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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

II. Die Polizei ist wie jede andere Staatsthätigkeit unter die Be-
dingungen des Verfassungs- und Rechtsstaats gestellt.

Weshalb aber dann der Eifer, mit welchem auch noch seit Be-
ginn der verfassungsrechtlichen Zeit die Juristen darauf bestehen, den
Begriff möglichst einzuschränken? woher ihre besondere Besorgnis
gerade vor dieser doch so notwendigen Erscheinung des Staats-
willens14? Als ob der Verfassungs- und Rechtsstaat nicht alle Formen
zur Verfügung hätte, um die Forderungen des Gemeinwohls und der
Freiheit in befriedigender Weise zu versöhnen. Weshalb nennen wir
das also abgegrenzte Stück überhaupt noch mit dem alten Namen
Polizei, an welchem die lebendigsten Erinnerungen des alten Staats-
wesens mit der voraussetzungslosen Staatsmacht hängen, während es
unter dem Rechtsstaat etwas ganz anderes geworden ist? Warum nur
dieses, warum nicht auch die anderen Stücke, die auch Polizei waren
und die wir ausgeschieden haben?

Diese Fragen beantworten sich, wenn wir uns klar machen, dass
in unserem Polizeibegriff in der That etwas stehen geblieben
und erhalten ist von den rechtlichen Grundanschau-
ungen, auf welchen das alte polizeistaatliche Wesen
beruhte
.

Unser Polizeistaat war ja niemals einfacher Despotismus, der auf
jeden Rechtstitel verzichtet und verzichten kann. Sein Rechtstitel
liegt, wie die Rechtsphilosophie ausführt, in der natürlichen Bestim-
mung des Menschen und daraus sich ergebenden natürlichen
Pflichten,
die der Staat berufen und berechtigt ist geltend zu
machen und zwangsweise durchzuführen. Gerade vermittelst der An-
nahme solcher allgemeiner gegebener Pflichten wird der Satz, dass die

S. 23 als den "organisierten Kampf der Verwaltung mit der Gefahr" im Sinne der
älteren Lehre von Zimmermann (oben Note 9), und in dem Art. Polizei in
Wörterbuch II S. 248 soll dieser Kampf gegen die Gefahr durch Gebote, Verbote
und Exekutivpersonal geführt werden, womit er denn in die herrschende Begriffs-
bestimmung einmündet. -- Rückfälle in frühere Anschauungen kommen immer
noch vor, namentlich bei preussischen Juristen. So v. Roenne, St.R. I S. 550;
Primker, Kompetenzkonflikte S. 57; Bornhak, Pr. St.R. III S. 157. Auch
Rosin in Begriff der Pol. (S. 114) will neuerdings in bewusstem Gegensatz zu der
herrschenden Lehre (S. 4 u. 7) für den Polizeibegriff wieder die gesamte innere
Verwaltung in Anspruch nehmen. Er ist der Meinung, dass der Begriff durch die
ältere preussische Gesetzgebung so festgelegt sei. Festgelegt sind aber nur die
Folgerungen, die sie etwa aus dem Begriff gezogen hat; der Begriff selbst gehört
der Wissenschaft und ihrem Fortschritt.
14 Man sehe nur den Fanatismus von C. S. Zachariae in Vierzig Bücher
IV S. 296 ff.; schon die Kapitelsüberschrift lautet: "Von der Gefährlichkeit der
Polizei".
Die Polizeigewalt.

II. Die Polizei ist wie jede andere Staatsthätigkeit unter die Be-
dingungen des Verfassungs- und Rechtsstaats gestellt.

Weshalb aber dann der Eifer, mit welchem auch noch seit Be-
ginn der verfassungsrechtlichen Zeit die Juristen darauf bestehen, den
Begriff möglichst einzuschränken? woher ihre besondere Besorgnis
gerade vor dieser doch so notwendigen Erscheinung des Staats-
willens14? Als ob der Verfassungs- und Rechtsstaat nicht alle Formen
zur Verfügung hätte, um die Forderungen des Gemeinwohls und der
Freiheit in befriedigender Weise zu versöhnen. Weshalb nennen wir
das also abgegrenzte Stück überhaupt noch mit dem alten Namen
Polizei, an welchem die lebendigsten Erinnerungen des alten Staats-
wesens mit der voraussetzungslosen Staatsmacht hängen, während es
unter dem Rechtsstaat etwas ganz anderes geworden ist? Warum nur
dieses, warum nicht auch die anderen Stücke, die auch Polizei waren
und die wir ausgeschieden haben?

Diese Fragen beantworten sich, wenn wir uns klar machen, daſs
in unserem Polizeibegriff in der That etwas stehen geblieben
und erhalten ist von den rechtlichen Grundanschau-
ungen, auf welchen das alte polizeistaatliche Wesen
beruhte
.

Unser Polizeistaat war ja niemals einfacher Despotismus, der auf
jeden Rechtstitel verzichtet und verzichten kann. Sein Rechtstitel
liegt, wie die Rechtsphilosophie ausführt, in der natürlichen Bestim-
mung des Menschen und daraus sich ergebenden natürlichen
Pflichten,
die der Staat berufen und berechtigt ist geltend zu
machen und zwangsweise durchzuführen. Gerade vermittelst der An-
nahme solcher allgemeiner gegebener Pflichten wird der Satz, daſs die

S. 23 als den „organisierten Kampf der Verwaltung mit der Gefahr“ im Sinne der
älteren Lehre von Zimmermann (oben Note 9), und in dem Art. Polizei in
Wörterbuch II S. 248 soll dieser Kampf gegen die Gefahr durch Gebote, Verbote
und Exekutivpersonal geführt werden, womit er denn in die herrschende Begriffs-
bestimmung einmündet. — Rückfälle in frühere Anschauungen kommen immer
noch vor, namentlich bei preuſsischen Juristen. So v. Roenne, St.R. I S. 550;
Primker, Kompetenzkonflikte S. 57; Bornhak, Pr. St.R. III S. 157. Auch
Rosin in Begriff der Pol. (S. 114) will neuerdings in bewuſstem Gegensatz zu der
herrschenden Lehre (S. 4 u. 7) für den Polizeibegriff wieder die gesamte innere
Verwaltung in Anspruch nehmen. Er ist der Meinung, daſs der Begriff durch die
ältere preuſsische Gesetzgebung so festgelegt sei. Festgelegt sind aber nur die
Folgerungen, die sie etwa aus dem Begriff gezogen hat; der Begriff selbst gehört
der Wissenschaft und ihrem Fortschritt.
14 Man sehe nur den Fanatismus von C. S. Zachariae in Vierzig Bücher
IV S. 296 ff.; schon die Kapitelsüberschrift lautet: „Von der Gefährlichkeit der
Polizei“.
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[250/0270] Die Polizeigewalt. II. Die Polizei ist wie jede andere Staatsthätigkeit unter die Be- dingungen des Verfassungs- und Rechtsstaats gestellt. Weshalb aber dann der Eifer, mit welchem auch noch seit Be- ginn der verfassungsrechtlichen Zeit die Juristen darauf bestehen, den Begriff möglichst einzuschränken? woher ihre besondere Besorgnis gerade vor dieser doch so notwendigen Erscheinung des Staats- willens 14? Als ob der Verfassungs- und Rechtsstaat nicht alle Formen zur Verfügung hätte, um die Forderungen des Gemeinwohls und der Freiheit in befriedigender Weise zu versöhnen. Weshalb nennen wir das also abgegrenzte Stück überhaupt noch mit dem alten Namen Polizei, an welchem die lebendigsten Erinnerungen des alten Staats- wesens mit der voraussetzungslosen Staatsmacht hängen, während es unter dem Rechtsstaat etwas ganz anderes geworden ist? Warum nur dieses, warum nicht auch die anderen Stücke, die auch Polizei waren und die wir ausgeschieden haben? Diese Fragen beantworten sich, wenn wir uns klar machen, daſs in unserem Polizeibegriff in der That etwas stehen geblieben und erhalten ist von den rechtlichen Grundanschau- ungen, auf welchen das alte polizeistaatliche Wesen beruhte. Unser Polizeistaat war ja niemals einfacher Despotismus, der auf jeden Rechtstitel verzichtet und verzichten kann. Sein Rechtstitel liegt, wie die Rechtsphilosophie ausführt, in der natürlichen Bestim- mung des Menschen und daraus sich ergebenden natürlichen Pflichten, die der Staat berufen und berechtigt ist geltend zu machen und zwangsweise durchzuführen. Gerade vermittelst der An- nahme solcher allgemeiner gegebener Pflichten wird der Satz, daſs die 13 14 Man sehe nur den Fanatismus von C. S. Zachariae in Vierzig Bücher IV S. 296 ff.; schon die Kapitelsüberschrift lautet: „Von der Gefährlichkeit der Polizei“. 13 S. 23 als den „organisierten Kampf der Verwaltung mit der Gefahr“ im Sinne der älteren Lehre von Zimmermann (oben Note 9), und in dem Art. Polizei in Wörterbuch II S. 248 soll dieser Kampf gegen die Gefahr durch Gebote, Verbote und Exekutivpersonal geführt werden, womit er denn in die herrschende Begriffs- bestimmung einmündet. — Rückfälle in frühere Anschauungen kommen immer noch vor, namentlich bei preuſsischen Juristen. So v. Roenne, St.R. I S. 550; Primker, Kompetenzkonflikte S. 57; Bornhak, Pr. St.R. III S. 157. Auch Rosin in Begriff der Pol. (S. 114) will neuerdings in bewuſstem Gegensatz zu der herrschenden Lehre (S. 4 u. 7) für den Polizeibegriff wieder die gesamte innere Verwaltung in Anspruch nehmen. Er ist der Meinung, daſs der Begriff durch die ältere preuſsische Gesetzgebung so festgelegt sei. Festgelegt sind aber nur die Folgerungen, die sie etwa aus dem Begriff gezogen hat; der Begriff selbst gehört der Wissenschaft und ihrem Fortschritt.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/270>, abgerufen am 21.05.2024.