Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite
§ 18. Begriff der Polizei.

Eine andere Meinung erklärt Zwang für zulässig sowohl zu
Gunsten der Wohlfahrt wie zu Gunsten der Sicherheit, aber in beiden
Richtungen nur behufs der Abwehr von Gefahren. Da nun
Zwang zum Wesen der Polizei gehört, so ist alle Thätigkeit des Staats
zur Vermehrung der Wohlfahrt überhaupt nicht Polizei7.

Die Thatsache, dass Zwang auch über diese Grenzen hinaus ge-
übt wurde, liess sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So
begnügte man sich mit der Unterscheidung: die Polizei hat es nur
mit der Sicherheit zu thun durch Abwehr dessen, was sie stört;
Beförderung der Wohlfahrt ist nicht Polizei, sondern eine andere Art
Staatsthätigkeit, die auch mit Zwang arbeiten kann, aber es nicht so
leicht thut, wie die Polizei8.

Die leitende Idee für die Abgrenzung ist im wesentlichen immer
die gleiche; aber praktische Folgerungen sind gegenüber der Allmacht
des Polizeistaates schwer daraus zu ziehen. Es läuft schliesslich auf
eine blosse Anders-Rubrizierung der ausgeschlossenen Thätigkeitsart
hinaus.

2. Nach Begründung des neuen Staatsrechts wird die bereits an-
gebahnte Beschränkung des Polizeibegriffes zur Durchführung gebracht.
Sie erscheint jetzt in Gestalt einer Forderung des "konstitutionellen
Systems" oder des "Rechtsstaates" und gelangt damit zu herrschender
Bedeutung. Wohlfahrts- oder Beglückungspolizei mit der ihr eigenen
Zwangsgewalt giebts nicht mehr; die Polizeigewalt ist nur dazu be-
stimmt, von dem Gemeinwesen und von den einzelnen Bürgern Ge-
fahren abzuwenden
. Das andere ist Pflege: Wohlfahrtspflege,
Kulturpflege, Staatspflege9.

an Eukrates über die Grenzen der Staatsgewalt (Broxtermann); Pölitz,
Staatsw. I S. 498, II S. 453 ff. Etwas abgeschwächt: Klüber, Öff. R. § 386.
Lotz, Begriff der Pol. S. 79 ff., will geradezu unterscheiden: Zwangs- und Hülfs-
polizei, wobei dann freilich der Massstab wegfällt, wann die eine, wann die andere
stattfinden soll.
7 v. Berg, Pol.R. I S. 12 ff. Dagegen Widerspruch von Drais in Bl. f.
Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol.R. IV S. 14 glattweg erklärt:
"er hat recht" und alle Unterscheidung aufgiebt (S. 19).
8 Pütter, Inst. § 331; Goenner, St.R. § 328 (den Gegensatz zur Polizei
bildet das "Regierungsrecht im Wohlfahrtsfach", wobei grundsätzlich kein Zwang
geübt wird: § 275 n. IX; aber es findet sich doch darunter z. B. das ganze Ge-
werbewesen mit samt seinem Zwang). Ähnlich Häberlin, St.R. § 331.
9 v. Aretin, St.R. der konstitutionellen Monarchie II S. 180, 181;
Zachariae, Vierzig Bücher I S. 24, S. 120, II S. 288; Mohl, Pol.W. I S. 10;
Zimmermann, Deutsche Pol. des 19. Jahrhunderts I S. 133; Rau in Ztschft. f.
St.W. 1853 S. 605 ff.
§ 18. Begriff der Polizei.

Eine andere Meinung erklärt Zwang für zulässig sowohl zu
Gunsten der Wohlfahrt wie zu Gunsten der Sicherheit, aber in beiden
Richtungen nur behufs der Abwehr von Gefahren. Da nun
Zwang zum Wesen der Polizei gehört, so ist alle Thätigkeit des Staats
zur Vermehrung der Wohlfahrt überhaupt nicht Polizei7.

Die Thatsache, daſs Zwang auch über diese Grenzen hinaus ge-
übt wurde, lieſs sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So
begnügte man sich mit der Unterscheidung: die Polizei hat es nur
mit der Sicherheit zu thun durch Abwehr dessen, was sie stört;
Beförderung der Wohlfahrt ist nicht Polizei, sondern eine andere Art
Staatsthätigkeit, die auch mit Zwang arbeiten kann, aber es nicht so
leicht thut, wie die Polizei8.

Die leitende Idee für die Abgrenzung ist im wesentlichen immer
die gleiche; aber praktische Folgerungen sind gegenüber der Allmacht
des Polizeistaates schwer daraus zu ziehen. Es läuft schlieſslich auf
eine bloſse Anders-Rubrizierung der ausgeschlossenen Thätigkeitsart
hinaus.

2. Nach Begründung des neuen Staatsrechts wird die bereits an-
gebahnte Beschränkung des Polizeibegriffes zur Durchführung gebracht.
Sie erscheint jetzt in Gestalt einer Forderung des „konstitutionellen
Systems“ oder des „Rechtsstaates“ und gelangt damit zu herrschender
Bedeutung. Wohlfahrts- oder Beglückungspolizei mit der ihr eigenen
Zwangsgewalt giebts nicht mehr; die Polizeigewalt ist nur dazu be-
stimmt, von dem Gemeinwesen und von den einzelnen Bürgern Ge-
fahren abzuwenden
. Das andere ist Pflege: Wohlfahrtspflege,
Kulturpflege, Staatspflege9.

an Eukrates über die Grenzen der Staatsgewalt (Broxtermann); Pölitz,
Staatsw. I S. 498, II S. 453 ff. Etwas abgeschwächt: Klüber, Öff. R. § 386.
Lotz, Begriff der Pol. S. 79 ff., will geradezu unterscheiden: Zwangs- und Hülfs-
polizei, wobei dann freilich der Maſsstab wegfällt, wann die eine, wann die andere
stattfinden soll.
7 v. Berg, Pol.R. I S. 12 ff. Dagegen Widerspruch von Drais in Bl. f.
Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol.R. IV S. 14 glattweg erklärt:
„er hat recht“ und alle Unterscheidung aufgiebt (S. 19).
8 Pütter, Inst. § 331; Goenner, St.R. § 328 (den Gegensatz zur Polizei
bildet das „Regierungsrecht im Wohlfahrtsfach“, wobei grundsätzlich kein Zwang
geübt wird: § 275 n. IX; aber es findet sich doch darunter z. B. das ganze Ge-
werbewesen mit samt seinem Zwang). Ähnlich Häberlin, St.R. § 331.
9 v. Aretin, St.R. der konstitutionellen Monarchie II S. 180, 181;
Zachariae, Vierzig Bücher I S. 24, S. 120, II S. 288; Mohl, Pol.W. I S. 10;
Zimmermann, Deutsche Pol. des 19. Jahrhunderts I S. 133; Rau in Ztschft. f.
St.W. 1853 S. 605 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0267" n="247"/>
              <fw place="top" type="header">§ 18. Begriff der Polizei.</fw><lb/>
              <p>Eine andere Meinung erklärt Zwang für zulässig sowohl zu<lb/>
Gunsten der Wohlfahrt wie zu Gunsten der Sicherheit, aber in beiden<lb/>
Richtungen nur behufs der <hi rendition="#g">Abwehr von Gefahren</hi>. Da nun<lb/>
Zwang zum Wesen der Polizei gehört, so ist alle Thätigkeit des Staats<lb/>
zur Vermehrung der Wohlfahrt überhaupt nicht Polizei<note place="foot" n="7">v. <hi rendition="#g">Berg,</hi> Pol.R. I S. 12 ff. Dagegen Widerspruch von <hi rendition="#g">Drais</hi> in Bl. f.<lb/>
Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol.R. IV S. 14 glattweg erklärt:<lb/>
&#x201E;er hat recht&#x201C; und alle Unterscheidung aufgiebt (S. 19).</note>.</p><lb/>
              <p>Die Thatsache, da&#x017F;s Zwang auch über diese Grenzen hinaus ge-<lb/>
übt wurde, lie&#x017F;s sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So<lb/>
begnügte man sich mit der Unterscheidung: die Polizei hat es nur<lb/>
mit der <hi rendition="#g">Sicherheit</hi> zu thun durch <hi rendition="#g">Abwehr</hi> dessen, was sie stört;<lb/>
Beförderung der Wohlfahrt ist nicht Polizei, sondern eine andere Art<lb/>
Staatsthätigkeit, die auch mit Zwang arbeiten kann, aber es nicht so<lb/>
leicht thut, wie die Polizei<note place="foot" n="8"><hi rendition="#g">Pütter,</hi> Inst. § 331; <hi rendition="#g">Goenner,</hi> St.R. § 328 (den Gegensatz zur Polizei<lb/>
bildet das &#x201E;Regierungsrecht im Wohlfahrtsfach&#x201C;, wobei grundsätzlich kein Zwang<lb/>
geübt wird: § 275 n. IX; aber es findet sich doch darunter z. B. das ganze Ge-<lb/>
werbewesen mit samt seinem Zwang). Ähnlich <hi rendition="#g">Häberlin,</hi> St.R. § 331.</note>.</p><lb/>
              <p>Die leitende Idee für die Abgrenzung ist im wesentlichen immer<lb/>
die gleiche; aber praktische Folgerungen sind gegenüber der Allmacht<lb/>
des Polizeistaates schwer daraus zu ziehen. Es läuft schlie&#x017F;slich auf<lb/>
eine blo&#x017F;se Anders-Rubrizierung der ausgeschlossenen Thätigkeitsart<lb/>
hinaus.</p><lb/>
              <p>2. Nach Begründung des neuen Staatsrechts wird die bereits an-<lb/>
gebahnte Beschränkung des Polizeibegriffes zur Durchführung gebracht.<lb/>
Sie erscheint jetzt in Gestalt einer Forderung des &#x201E;konstitutionellen<lb/>
Systems&#x201C; oder des &#x201E;Rechtsstaates&#x201C; und gelangt damit zu herrschender<lb/>
Bedeutung. Wohlfahrts- oder Beglückungspolizei mit der ihr eigenen<lb/>
Zwangsgewalt giebts nicht mehr; die Polizeigewalt ist nur dazu be-<lb/>
stimmt, von dem Gemeinwesen und von den einzelnen Bürgern <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
fahren abzuwenden</hi>. Das andere ist Pflege: Wohlfahrtspflege,<lb/>
Kulturpflege, Staatspflege<note place="foot" n="9">v. <hi rendition="#g">Aretin,</hi> St.R. der konstitutionellen Monarchie II S. 180, 181;<lb/><hi rendition="#g">Zachariae,</hi> Vierzig Bücher I S. 24, S. 120, II S. 288; <hi rendition="#g">Mohl,</hi> Pol.W. I S. 10;<lb/><hi rendition="#g">Zimmermann,</hi> Deutsche Pol. des 19. Jahrhunderts I S. 133; <hi rendition="#g">Rau</hi> in Ztschft. f.<lb/>
St.W. 1853 S. 605 ff.</note>.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_54_2" prev="#seg2pn_54_1" place="foot" n="6">an Eukrates über die Grenzen der Staatsgewalt <hi rendition="#g">(Broxtermann); Pölitz,</hi><lb/>
Staatsw. I S. 498, II S. 453 ff. Etwas abgeschwächt: <hi rendition="#g">Klüber,</hi> Öff. R. § 386.<lb/><hi rendition="#g">Lotz,</hi> Begriff der Pol. S. 79 ff., will geradezu unterscheiden: Zwangs- und Hülfs-<lb/>
polizei, wobei dann freilich der Ma&#x017F;sstab wegfällt, wann die eine, wann die andere<lb/>
stattfinden soll.</note>
              </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0267] § 18. Begriff der Polizei. Eine andere Meinung erklärt Zwang für zulässig sowohl zu Gunsten der Wohlfahrt wie zu Gunsten der Sicherheit, aber in beiden Richtungen nur behufs der Abwehr von Gefahren. Da nun Zwang zum Wesen der Polizei gehört, so ist alle Thätigkeit des Staats zur Vermehrung der Wohlfahrt überhaupt nicht Polizei 7. Die Thatsache, daſs Zwang auch über diese Grenzen hinaus ge- übt wurde, lieſs sich aber dadurch nicht aus der Welt schaffen. So begnügte man sich mit der Unterscheidung: die Polizei hat es nur mit der Sicherheit zu thun durch Abwehr dessen, was sie stört; Beförderung der Wohlfahrt ist nicht Polizei, sondern eine andere Art Staatsthätigkeit, die auch mit Zwang arbeiten kann, aber es nicht so leicht thut, wie die Polizei 8. Die leitende Idee für die Abgrenzung ist im wesentlichen immer die gleiche; aber praktische Folgerungen sind gegenüber der Allmacht des Polizeistaates schwer daraus zu ziehen. Es läuft schlieſslich auf eine bloſse Anders-Rubrizierung der ausgeschlossenen Thätigkeitsart hinaus. 2. Nach Begründung des neuen Staatsrechts wird die bereits an- gebahnte Beschränkung des Polizeibegriffes zur Durchführung gebracht. Sie erscheint jetzt in Gestalt einer Forderung des „konstitutionellen Systems“ oder des „Rechtsstaates“ und gelangt damit zu herrschender Bedeutung. Wohlfahrts- oder Beglückungspolizei mit der ihr eigenen Zwangsgewalt giebts nicht mehr; die Polizeigewalt ist nur dazu be- stimmt, von dem Gemeinwesen und von den einzelnen Bürgern Ge- fahren abzuwenden. Das andere ist Pflege: Wohlfahrtspflege, Kulturpflege, Staatspflege 9. 6 7 v. Berg, Pol.R. I S. 12 ff. Dagegen Widerspruch von Drais in Bl. f. Pol. u. Kultur 1803 S. 576 ff., worauf v. Berg in Pol.R. IV S. 14 glattweg erklärt: „er hat recht“ und alle Unterscheidung aufgiebt (S. 19). 8 Pütter, Inst. § 331; Goenner, St.R. § 328 (den Gegensatz zur Polizei bildet das „Regierungsrecht im Wohlfahrtsfach“, wobei grundsätzlich kein Zwang geübt wird: § 275 n. IX; aber es findet sich doch darunter z. B. das ganze Ge- werbewesen mit samt seinem Zwang). Ähnlich Häberlin, St.R. § 331. 9 v. Aretin, St.R. der konstitutionellen Monarchie II S. 180, 181; Zachariae, Vierzig Bücher I S. 24, S. 120, II S. 288; Mohl, Pol.W. I S. 10; Zimmermann, Deutsche Pol. des 19. Jahrhunderts I S. 133; Rau in Ztschft. f. St.W. 1853 S. 605 ff. 6 an Eukrates über die Grenzen der Staatsgewalt (Broxtermann); Pölitz, Staatsw. I S. 498, II S. 453 ff. Etwas abgeschwächt: Klüber, Öff. R. § 386. Lotz, Begriff der Pol. S. 79 ff., will geradezu unterscheiden: Zwangs- und Hülfs- polizei, wobei dann freilich der Maſsstab wegfällt, wann die eine, wann die andere stattfinden soll.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/267
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/267>, abgerufen am 21.05.2024.