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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

III. Die Polizei ist gegenüber der Polizeigewalt der weitere
Begriff. Die Polizeigewalt ist Erscheinung der öffentlichen Gewalt
zur Geltendmachung jener allgemeinen Unterthanenpflicht. Die Polizei
ist eine Art der Staatsthätigkeit, gekennzeichnet dadurch, dass sie mit
der Polizeigewalt arbeitet. Die Polizeigewalt bildet immer ihren Kern
und Mittelpunkt, aber als lebendige Staatsthätigkeit fügt sie noch
allerlei Hülfsthätigkeit hinzu, welche die Hauptsache vorbereiten
und unterstützen soll. Die Hülfsthätigkeit ist zum Teil juristisch
farblos, indem dabei eine rechtlich bedeutsame Einwirkung auf den
Unterthanen überhaupt nicht geübt wird; dahin gehört die ständige
Aufsicht auf die zu schützenden öffentlichen Zustände, auf die Vor-
gänge, welche sie zu schädigen geeignet sind, die Sammlung und
Ordnung von Beobachtungen, Erteilung von Warnungen und Be-
lehrungen.

Damit allein schon vermag die Polizei besondere Verwaltungs-
zweige zu bilden: Fremdenpolizei, Presspolizei, Vereins- und Ver-
sammlungspolizei.

Sie verbindet sich aber auch für einen gemeinsamen Zweck mit
allerlei sonstiger Verwaltungsthätigkeit, die ihre eigenen
Rechtsformen hat, sei es dass diese als Hülfsthätigkeit für sie erscheint
(Bestellung des Polizeipersonals, Beschaffung sachlicher Mittel, poli-
zeiliche Anstalten), sei es dass umgekehrt sie die Hülfsthätigkeit bildet

Annalen 1881 S. 574). Damit kommt die reine Verneinung der vom Individuum aus-
gehenden Störung als ihr Ziel zum Ausdruck im Gegensatz zu Nützlichkeiten, die
geschaffen werden sollen. G. Meyer aber, der diese Bezeichnung, Freiheits-
beschränkung, von der Polizei gleichfalls gebraucht, entzieht ihr sofort wieder ihren
bestimmten guten Sinn, indem er hinzufügt: die Freiheitsbeschränkung könne auch
zu "positiver Förderung" geschehen (V.R. I S. 72). Der Zweck dieser Verwischung
ist, wie aus Note 6 daselbst hervorgeht, auch den Schulzwang Polizei nennen zu
können. -- Das nämliche Ziel erreicht Pözl, Grundriss zu Vorlesungen über
Polizei, in anderer Weise. Die Polizei ist, wie er (§ 1) richtig sagt, auf Abwehr
von Gefährdungen gerichtet. Er möchte aber doch gewisse Einrichtungen der
Wohlfahrtspflege nach alter Weise noch zur Polizei zählen und dazu genügt es
ihm, im Hintergrunde irgend eine Gefahr aufweisen zu können, die bekämpft wird.
So beginnt denn der besondere Teil unter dem Titel "Bekämpfung der allgemeinen
Ordnungsgefahren" mit Schullast und Schulpflicht. Warum nicht? Die Über-
schrift nennt ausdrücklich die "Gefahren", welche hier bekämpft werden; es sind
"Unwissenheit und sittliche Verkommenheit". Der Polizeicharakter ist also ge-
rettet. Ebenso sind dann auch Zwangsgenossenschaften für Bewässerungsanlagen
Polizeimassregeln gegen die Gefahren der Trockenheit, Armenlasten solche gegen
die Gefahren der Armut u. s. w. -- Man sieht wie, die an sich richtige, aber nicht
tiefer verstandene Formel der Begriffsbestimmung bei der Anwendung die vollste
Planlosigkeit gestattet.
Die Polizeigewalt.

III. Die Polizei ist gegenüber der Polizeigewalt der weitere
Begriff. Die Polizeigewalt ist Erscheinung der öffentlichen Gewalt
zur Geltendmachung jener allgemeinen Unterthanenpflicht. Die Polizei
ist eine Art der Staatsthätigkeit, gekennzeichnet dadurch, daſs sie mit
der Polizeigewalt arbeitet. Die Polizeigewalt bildet immer ihren Kern
und Mittelpunkt, aber als lebendige Staatsthätigkeit fügt sie noch
allerlei Hülfsthätigkeit hinzu, welche die Hauptsache vorbereiten
und unterstützen soll. Die Hülfsthätigkeit ist zum Teil juristisch
farblos, indem dabei eine rechtlich bedeutsame Einwirkung auf den
Unterthanen überhaupt nicht geübt wird; dahin gehört die ständige
Aufsicht auf die zu schützenden öffentlichen Zustände, auf die Vor-
gänge, welche sie zu schädigen geeignet sind, die Sammlung und
Ordnung von Beobachtungen, Erteilung von Warnungen und Be-
lehrungen.

Damit allein schon vermag die Polizei besondere Verwaltungs-
zweige zu bilden: Fremdenpolizei, Preſspolizei, Vereins- und Ver-
sammlungspolizei.

Sie verbindet sich aber auch für einen gemeinsamen Zweck mit
allerlei sonstiger Verwaltungsthätigkeit, die ihre eigenen
Rechtsformen hat, sei es daſs diese als Hülfsthätigkeit für sie erscheint
(Bestellung des Polizeipersonals, Beschaffung sachlicher Mittel, poli-
zeiliche Anstalten), sei es daſs umgekehrt sie die Hülfsthätigkeit bildet

Annalen 1881 S. 574). Damit kommt die reine Verneinung der vom Individuum aus-
gehenden Störung als ihr Ziel zum Ausdruck im Gegensatz zu Nützlichkeiten, die
geschaffen werden sollen. G. Meyer aber, der diese Bezeichnung, Freiheits-
beschränkung, von der Polizei gleichfalls gebraucht, entzieht ihr sofort wieder ihren
bestimmten guten Sinn, indem er hinzufügt: die Freiheitsbeschränkung könne auch
zu „positiver Förderung“ geschehen (V.R. I S. 72). Der Zweck dieser Verwischung
ist, wie aus Note 6 daselbst hervorgeht, auch den Schulzwang Polizei nennen zu
können. — Das nämliche Ziel erreicht Pözl, Grundriſs zu Vorlesungen über
Polizei, in anderer Weise. Die Polizei ist, wie er (§ 1) richtig sagt, auf Abwehr
von Gefährdungen gerichtet. Er möchte aber doch gewisse Einrichtungen der
Wohlfahrtspflege nach alter Weise noch zur Polizei zählen und dazu genügt es
ihm, im Hintergrunde irgend eine Gefahr aufweisen zu können, die bekämpft wird.
So beginnt denn der besondere Teil unter dem Titel „Bekämpfung der allgemeinen
Ordnungsgefahren“ mit Schullast und Schulpflicht. Warum nicht? Die Über-
schrift nennt ausdrücklich die „Gefahren“, welche hier bekämpft werden; es sind
„Unwissenheit und sittliche Verkommenheit“. Der Polizeicharakter ist also ge-
rettet. Ebenso sind dann auch Zwangsgenossenschaften für Bewässerungsanlagen
Polizeimaſsregeln gegen die Gefahren der Trockenheit, Armenlasten solche gegen
die Gefahren der Armut u. s. w. — Man sieht wie, die an sich richtige, aber nicht
tiefer verstandene Formel der Begriffsbestimmung bei der Anwendung die vollste
Planlosigkeit gestattet.
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[254/0274] Die Polizeigewalt. III. Die Polizei ist gegenüber der Polizeigewalt der weitere Begriff. Die Polizeigewalt ist Erscheinung der öffentlichen Gewalt zur Geltendmachung jener allgemeinen Unterthanenpflicht. Die Polizei ist eine Art der Staatsthätigkeit, gekennzeichnet dadurch, daſs sie mit der Polizeigewalt arbeitet. Die Polizeigewalt bildet immer ihren Kern und Mittelpunkt, aber als lebendige Staatsthätigkeit fügt sie noch allerlei Hülfsthätigkeit hinzu, welche die Hauptsache vorbereiten und unterstützen soll. Die Hülfsthätigkeit ist zum Teil juristisch farblos, indem dabei eine rechtlich bedeutsame Einwirkung auf den Unterthanen überhaupt nicht geübt wird; dahin gehört die ständige Aufsicht auf die zu schützenden öffentlichen Zustände, auf die Vor- gänge, welche sie zu schädigen geeignet sind, die Sammlung und Ordnung von Beobachtungen, Erteilung von Warnungen und Be- lehrungen. Damit allein schon vermag die Polizei besondere Verwaltungs- zweige zu bilden: Fremdenpolizei, Preſspolizei, Vereins- und Ver- sammlungspolizei. Sie verbindet sich aber auch für einen gemeinsamen Zweck mit allerlei sonstiger Verwaltungsthätigkeit, die ihre eigenen Rechtsformen hat, sei es daſs diese als Hülfsthätigkeit für sie erscheint (Bestellung des Polizeipersonals, Beschaffung sachlicher Mittel, poli- zeiliche Anstalten), sei es daſs umgekehrt sie die Hülfsthätigkeit bildet 20 20 Annalen 1881 S. 574). Damit kommt die reine Verneinung der vom Individuum aus- gehenden Störung als ihr Ziel zum Ausdruck im Gegensatz zu Nützlichkeiten, die geschaffen werden sollen. G. Meyer aber, der diese Bezeichnung, Freiheits- beschränkung, von der Polizei gleichfalls gebraucht, entzieht ihr sofort wieder ihren bestimmten guten Sinn, indem er hinzufügt: die Freiheitsbeschränkung könne auch zu „positiver Förderung“ geschehen (V.R. I S. 72). Der Zweck dieser Verwischung ist, wie aus Note 6 daselbst hervorgeht, auch den Schulzwang Polizei nennen zu können. — Das nämliche Ziel erreicht Pözl, Grundriſs zu Vorlesungen über Polizei, in anderer Weise. Die Polizei ist, wie er (§ 1) richtig sagt, auf Abwehr von Gefährdungen gerichtet. Er möchte aber doch gewisse Einrichtungen der Wohlfahrtspflege nach alter Weise noch zur Polizei zählen und dazu genügt es ihm, im Hintergrunde irgend eine Gefahr aufweisen zu können, die bekämpft wird. So beginnt denn der besondere Teil unter dem Titel „Bekämpfung der allgemeinen Ordnungsgefahren“ mit Schullast und Schulpflicht. Warum nicht? Die Über- schrift nennt ausdrücklich die „Gefahren“, welche hier bekämpft werden; es sind „Unwissenheit und sittliche Verkommenheit“. Der Polizeicharakter ist also ge- rettet. Ebenso sind dann auch Zwangsgenossenschaften für Bewässerungsanlagen Polizeimaſsregeln gegen die Gefahren der Trockenheit, Armenlasten solche gegen die Gefahren der Armut u. s. w. — Man sieht wie, die an sich richtige, aber nicht tiefer verstandene Formel der Begriffsbestimmung bei der Anwendung die vollste Planlosigkeit gestattet.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/274>, abgerufen am 21.05.2024.