermessen zu bestimmen, was der Unterthan soll und ihm Befehl dahin zu erteilen. Das kann geschehen zur Ergänzung des den Fall nicht vollkommen bestimmenden Rechtssatzes. Noch ent- schiedener tritt es hervor, wo das Gesetz, wie es im Rechtsstaat eigentlich nicht soll, der Behörde den ursprünglichen Polizeibefehl für ein gewisses Gebiet frei überläſst. Da ist dann die Behörde nicht in der Lage zu thun, was sie will; die Amtspflicht bindet sie zu wählen, was dem Interesse des Staates und des Gemeinwesens am besten entspricht; vor allem aber ist sie gebunden an das, was für Inhalt, Maſs und Richtung ihres Befehls aus der naturrechtlichen Grundlage der Polizeigewalt sich er- giebt. Ihr Befehl soll nur verwirklichen, was danach schon Pflicht 7 8 Vgl. oben § 7 Note 10 u. 11. — O.V.G. 29. Okt. 1883: Die Polizeibehörde verbietet einer Kunstwollefabrik, mehr als 20 Centner Lumpen in ihren Räumen gelagert zu halten. Gleich darauf erläſst sie eine Polizeiverordnung, wonach die Lagerung von Lumpen nur in Quantitäten von mehr als 50 Centnern verboten ist. Das Gericht erklärt die letztere Bestimmung auch für maſsgebend gegenüber jener Fabrik: „denn der Verwaltungsrichter kann keine polizeiliche Anordnung aufrecht- erhalten, welche das von ihm anzuwendende, d. h. eben das zur Zeit des Spruches bestehende Recht verletzt.“ — Die obere Instanz steht solchen Rechtssätzen ganz ebenso gebunden gegenüber wie die untere; O.V.G. 30.Nov.1882 (Samml. IX S. 340 1): „es giebt kein generelles selbstverständliches Dispensationsrecht der Aufsichts- behörde von Baupolizeiverordnungen“. 7 auch für die Verordnung der unteren Behörde bindend sein. Es handelt sich bei ihm also vielmehr um eine — gleichfalls unrichtige — Übertreibung des Grund- satzes des Vorrangs der oberen Willenserklärung nach auſsen; in Wirklichkeit ist’s hier umgekehrt; vgl. folgende Note.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/297>, abgerufen am 21.05.2024.