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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
waltungsrechts, das ist gerade diese Grundlage einer bereits gegebenen
allgemeinen Pflicht, die sie nur verwirklicht und geltend macht.

Wir sind völlig daran gewöhnt, dass man sich in Gesetzgebung
und Rechtshandhabung auf polizeiliche Pflichten beruft, die
rechtlich bestimmt und bedeutsam wären vor aller staatlichen Ord-
nung17.

Unser Rechtsstaat, der Voraussetzung und Gegenstand obrigkeit-
licher Gewalteingriffe sonst gar nicht genau genug bestimmen kann,
duldet in polizeilichen Dingen überall den weitgehendsten Spielraum
und die allgemeinsten Ermächtigungen: die Bestimmtheit der
vorausgesetzten polizeilichen Pflicht giebt auch diesen Ermächtigungen
rechtliches Mass und Ziel18.

Der verfassungsrechtliche Vorbehalt verlangt eine gesetzliche Grund-
lage für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum; aber ohne gesetz-
liche Grundlage
kann die Störung der guten Ordnung mit un-
mittelbarer Gewaltanwendung abgewehrt werden: die einfache Geltend-

17 So wurde bei Beratung des bayr. Pol.Stf.G.B. v. 1861 als Grundsatz auf-
gestellt: "dass man sich auf das Verbot sicherheitsgefährlicher Handlungen u. s. w.
beschränke; dag egen die Erzwingbarkeit von Anforderungen im Interesse des Ge-
meinwohls und von rein moralischen Verpflichtungen ausschliesse". Das erstere
stützt sich also nicht auf rein moralische Verpflichtungen. -- O.V.G. 10. Nov. 1880
(Samml. VII S. 351): "Der Eigentümer als solcher ist verpflichtet, sein Grundstück
so zu erhalten, dass polizeilich zu schützende Interessen nicht beeinträchtigt werden."
So auch O.V.G. 5. Dez. 1851, 15. April 1884, 14. Sept. 1885; insbesondere noch
O.V.G. 12. Okt. 1889 (Samml. XVIII S. 406): das Stf.G.B. hat nicht beabsichtigt,
"eine erschöpfende Regelung der auf den Geldverkehr bezüglichen Pflichten der
Einzelnen zu geben; daher diese Regelung auch durch polizeiliche Einzelverfügung
noch geschehen kann"; die Pflicht besteht also bereits und wird durch den Polizei-
befehl nur genauer bestimmt. -- Dieser natürlichen polizeilichen Pflicht, die gute
Ordnung nicht zu stören, entspricht auf civilrechtlichem Gebiete der Naturrechts-
satz: neminem laede. Daher die innere Verwandtschaft zwischen dem auf diesen
Satz gebauten Privatdeliktsrecht und der auf Verletzung jener Pflicht sich grün-
denden Polizeiübertretung (vgl. unten § 22).
18 So beruft sich die preussische Polizeigewalt auf A.L.R. II, 17 § 10, worin
doch nur der allerallgemeinste Hinweis auf die Aufgaben der Polizei zu finden ist;
ebenso die französische im wesentlichen auf Ges. v. 22. Dez. 1789, welches einfach
besagt: zur Zuständigkeit der Departementsverwaltung gehört der Schutz des öffent-
lichen Eigentums und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicher-
heit. Es genügt offenbar irgend eine äusserliche Anlehnung an einen Gesetzestext.
Gegenüber diesen umfassenden Ermächtigungen wird jedes Gesetz, welches einzelne
polizeiliche Verpflichtungen genauer bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem
nun wenigstens "aus allgemeinen polizeilichen Gründen" (O.V.G. 10. Nov. 1881
Samml. VIII S. 318), "aus Gründen des öffentlichen Rechtes" (O.V.G. 2. Jan. 1888
Samml. XVI S. 326) polizeilich ein Mehreres nicht gefordert werden kann.

Die Polizeigewalt.
waltungsrechts, das ist gerade diese Grundlage einer bereits gegebenen
allgemeinen Pflicht, die sie nur verwirklicht und geltend macht.

Wir sind völlig daran gewöhnt, daſs man sich in Gesetzgebung
und Rechtshandhabung auf polizeiliche Pflichten beruft, die
rechtlich bestimmt und bedeutsam wären vor aller staatlichen Ord-
nung17.

Unser Rechtsstaat, der Voraussetzung und Gegenstand obrigkeit-
licher Gewalteingriffe sonst gar nicht genau genug bestimmen kann,
duldet in polizeilichen Dingen überall den weitgehendsten Spielraum
und die allgemeinsten Ermächtigungen: die Bestimmtheit der
vorausgesetzten polizeilichen Pflicht giebt auch diesen Ermächtigungen
rechtliches Maſs und Ziel18.

Der verfassungsrechtliche Vorbehalt verlangt eine gesetzliche Grund-
lage für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum; aber ohne gesetz-
liche Grundlage
kann die Störung der guten Ordnung mit un-
mittelbarer Gewaltanwendung abgewehrt werden: die einfache Geltend-

17 So wurde bei Beratung des bayr. Pol.Stf.G.B. v. 1861 als Grundsatz auf-
gestellt: „daſs man sich auf das Verbot sicherheitsgefährlicher Handlungen u. s. w.
beschränke; dag egen die Erzwingbarkeit von Anforderungen im Interesse des Ge-
meinwohls und von rein moralischen Verpflichtungen ausschlieſse“. Das erstere
stützt sich also nicht auf rein moralische Verpflichtungen. — O.V.G. 10. Nov. 1880
(Samml. VII S. 351): „Der Eigentümer als solcher ist verpflichtet, sein Grundstück
so zu erhalten, daſs polizeilich zu schützende Interessen nicht beeinträchtigt werden.“
So auch O.V.G. 5. Dez. 1851, 15. April 1884, 14. Sept. 1885; insbesondere noch
O.V.G. 12. Okt. 1889 (Samml. XVIII S. 406): das Stf.G.B. hat nicht beabsichtigt,
„eine erschöpfende Regelung der auf den Geldverkehr bezüglichen Pflichten der
Einzelnen zu geben; daher diese Regelung auch durch polizeiliche Einzelverfügung
noch geschehen kann“; die Pflicht besteht also bereits und wird durch den Polizei-
befehl nur genauer bestimmt. — Dieser natürlichen polizeilichen Pflicht, die gute
Ordnung nicht zu stören, entspricht auf civilrechtlichem Gebiete der Naturrechts-
satz: neminem laede. Daher die innere Verwandtschaft zwischen dem auf diesen
Satz gebauten Privatdeliktsrecht und der auf Verletzung jener Pflicht sich grün-
denden Polizeiübertretung (vgl. unten § 22).
18 So beruft sich die preuſsische Polizeigewalt auf A.L.R. II, 17 § 10, worin
doch nur der allerallgemeinste Hinweis auf die Aufgaben der Polizei zu finden ist;
ebenso die französische im wesentlichen auf Ges. v. 22. Dez. 1789, welches einfach
besagt: zur Zuständigkeit der Departementsverwaltung gehört der Schutz des öffent-
lichen Eigentums und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicher-
heit. Es genügt offenbar irgend eine äuſserliche Anlehnung an einen Gesetzestext.
Gegenüber diesen umfassenden Ermächtigungen wird jedes Gesetz, welches einzelne
polizeiliche Verpflichtungen genauer bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem
nun wenigstens „aus allgemeinen polizeilichen Gründen“ (O.V.G. 10. Nov. 1881
Samml. VIII S. 318), „aus Gründen des öffentlichen Rechtes“ (O.V.G. 2. Jan. 1888
Samml. XVI S. 326) polizeilich ein Mehreres nicht gefordert werden kann.
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[252/0272] Die Polizeigewalt. waltungsrechts, das ist gerade diese Grundlage einer bereits gegebenen allgemeinen Pflicht, die sie nur verwirklicht und geltend macht. Wir sind völlig daran gewöhnt, daſs man sich in Gesetzgebung und Rechtshandhabung auf polizeiliche Pflichten beruft, die rechtlich bestimmt und bedeutsam wären vor aller staatlichen Ord- nung 17. Unser Rechtsstaat, der Voraussetzung und Gegenstand obrigkeit- licher Gewalteingriffe sonst gar nicht genau genug bestimmen kann, duldet in polizeilichen Dingen überall den weitgehendsten Spielraum und die allgemeinsten Ermächtigungen: die Bestimmtheit der vorausgesetzten polizeilichen Pflicht giebt auch diesen Ermächtigungen rechtliches Maſs und Ziel 18. Der verfassungsrechtliche Vorbehalt verlangt eine gesetzliche Grund- lage für jeden Eingriff in Freiheit und Eigentum; aber ohne gesetz- liche Grundlage kann die Störung der guten Ordnung mit un- mittelbarer Gewaltanwendung abgewehrt werden: die einfache Geltend- 17 So wurde bei Beratung des bayr. Pol.Stf.G.B. v. 1861 als Grundsatz auf- gestellt: „daſs man sich auf das Verbot sicherheitsgefährlicher Handlungen u. s. w. beschränke; dag egen die Erzwingbarkeit von Anforderungen im Interesse des Ge- meinwohls und von rein moralischen Verpflichtungen ausschlieſse“. Das erstere stützt sich also nicht auf rein moralische Verpflichtungen. — O.V.G. 10. Nov. 1880 (Samml. VII S. 351): „Der Eigentümer als solcher ist verpflichtet, sein Grundstück so zu erhalten, daſs polizeilich zu schützende Interessen nicht beeinträchtigt werden.“ So auch O.V.G. 5. Dez. 1851, 15. April 1884, 14. Sept. 1885; insbesondere noch O.V.G. 12. Okt. 1889 (Samml. XVIII S. 406): das Stf.G.B. hat nicht beabsichtigt, „eine erschöpfende Regelung der auf den Geldverkehr bezüglichen Pflichten der Einzelnen zu geben; daher diese Regelung auch durch polizeiliche Einzelverfügung noch geschehen kann“; die Pflicht besteht also bereits und wird durch den Polizei- befehl nur genauer bestimmt. — Dieser natürlichen polizeilichen Pflicht, die gute Ordnung nicht zu stören, entspricht auf civilrechtlichem Gebiete der Naturrechts- satz: neminem laede. Daher die innere Verwandtschaft zwischen dem auf diesen Satz gebauten Privatdeliktsrecht und der auf Verletzung jener Pflicht sich grün- denden Polizeiübertretung (vgl. unten § 22). 18 So beruft sich die preuſsische Polizeigewalt auf A.L.R. II, 17 § 10, worin doch nur der allerallgemeinste Hinweis auf die Aufgaben der Polizei zu finden ist; ebenso die französische im wesentlichen auf Ges. v. 22. Dez. 1789, welches einfach besagt: zur Zuständigkeit der Departementsverwaltung gehört der Schutz des öffent- lichen Eigentums und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicher- heit. Es genügt offenbar irgend eine äuſserliche Anlehnung an einen Gesetzestext. Gegenüber diesen umfassenden Ermächtigungen wird jedes Gesetz, welches einzelne polizeiliche Verpflichtungen genauer bestimmt, zu einem Schutz der Freiheit, indem nun wenigstens „aus allgemeinen polizeilichen Gründen“ (O.V.G. 10. Nov. 1881 Samml. VIII S. 318), „aus Gründen des öffentlichen Rechtes“ (O.V.G. 2. Jan. 1888 Samml. XVI S. 326) polizeilich ein Mehreres nicht gefordert werden kann.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/272>, abgerufen am 22.05.2024.