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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Einleitung.

Das Verfassungsrecht hat gerade für diese Art von Thätigkeit
seine neu geordnete Volksvertretung bestimmt. Dass die Gesetz-
gebung nur geschehen könne unter Mitwirkung der Volksvertretung,
ist der grundlegende Gedanke. Dadurch bekommt dieser Begriff sein
eines Merkmal stärker ausgeprägt. Die Gesetzgebung bleibt Auf-
stellung von Rechtssätzen durch die oberste Gewalt,

aber die oberste Gewalt giebt sich jetzt nur zu erkennen durch die
Mitwirkung der Volksvertretung. In dieser Weise grenzt
sie sich ab gegen alle übrige Staatsthätigkeit, auch gegen die sonst
vielleicht inhaltsgleiche des Fürsten allein, und so ist das Wort
Gesetzgebung verstanden in jener Dreiteilung der Staatsthätigkeit6.

Das schliesst nicht aus, dass man an dem so gegebenen Begriffe
doch auch wieder eine Spaltung vornehmen kann, indem man das
eine oder das andere Merkmal ausschliesslich betont. Es ist ein be-
kannter Sprachgebrauch, so zu verfahren, und die Rechtswissenschaft
hat danach die Begriffe von Gesetz im formellen und Gesetz im
materiellen Sinne unterschieden. Das giebt natürlich eine andere
Abgrenzungsreihe; das Wort Gesetz umfasst jeweils einen gewissen
Überschuss nach der einen oder anderen Seite hin, den wir nicht mehr
zur Gesetzgebung rechnen, sondern jenachdem der Rechtspflege und
vor allem der Verwaltung zuteilen müssen.

Der einmal geschaffene Gesetzgebungsapparat kann nämlich einer-
seits zu jeder anderen Art von Willensäusserungen verwendet werden,
die keine Rechtssätze sein wollen. Es sind vor allem Verfügungen
für Einzelfälle, die da in Betracht kommen: Verleihungen von Eisen-
bahnunternehmungen, Naturalisationen, Zustimmung zur Veräusserung

6 Den alten Gesetzesbegriff hat Rousseau einfach der neuen Idee der
Volkssouveränetät angepasst, wenn er sagt (Contr. soc. II Kap. 6): Gesetzgebung
sei es: "quand tout le peuple statue sur tout le peuple, alors la matiere sur laquelle
on statue est generale comme la volonte qui statue". Hier ist das doppelte Ele-
ment: höchste Gewalt und Rechtssatz beibehalten. So wird das Wort jetzt noch
verstanden, wenn man einleitungsweise die "allgemeinen staatlichen Funktionen"
aufzählt; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon. I § 88; Schulze, D.St.R. I S.518; G. Meyer,
D.St.R. § 155. Im Verfassungsrecht des Bundesstaates kann es in gleichem Sinne
zur Verwendung kommen, um zugleich eine Zuständigkeit der gesetzgebenden Ge-
walt des Reichs und die Vorschrift zu geben, dass davon in Form des Rechtssatzes
Gebrauch gemacht werden soll. Darüber Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne
S. 277 ff.; Arndt, Verord.R. des D. Reichs S. 187 ff. Damit soll aber durchaus nicht
gesagt sein, dass das Wort Gesetz immer nur in diesem, beide Elemente um-
fassenden Sinne gebraucht werden könne; wir behaupten nur, es werde auch in
diesem Sinne gebraucht und bei unserer Grundeinteilung der Staatsthätigkeiten ist
das offenbar der Fall.
Einleitung.

Das Verfassungsrecht hat gerade für diese Art von Thätigkeit
seine neu geordnete Volksvertretung bestimmt. Daſs die Gesetz-
gebung nur geschehen könne unter Mitwirkung der Volksvertretung,
ist der grundlegende Gedanke. Dadurch bekommt dieser Begriff sein
eines Merkmal stärker ausgeprägt. Die Gesetzgebung bleibt Auf-
stellung von Rechtssätzen durch die oberste Gewalt,

aber die oberste Gewalt giebt sich jetzt nur zu erkennen durch die
Mitwirkung der Volksvertretung. In dieser Weise grenzt
sie sich ab gegen alle übrige Staatsthätigkeit, auch gegen die sonst
vielleicht inhaltsgleiche des Fürsten allein, und so ist das Wort
Gesetzgebung verstanden in jener Dreiteilung der Staatsthätigkeit6.

Das schlieſst nicht aus, daſs man an dem so gegebenen Begriffe
doch auch wieder eine Spaltung vornehmen kann, indem man das
eine oder das andere Merkmal ausschlieſslich betont. Es ist ein be-
kannter Sprachgebrauch, so zu verfahren, und die Rechtswissenschaft
hat danach die Begriffe von Gesetz im formellen und Gesetz im
materiellen Sinne unterschieden. Das giebt natürlich eine andere
Abgrenzungsreihe; das Wort Gesetz umfaſst jeweils einen gewissen
Überschuſs nach der einen oder anderen Seite hin, den wir nicht mehr
zur Gesetzgebung rechnen, sondern jenachdem der Rechtspflege und
vor allem der Verwaltung zuteilen müssen.

Der einmal geschaffene Gesetzgebungsapparat kann nämlich einer-
seits zu jeder anderen Art von Willensäuſserungen verwendet werden,
die keine Rechtssätze sein wollen. Es sind vor allem Verfügungen
für Einzelfälle, die da in Betracht kommen: Verleihungen von Eisen-
bahnunternehmungen, Naturalisationen, Zustimmung zur Veräuſserung

6 Den alten Gesetzesbegriff hat Rousseau einfach der neuen Idee der
Volkssouveränetät angepaſst, wenn er sagt (Contr. soc. II Kap. 6): Gesetzgebung
sei es: „quand tout le peuple statue sur tout le peuple, alors la matière sur laquelle
on statue est générale comme la volonté qui statue“. Hier ist das doppelte Ele-
ment: höchste Gewalt und Rechtssatz beibehalten. So wird das Wort jetzt noch
verstanden, wenn man einleitungsweise die „allgemeinen staatlichen Funktionen“
aufzählt; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon. I § 88; Schulze, D.St.R. I S.518; G. Meyer,
D.St.R. § 155. Im Verfassungsrecht des Bundesstaates kann es in gleichem Sinne
zur Verwendung kommen, um zugleich eine Zuständigkeit der gesetzgebenden Ge-
walt des Reichs und die Vorschrift zu geben, daſs davon in Form des Rechtssatzes
Gebrauch gemacht werden soll. Darüber Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne
S. 277 ff.; Arndt, Verord.R. des D. Reichs S. 187 ff. Damit soll aber durchaus nicht
gesagt sein, daſs das Wort Gesetz immer nur in diesem, beide Elemente um-
fassenden Sinne gebraucht werden könne; wir behaupten nur, es werde auch in
diesem Sinne gebraucht und bei unserer Grundeinteilung der Staatsthätigkeiten ist
das offenbar der Fall.
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[6/0026] Einleitung. Das Verfassungsrecht hat gerade für diese Art von Thätigkeit seine neu geordnete Volksvertretung bestimmt. Daſs die Gesetz- gebung nur geschehen könne unter Mitwirkung der Volksvertretung, ist der grundlegende Gedanke. Dadurch bekommt dieser Begriff sein eines Merkmal stärker ausgeprägt. Die Gesetzgebung bleibt Auf- stellung von Rechtssätzen durch die oberste Gewalt, aber die oberste Gewalt giebt sich jetzt nur zu erkennen durch die Mitwirkung der Volksvertretung. In dieser Weise grenzt sie sich ab gegen alle übrige Staatsthätigkeit, auch gegen die sonst vielleicht inhaltsgleiche des Fürsten allein, und so ist das Wort Gesetzgebung verstanden in jener Dreiteilung der Staatsthätigkeit 6. Das schlieſst nicht aus, daſs man an dem so gegebenen Begriffe doch auch wieder eine Spaltung vornehmen kann, indem man das eine oder das andere Merkmal ausschlieſslich betont. Es ist ein be- kannter Sprachgebrauch, so zu verfahren, und die Rechtswissenschaft hat danach die Begriffe von Gesetz im formellen und Gesetz im materiellen Sinne unterschieden. Das giebt natürlich eine andere Abgrenzungsreihe; das Wort Gesetz umfaſst jeweils einen gewissen Überschuſs nach der einen oder anderen Seite hin, den wir nicht mehr zur Gesetzgebung rechnen, sondern jenachdem der Rechtspflege und vor allem der Verwaltung zuteilen müssen. Der einmal geschaffene Gesetzgebungsapparat kann nämlich einer- seits zu jeder anderen Art von Willensäuſserungen verwendet werden, die keine Rechtssätze sein wollen. Es sind vor allem Verfügungen für Einzelfälle, die da in Betracht kommen: Verleihungen von Eisen- bahnunternehmungen, Naturalisationen, Zustimmung zur Veräuſserung 6 Den alten Gesetzesbegriff hat Rousseau einfach der neuen Idee der Volkssouveränetät angepaſst, wenn er sagt (Contr. soc. II Kap. 6): Gesetzgebung sei es: „quand tout le peuple statue sur tout le peuple, alors la matière sur laquelle on statue est générale comme la volonté qui statue“. Hier ist das doppelte Ele- ment: höchste Gewalt und Rechtssatz beibehalten. So wird das Wort jetzt noch verstanden, wenn man einleitungsweise die „allgemeinen staatlichen Funktionen“ aufzählt; v. Roenne, St.R. d. Pr. Mon. I § 88; Schulze, D.St.R. I S.518; G. Meyer, D.St.R. § 155. Im Verfassungsrecht des Bundesstaates kann es in gleichem Sinne zur Verwendung kommen, um zugleich eine Zuständigkeit der gesetzgebenden Ge- walt des Reichs und die Vorschrift zu geben, daſs davon in Form des Rechtssatzes Gebrauch gemacht werden soll. Darüber Haenel, Ges. im form. und mat. Sinne S. 277 ff.; Arndt, Verord.R. des D. Reichs S. 187 ff. Damit soll aber durchaus nicht gesagt sein, daſs das Wort Gesetz immer nur in diesem, beide Elemente um- fassenden Sinne gebraucht werden könne; wir behaupten nur, es werde auch in diesem Sinne gebraucht und bei unserer Grundeinteilung der Staatsthätigkeiten ist das offenbar der Fall.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/26>, abgerufen am 19.04.2024.