Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Polizeigewalt.

Umgekehrt kann auch die Freiheit des Verletzten in Be-
tracht kommen. Verletzung eines Einzelnen durch strafbare Hand-
lungen ist stets zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemein-
wesens. Allein so weit es vom Willen des Verletzten abhängt, die
Strafbarkeit (Einwilligung!) oder die Strafverfolgung (Antragsdelikt!)
auszuschliessen, kann die Polizeigewalt, auch hier schon, gegen diesen
Willen Abwehrmassregeln nur treffen, wenn besondere selbständige
Gesichtspunkte sie dazu berufen. Noch deutlicher wird dieses Ver-
hältnis in rein civilrechtlichen Beziehungen. Wenn das Civil-
recht zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, so ist das civil-
rechtliche Unrecht ohne Zweifel eine Störung derselben. Allein die
gute Ordnung besteht hier gerade darin, dass der Verletzte selbst
berufen ist, die Beseitigung der Störung zu bewirken, und dass der
Verletzer nur auf diesem Wege gezwungen werde. Die Polizeibehörde
würde hier vielleicht in die Zuständigkeit der Gerichte eingreifen,
wenn sie sich der Herstellung der civilrechtlichen Ordnung annehmen
wollte. Die Hauptsache ist, dass sie dadurch eingreifen würde in die
Freiheit der Beteiligten, deren Recht und Pflicht es ist, solche Dinge
unter sich auszumachen, ohne dass die Gesellschaft sich anders darein
legen könnte als zur Hülfeleistung in der Form der Civilrechtspflege.

Wenn die Polizeigewalt "zum Schutze von Privatrechten" gegen
civilrechtliches Unrecht auftritt, so ist das nur Schein; in Wirklich-
keit ist es immer ein selbständig daneben stehendes Interesse der
guten Ordnung, welches sie im Auge hat4.

Raucherzeugung vor, ein Missbrauch der freien Bewegung, welche in der Gesell-
schaft jedem gestattet ist. -- Mehr als allgemeine Gesichtspunkte lassen sich hier
nicht geben; und doch handelt es sich um Rechtsschranken, die schliesslich an
einem Punkte wirksam werden.
4 Das ältere Recht hat allerdings ein konkurrierendes öffentliches Interesse
nur allzu leicht angenommen. Foerstemann, Pol.R. S. 6--13, führt eine Reihe
von Fällen auf. Ein Hauptgebiet dafür ist jetzt noch das Gesindewesen, wo privat-
rechtliche Verträge im öffentlichen Interesse polizeilich geschützt werden. -- Aus
der neueren Rechtsübung: O.V.G. 18. Sept. 1878 spricht aus, dass die Polizei "gegen
Nachteile aus freiwilligen Handlungen anderer nur schütze im Falle der Strafbar-
keit". -- O.V.G. 26. März 1881 missbilligt es, dass die Polizeibehörde einem Dienst-
herrn befohlen hatte, dem abziehenden Knechte die zurückgehaltenen Sachen
herauszugeben, "die Polizei schützt nur gegen Gefahren nicht gegen Nachteile (?)
und die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen ist ihr grundsätzlich entzogen". --
Sächs. Min.Verord. 30. Mai 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279) hebt eine Polizei-
verfügung auf, durch welche auf Grund des B.G.B. Art. 359 dem Nachbar eine
Änderung an seinem Grundstücke auferlegt worden war: "die Polizeibehörde hat
nur das öffentliche Recht (soll wohl heissen: das öffentliche Interesse), nicht das
Nachbarrecht zu schützen".
Die Polizeigewalt.

Umgekehrt kann auch die Freiheit des Verletzten in Be-
tracht kommen. Verletzung eines Einzelnen durch strafbare Hand-
lungen ist stets zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemein-
wesens. Allein so weit es vom Willen des Verletzten abhängt, die
Strafbarkeit (Einwilligung!) oder die Strafverfolgung (Antragsdelikt!)
auszuschlieſsen, kann die Polizeigewalt, auch hier schon, gegen diesen
Willen Abwehrmaſsregeln nur treffen, wenn besondere selbständige
Gesichtspunkte sie dazu berufen. Noch deutlicher wird dieses Ver-
hältnis in rein civilrechtlichen Beziehungen. Wenn das Civil-
recht zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, so ist das civil-
rechtliche Unrecht ohne Zweifel eine Störung derselben. Allein die
gute Ordnung besteht hier gerade darin, daſs der Verletzte selbst
berufen ist, die Beseitigung der Störung zu bewirken, und daſs der
Verletzer nur auf diesem Wege gezwungen werde. Die Polizeibehörde
würde hier vielleicht in die Zuständigkeit der Gerichte eingreifen,
wenn sie sich der Herstellung der civilrechtlichen Ordnung annehmen
wollte. Die Hauptsache ist, daſs sie dadurch eingreifen würde in die
Freiheit der Beteiligten, deren Recht und Pflicht es ist, solche Dinge
unter sich auszumachen, ohne daſs die Gesellschaft sich anders darein
legen könnte als zur Hülfeleistung in der Form der Civilrechtspflege.

Wenn die Polizeigewalt „zum Schutze von Privatrechten“ gegen
civilrechtliches Unrecht auftritt, so ist das nur Schein; in Wirklich-
keit ist es immer ein selbständig daneben stehendes Interesse der
guten Ordnung, welches sie im Auge hat4.

Raucherzeugung vor, ein Miſsbrauch der freien Bewegung, welche in der Gesell-
schaft jedem gestattet ist. — Mehr als allgemeine Gesichtspunkte lassen sich hier
nicht geben; und doch handelt es sich um Rechtsschranken, die schlieſslich an
einem Punkte wirksam werden.
4 Das ältere Recht hat allerdings ein konkurrierendes öffentliches Interesse
nur allzu leicht angenommen. Foerstemann, Pol.R. S. 6—13, führt eine Reihe
von Fällen auf. Ein Hauptgebiet dafür ist jetzt noch das Gesindewesen, wo privat-
rechtliche Verträge im öffentlichen Interesse polizeilich geschützt werden. — Aus
der neueren Rechtsübung: O.V.G. 18. Sept. 1878 spricht aus, daſs die Polizei „gegen
Nachteile aus freiwilligen Handlungen anderer nur schütze im Falle der Strafbar-
keit“. — O.V.G. 26. März 1881 miſsbilligt es, daſs die Polizeibehörde einem Dienst-
herrn befohlen hatte, dem abziehenden Knechte die zurückgehaltenen Sachen
herauszugeben, „die Polizei schützt nur gegen Gefahren nicht gegen Nachteile (?)
und die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen ist ihr grundsätzlich entzogen“. —
Sächs. Min.Verord. 30. Mai 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279) hebt eine Polizei-
verfügung auf, durch welche auf Grund des B.G.B. Art. 359 dem Nachbar eine
Änderung an seinem Grundstücke auferlegt worden war: „die Polizeibehörde hat
nur das öffentliche Recht (soll wohl heiſsen: das öffentliche Interesse), nicht das
Nachbarrecht zu schützen“.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0282" n="262"/>
              <fw place="top" type="header">Die Polizeigewalt.</fw><lb/>
              <p>Umgekehrt kann auch die <hi rendition="#g">Freiheit des Verletzten</hi> in Be-<lb/>
tracht kommen. Verletzung eines Einzelnen durch <hi rendition="#g">strafbare</hi> Hand-<lb/>
lungen ist stets zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemein-<lb/>
wesens. Allein so weit es vom Willen des Verletzten abhängt, die<lb/>
Strafbarkeit (Einwilligung!) oder die Strafverfolgung (Antragsdelikt!)<lb/>
auszuschlie&#x017F;sen, kann die Polizeigewalt, auch hier schon, gegen diesen<lb/>
Willen Abwehrma&#x017F;sregeln nur treffen, wenn besondere selbständige<lb/>
Gesichtspunkte sie dazu berufen. Noch deutlicher wird dieses Ver-<lb/>
hältnis in <hi rendition="#g">rein civilrechtlichen</hi> Beziehungen. Wenn das Civil-<lb/>
recht zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, so ist das civil-<lb/>
rechtliche Unrecht ohne Zweifel eine Störung derselben. Allein die<lb/>
gute Ordnung besteht hier gerade darin, da&#x017F;s der Verletzte selbst<lb/>
berufen ist, die Beseitigung der Störung zu bewirken, und da&#x017F;s der<lb/>
Verletzer nur auf diesem Wege gezwungen werde. Die Polizeibehörde<lb/>
würde hier vielleicht in die Zuständigkeit der Gerichte eingreifen,<lb/>
wenn sie sich der Herstellung der civilrechtlichen Ordnung annehmen<lb/>
wollte. Die Hauptsache ist, da&#x017F;s sie dadurch eingreifen würde in die<lb/>
Freiheit der Beteiligten, deren Recht und Pflicht es ist, solche Dinge<lb/>
unter sich auszumachen, ohne da&#x017F;s die Gesellschaft sich anders darein<lb/>
legen könnte als zur Hülfeleistung in der Form der Civilrechtspflege.</p><lb/>
              <p>Wenn die Polizeigewalt &#x201E;zum Schutze von Privatrechten&#x201C; gegen<lb/>
civilrechtliches Unrecht auftritt, so ist das nur Schein; in Wirklich-<lb/>
keit ist es immer ein selbständig daneben stehendes Interesse der<lb/>
guten Ordnung, welches sie im Auge hat<note place="foot" n="4">Das ältere Recht hat allerdings ein konkurrierendes öffentliches Interesse<lb/>
nur allzu leicht angenommen. <hi rendition="#g">Foerstemann,</hi> Pol.R. S. 6&#x2014;13, führt eine Reihe<lb/>
von Fällen auf. Ein Hauptgebiet dafür ist jetzt noch das Gesindewesen, wo privat-<lb/>
rechtliche Verträge im öffentlichen Interesse polizeilich geschützt werden. &#x2014; Aus<lb/>
der neueren Rechtsübung: O.V.G. 18. Sept. 1878 spricht aus, da&#x017F;s die Polizei &#x201E;gegen<lb/>
Nachteile aus freiwilligen Handlungen anderer nur schütze im Falle der Strafbar-<lb/>
keit&#x201C;. &#x2014; O.V.G. 26. März 1881 mi&#x017F;sbilligt es, da&#x017F;s die Polizeibehörde einem Dienst-<lb/>
herrn befohlen hatte, dem abziehenden Knechte die zurückgehaltenen Sachen<lb/>
herauszugeben, &#x201E;die Polizei schützt nur gegen Gefahren nicht gegen Nachteile (?)<lb/>
und die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen ist ihr grundsätzlich entzogen&#x201C;. &#x2014;<lb/>
Sächs. Min.Verord. 30. Mai 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279) hebt eine Polizei-<lb/>
verfügung auf, durch welche auf Grund des B.G.B. Art. 359 dem Nachbar eine<lb/>
Änderung an seinem Grundstücke auferlegt worden war: &#x201E;die Polizeibehörde hat<lb/>
nur das öffentliche Recht (soll wohl hei&#x017F;sen: das öffentliche Interesse), nicht das<lb/>
Nachbarrecht zu schützen&#x201C;.</note>.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_57_2" prev="#seg2pn_57_1" place="foot" n="3">Raucherzeugung vor, ein Mi&#x017F;sbrauch der freien Bewegung, welche in der Gesell-<lb/>
schaft jedem gestattet ist. &#x2014; Mehr als allgemeine Gesichtspunkte lassen sich hier<lb/>
nicht geben; und doch handelt es sich um Rechtsschranken, die schlie&#x017F;slich an<lb/>
einem Punkte wirksam werden.</note>
              </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0282] Die Polizeigewalt. Umgekehrt kann auch die Freiheit des Verletzten in Be- tracht kommen. Verletzung eines Einzelnen durch strafbare Hand- lungen ist stets zugleich eine Störung der guten Ordnung des Gemein- wesens. Allein so weit es vom Willen des Verletzten abhängt, die Strafbarkeit (Einwilligung!) oder die Strafverfolgung (Antragsdelikt!) auszuschlieſsen, kann die Polizeigewalt, auch hier schon, gegen diesen Willen Abwehrmaſsregeln nur treffen, wenn besondere selbständige Gesichtspunkte sie dazu berufen. Noch deutlicher wird dieses Ver- hältnis in rein civilrechtlichen Beziehungen. Wenn das Civil- recht zur guten Ordnung des Gemeinwesens gehört, so ist das civil- rechtliche Unrecht ohne Zweifel eine Störung derselben. Allein die gute Ordnung besteht hier gerade darin, daſs der Verletzte selbst berufen ist, die Beseitigung der Störung zu bewirken, und daſs der Verletzer nur auf diesem Wege gezwungen werde. Die Polizeibehörde würde hier vielleicht in die Zuständigkeit der Gerichte eingreifen, wenn sie sich der Herstellung der civilrechtlichen Ordnung annehmen wollte. Die Hauptsache ist, daſs sie dadurch eingreifen würde in die Freiheit der Beteiligten, deren Recht und Pflicht es ist, solche Dinge unter sich auszumachen, ohne daſs die Gesellschaft sich anders darein legen könnte als zur Hülfeleistung in der Form der Civilrechtspflege. Wenn die Polizeigewalt „zum Schutze von Privatrechten“ gegen civilrechtliches Unrecht auftritt, so ist das nur Schein; in Wirklich- keit ist es immer ein selbständig daneben stehendes Interesse der guten Ordnung, welches sie im Auge hat 4. 3 4 Das ältere Recht hat allerdings ein konkurrierendes öffentliches Interesse nur allzu leicht angenommen. Foerstemann, Pol.R. S. 6—13, führt eine Reihe von Fällen auf. Ein Hauptgebiet dafür ist jetzt noch das Gesindewesen, wo privat- rechtliche Verträge im öffentlichen Interesse polizeilich geschützt werden. — Aus der neueren Rechtsübung: O.V.G. 18. Sept. 1878 spricht aus, daſs die Polizei „gegen Nachteile aus freiwilligen Handlungen anderer nur schütze im Falle der Strafbar- keit“. — O.V.G. 26. März 1881 miſsbilligt es, daſs die Polizeibehörde einem Dienst- herrn befohlen hatte, dem abziehenden Knechte die zurückgehaltenen Sachen herauszugeben, „die Polizei schützt nur gegen Gefahren nicht gegen Nachteile (?) und die Ordnung privatrechtlicher Beziehungen ist ihr grundsätzlich entzogen“. — Sächs. Min.Verord. 30. Mai 1880 (Sächs. Ztschft. f. Pr. I S. 279) hebt eine Polizei- verfügung auf, durch welche auf Grund des B.G.B. Art. 359 dem Nachbar eine Änderung an seinem Grundstücke auferlegt worden war: „die Polizeibehörde hat nur das öffentliche Recht (soll wohl heiſsen: das öffentliche Interesse), nicht das Nachbarrecht zu schützen“. 3 Raucherzeugung vor, ein Miſsbrauch der freien Bewegung, welche in der Gesell- schaft jedem gestattet ist. — Mehr als allgemeine Gesichtspunkte lassen sich hier nicht geben; und doch handelt es sich um Rechtsschranken, die schlieſslich an einem Punkte wirksam werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/282
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/282>, abgerufen am 28.11.2024.