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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 20. Der Polizeibefehl.

2. Man darf auch nicht glauben, den Einzelfall dadurch ein-
schmuggeln zu können, dass man ihn unter Wahrung der Formen der
Verordnung erlässt. Abgesehen davon, dass diese Formen, namentlich
die Kundgabe durch Veröffentlichung, dazu gar nicht geeignet sind,
gäbe es immer nur den äusseren Schein einer Verordnung, die in
Wirklichkeit keine ist: sie beweist ja durch ihren Inhalt selbst, dass
es nicht auf Ausübung des Verordnungsrechtes damit abgesehen ist;
die Willenserklärung beansprucht keine allgemeine bindende Kraft
zu äussern; das, weshalb gerade eine Polizeiverordnung und kein
Einzelbefehl verlangt ist, hat sie also nicht. Wenn man gleichwohl von
Rechtssatz und Rechtsvorschrift spricht, so ist das ein leerer Name,
durch welchen das Gesetz sich nicht täuschen lässt5.

3. Es ist auch unzulässig, dass die zur Verordnung ermächtigte
Behörde eine Verordnung erlässt, in welcher sie sich vorbehält, das
was befohlen sein soll, in den Einzelfällen durch polizeiliche Ver-
fügungen kund zu thun. Für diese würde also jetzt schon im voraus
Gehorsam befohlen. Das wäre wohl eine echte Verordnung, gefolgt
von einer echten Verfügung; aber angesichts des Zweckes, den das
Gesetz damit verfolgt hat, dass es gerade eine Verordnung und keinen
Einzelbefehl ermächtigen wollte, geradezu ein Streich, den man ihm
spielte6.

nungsberechtigt ist, grundsätzlich frei bleibt, statt der Verordnung die Einzel-
verfügung zu wählen; O.V.G. 14. März 1886 (Samml. XIII S. 395). Ausdrück-
liche Gesetzesbestimmung kann natürlich auch hier die Einzelverfügung aus-
schliessen; Rosin, Pol.Verord. S. 95. Es darf aber nicht unbemerkt bleiben, dass
gleichwohl auch in Preussen, wenigstens bei den unteren Verwaltungsgerichten,
schon eine Strömung besteht, in solchen Fällen nur die Verordnung für zulässig
zu erklären; O.V.G. 9. Juni 1877, 27. Juni 1877, 9. Juni 1884. In dieser Richtung
liegt offenbar die weitere Entwicklung.
5 Eine solche Umgehung des Gesetzes scheint Rosin, Pol.Verord. S. 95
vorschlagen zu wollen. Er setzt den Fall, dass das Gesetz eine Bestimmung träfe,
der gegenüber nur durch Polizeiverordnung Abweichendes soll bestimmt werden
dürfen: "Hier müsste, wenn ausnahmsweise nur für einen einzelnen Fall der Erlass
eines entgegengesetzten Verbotes oder Gebotes erforderlich wäre, die Abänderung
der gesetzlichen Rechtsvorschrift begrifflich wiederum durch Rechtsvorschrift, d. h.
auf dem Wege der Polizeiverordnung erfolgen". Es giebt keinen "Weg der Polizei-
verordnung" in dem Sinne, wie es einen Weg der Gesetzgebung giebt (oben § 10
Note 9); die Abänderung für den Einzelfall ist einfach unzulässig, so lange das Ge-
setz nicht abgeändert wird.
6 Bl. f. adm. Pr. 1876 S. 289 ff.: Feuerpolizeiliche Anordnungen können nach
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 2 Ziff. 14 nur durch Verordnung (ortspolizeiliche Vorschrift)
getroffen werden. Das ist für die Polizeibehörde unbequem. In München hat man
deshalb eine ortspolizeiliche Vorschrift dahin erlassen: "die Hausbesitzer haben
18*
§ 20. Der Polizeibefehl.

2. Man darf auch nicht glauben, den Einzelfall dadurch ein-
schmuggeln zu können, daſs man ihn unter Wahrung der Formen der
Verordnung erläſst. Abgesehen davon, daſs diese Formen, namentlich
die Kundgabe durch Veröffentlichung, dazu gar nicht geeignet sind,
gäbe es immer nur den äuſseren Schein einer Verordnung, die in
Wirklichkeit keine ist: sie beweist ja durch ihren Inhalt selbst, daſs
es nicht auf Ausübung des Verordnungsrechtes damit abgesehen ist;
die Willenserklärung beansprucht keine allgemeine bindende Kraft
zu äuſsern; das, weshalb gerade eine Polizeiverordnung und kein
Einzelbefehl verlangt ist, hat sie also nicht. Wenn man gleichwohl von
Rechtssatz und Rechtsvorschrift spricht, so ist das ein leerer Name,
durch welchen das Gesetz sich nicht täuschen läſst5.

3. Es ist auch unzulässig, daſs die zur Verordnung ermächtigte
Behörde eine Verordnung erläſst, in welcher sie sich vorbehält, das
was befohlen sein soll, in den Einzelfällen durch polizeiliche Ver-
fügungen kund zu thun. Für diese würde also jetzt schon im voraus
Gehorsam befohlen. Das wäre wohl eine echte Verordnung, gefolgt
von einer echten Verfügung; aber angesichts des Zweckes, den das
Gesetz damit verfolgt hat, daſs es gerade eine Verordnung und keinen
Einzelbefehl ermächtigen wollte, geradezu ein Streich, den man ihm
spielte6.

nungsberechtigt ist, grundsätzlich frei bleibt, statt der Verordnung die Einzel-
verfügung zu wählen; O.V.G. 14. März 1886 (Samml. XIII S. 395). Ausdrück-
liche Gesetzesbestimmung kann natürlich auch hier die Einzelverfügung aus-
schlieſsen; Rosin, Pol.Verord. S. 95. Es darf aber nicht unbemerkt bleiben, daſs
gleichwohl auch in Preuſsen, wenigstens bei den unteren Verwaltungsgerichten,
schon eine Strömung besteht, in solchen Fällen nur die Verordnung für zulässig
zu erklären; O.V.G. 9. Juni 1877, 27. Juni 1877, 9. Juni 1884. In dieser Richtung
liegt offenbar die weitere Entwicklung.
5 Eine solche Umgehung des Gesetzes scheint Rosin, Pol.Verord. S. 95
vorschlagen zu wollen. Er setzt den Fall, daſs das Gesetz eine Bestimmung träfe,
der gegenüber nur durch Polizeiverordnung Abweichendes soll bestimmt werden
dürfen: „Hier müſste, wenn ausnahmsweise nur für einen einzelnen Fall der Erlaſs
eines entgegengesetzten Verbotes oder Gebotes erforderlich wäre, die Abänderung
der gesetzlichen Rechtsvorschrift begrifflich wiederum durch Rechtsvorschrift, d. h.
auf dem Wege der Polizeiverordnung erfolgen“. Es giebt keinen „Weg der Polizei-
verordnung“ in dem Sinne, wie es einen Weg der Gesetzgebung giebt (oben § 10
Note 9); die Abänderung für den Einzelfall ist einfach unzulässig, so lange das Ge-
setz nicht abgeändert wird.
6 Bl. f. adm. Pr. 1876 S. 289 ff.: Feuerpolizeiliche Anordnungen können nach
Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 2 Ziff. 14 nur durch Verordnung (ortspolizeiliche Vorschrift)
getroffen werden. Das ist für die Polizeibehörde unbequem. In München hat man
deshalb eine ortspolizeiliche Vorschrift dahin erlassen: „die Hausbesitzer haben
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[275/0295] § 20. Der Polizeibefehl. 2. Man darf auch nicht glauben, den Einzelfall dadurch ein- schmuggeln zu können, daſs man ihn unter Wahrung der Formen der Verordnung erläſst. Abgesehen davon, daſs diese Formen, namentlich die Kundgabe durch Veröffentlichung, dazu gar nicht geeignet sind, gäbe es immer nur den äuſseren Schein einer Verordnung, die in Wirklichkeit keine ist: sie beweist ja durch ihren Inhalt selbst, daſs es nicht auf Ausübung des Verordnungsrechtes damit abgesehen ist; die Willenserklärung beansprucht keine allgemeine bindende Kraft zu äuſsern; das, weshalb gerade eine Polizeiverordnung und kein Einzelbefehl verlangt ist, hat sie also nicht. Wenn man gleichwohl von Rechtssatz und Rechtsvorschrift spricht, so ist das ein leerer Name, durch welchen das Gesetz sich nicht täuschen läſst 5. 3. Es ist auch unzulässig, daſs die zur Verordnung ermächtigte Behörde eine Verordnung erläſst, in welcher sie sich vorbehält, das was befohlen sein soll, in den Einzelfällen durch polizeiliche Ver- fügungen kund zu thun. Für diese würde also jetzt schon im voraus Gehorsam befohlen. Das wäre wohl eine echte Verordnung, gefolgt von einer echten Verfügung; aber angesichts des Zweckes, den das Gesetz damit verfolgt hat, daſs es gerade eine Verordnung und keinen Einzelbefehl ermächtigen wollte, geradezu ein Streich, den man ihm spielte 6. 4 5 Eine solche Umgehung des Gesetzes scheint Rosin, Pol.Verord. S. 95 vorschlagen zu wollen. Er setzt den Fall, daſs das Gesetz eine Bestimmung träfe, der gegenüber nur durch Polizeiverordnung Abweichendes soll bestimmt werden dürfen: „Hier müſste, wenn ausnahmsweise nur für einen einzelnen Fall der Erlaſs eines entgegengesetzten Verbotes oder Gebotes erforderlich wäre, die Abänderung der gesetzlichen Rechtsvorschrift begrifflich wiederum durch Rechtsvorschrift, d. h. auf dem Wege der Polizeiverordnung erfolgen“. Es giebt keinen „Weg der Polizei- verordnung“ in dem Sinne, wie es einen Weg der Gesetzgebung giebt (oben § 10 Note 9); die Abänderung für den Einzelfall ist einfach unzulässig, so lange das Ge- setz nicht abgeändert wird. 6 Bl. f. adm. Pr. 1876 S. 289 ff.: Feuerpolizeiliche Anordnungen können nach Bayr. Pol.Stf.G.B. Art. 2 Ziff. 14 nur durch Verordnung (ortspolizeiliche Vorschrift) getroffen werden. Das ist für die Polizeibehörde unbequem. In München hat man deshalb eine ortspolizeiliche Vorschrift dahin erlassen: „die Hausbesitzer haben 4 nungsberechtigt ist, grundsätzlich frei bleibt, statt der Verordnung die Einzel- verfügung zu wählen; O.V.G. 14. März 1886 (Samml. XIII S. 395). Ausdrück- liche Gesetzesbestimmung kann natürlich auch hier die Einzelverfügung aus- schlieſsen; Rosin, Pol.Verord. S. 95. Es darf aber nicht unbemerkt bleiben, daſs gleichwohl auch in Preuſsen, wenigstens bei den unteren Verwaltungsgerichten, schon eine Strömung besteht, in solchen Fällen nur die Verordnung für zulässig zu erklären; O.V.G. 9. Juni 1877, 27. Juni 1877, 9. Juni 1884. In dieser Richtung liegt offenbar die weitere Entwicklung. 18*

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/295>, abgerufen am 23.11.2024.