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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
schlusse wieder frei gegenüber steht, als hätte er ein subjektives
Recht nicht begründet16.

Die Geltendmachung des Beschwerderechts kann aber möglicher
Weise die angerufene Behörde überhaupt erst zuständig machen
zur Abänderung. Es ist etwa gesetzlich bestimmt, dass die obere
Behörde von ihrem Abänderungsrechte nur Gebrauch machen soll auf
Beschwerde. Dabei kann natürlich nicht eine einfache Beschwerde
gemeint sein, die von irgend jemand ausginge. Es bedeutet immer
ein Beschwerderecht, durch dessen Geltendmachung allein die Be-
hörde in Bewegung gesetzt werden kann zu sachlicher Prüfung und
Bescheidung.

In deutlicher Ausprägung erscheint diese Wirkung des Beschwerde-
rechts, wo besondere Beschwerdeinstanzen eingesetzt sind
in Gestalt unabhängiger Kollegialbehörden. Diese sind ihrer Natur
nach nicht geeignet und berufen, wie gewöhnliche vorgesetzte Be-
hörden eine ständige Überwachung und ein Einschreiten von Amts-
wegen auszuüben; nur durch das Anrufen eines Beschwerdeberechtigten
können sie zuständig werden. Insofern nun die Beschlüsse, zu deren
Nachprüfung sie berufen sind, gesetzlich nur geändert werden können
durch sie, ist es notwendig, dass nicht bloss der Unterthan, sondern
auch der Staat sie dazu in Bewegung setzen kann, um die öffent-
lichen Interessen, die durch einen solchen Beschluss verletzt wären,
zur Geltung zu bringen. Und so führt der Formalismus dieser Ein-
richtung dahin, dass vor diesen Beschwerdebehörden auch die ordent-
lichen Verwaltungsbehörden namens des Staates als Beschwerdeführer
erscheinen. Der Staat selbst hat ein Beschwerderecht, geradeso wie
er ein Klagerecht auszuüben hat vor Civil- und Verwaltungsgerichten;
nur dadurch wird eine Abänderung des betreffenden Beschlusses auch
zu seinen Gunsten möglich17.

16 Bad. Verord. v. 12. Juli 1864 § 87 (im wesentlichen beibehalten in Verord.
v. 31. Aug. 1884 § 42 und 43) bestimmt, dass Bewilligungen und Genehmigungen,
welche subjektive Rechte begründen, nur wegen Unzuständigkeit, Gewaltüber-
schreitung u. s. w. zurückgenommen werden können, aber diese Beschränkung gilt nur
"nach Ablauf der Rekursfrist", richtiger gesagt: für den Fall, dass nicht recht-
zeitig die förmliche Beschwerde erhoben wird; wenn das nämlich geschehen ist,
ist die Zurücknahme durch das entstandene subjektive Recht nicht mehr ge-
bunden. Weizel, Bad. Ges. v. 1863 S. 296, Note 1. zu Verord. v. 1864 § 88.
17 Diese Einrichtungen finden sich am schärfsten durchgeführt im Beschwerde-
verfahren vor den Beschlussbehörden des Preussischen Rechts. Darüber die Dar-
stellungen bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 479 ff.; Bornhak, Preuss. St.R.
II S. 475 ff. -- Ähnlich der Rekurs in Verwaltungssachen nach Bad. Recht,

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
schlusse wieder frei gegenüber steht, als hätte er ein subjektives
Recht nicht begründet16.

Die Geltendmachung des Beschwerderechts kann aber möglicher
Weise die angerufene Behörde überhaupt erst zuständig machen
zur Abänderung. Es ist etwa gesetzlich bestimmt, daſs die obere
Behörde von ihrem Abänderungsrechte nur Gebrauch machen soll auf
Beschwerde. Dabei kann natürlich nicht eine einfache Beschwerde
gemeint sein, die von irgend jemand ausginge. Es bedeutet immer
ein Beschwerderecht, durch dessen Geltendmachung allein die Be-
hörde in Bewegung gesetzt werden kann zu sachlicher Prüfung und
Bescheidung.

In deutlicher Ausprägung erscheint diese Wirkung des Beschwerde-
rechts, wo besondere Beschwerdeinstanzen eingesetzt sind
in Gestalt unabhängiger Kollegialbehörden. Diese sind ihrer Natur
nach nicht geeignet und berufen, wie gewöhnliche vorgesetzte Be-
hörden eine ständige Überwachung und ein Einschreiten von Amts-
wegen auszuüben; nur durch das Anrufen eines Beschwerdeberechtigten
können sie zuständig werden. Insofern nun die Beschlüsse, zu deren
Nachprüfung sie berufen sind, gesetzlich nur geändert werden können
durch sie, ist es notwendig, daſs nicht bloſs der Unterthan, sondern
auch der Staat sie dazu in Bewegung setzen kann, um die öffent-
lichen Interessen, die durch einen solchen Beschluſs verletzt wären,
zur Geltung zu bringen. Und so führt der Formalismus dieser Ein-
richtung dahin, daſs vor diesen Beschwerdebehörden auch die ordent-
lichen Verwaltungsbehörden namens des Staates als Beschwerdeführer
erscheinen. Der Staat selbst hat ein Beschwerderecht, geradeso wie
er ein Klagerecht auszuüben hat vor Civil- und Verwaltungsgerichten;
nur dadurch wird eine Abänderung des betreffenden Beschlusses auch
zu seinen Gunsten möglich17.

16 Bad. Verord. v. 12. Juli 1864 § 87 (im wesentlichen beibehalten in Verord.
v. 31. Aug. 1884 § 42 und 43) bestimmt, daſs Bewilligungen und Genehmigungen,
welche subjektive Rechte begründen, nur wegen Unzuständigkeit, Gewaltüber-
schreitung u. s. w. zurückgenommen werden können, aber diese Beschränkung gilt nur
„nach Ablauf der Rekursfrist“, richtiger gesagt: für den Fall, daſs nicht recht-
zeitig die förmliche Beschwerde erhoben wird; wenn das nämlich geschehen ist,
ist die Zurücknahme durch das entstandene subjektive Recht nicht mehr ge-
bunden. Weizel, Bad. Ges. v. 1863 S. 296, Note 1. zu Verord. v. 1864 § 88.
17 Diese Einrichtungen finden sich am schärfsten durchgeführt im Beschwerde-
verfahren vor den Beschluſsbehörden des Preuſsischen Rechts. Darüber die Dar-
stellungen bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 479 ff.; Bornhak, Preuſs. St.R.
II S. 475 ff. — Ähnlich der Rekurs in Verwaltungssachen nach Bad. Recht,
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[158/0178] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. schlusse wieder frei gegenüber steht, als hätte er ein subjektives Recht nicht begründet 16. Die Geltendmachung des Beschwerderechts kann aber möglicher Weise die angerufene Behörde überhaupt erst zuständig machen zur Abänderung. Es ist etwa gesetzlich bestimmt, daſs die obere Behörde von ihrem Abänderungsrechte nur Gebrauch machen soll auf Beschwerde. Dabei kann natürlich nicht eine einfache Beschwerde gemeint sein, die von irgend jemand ausginge. Es bedeutet immer ein Beschwerderecht, durch dessen Geltendmachung allein die Be- hörde in Bewegung gesetzt werden kann zu sachlicher Prüfung und Bescheidung. In deutlicher Ausprägung erscheint diese Wirkung des Beschwerde- rechts, wo besondere Beschwerdeinstanzen eingesetzt sind in Gestalt unabhängiger Kollegialbehörden. Diese sind ihrer Natur nach nicht geeignet und berufen, wie gewöhnliche vorgesetzte Be- hörden eine ständige Überwachung und ein Einschreiten von Amts- wegen auszuüben; nur durch das Anrufen eines Beschwerdeberechtigten können sie zuständig werden. Insofern nun die Beschlüsse, zu deren Nachprüfung sie berufen sind, gesetzlich nur geändert werden können durch sie, ist es notwendig, daſs nicht bloſs der Unterthan, sondern auch der Staat sie dazu in Bewegung setzen kann, um die öffent- lichen Interessen, die durch einen solchen Beschluſs verletzt wären, zur Geltung zu bringen. Und so führt der Formalismus dieser Ein- richtung dahin, daſs vor diesen Beschwerdebehörden auch die ordent- lichen Verwaltungsbehörden namens des Staates als Beschwerdeführer erscheinen. Der Staat selbst hat ein Beschwerderecht, geradeso wie er ein Klagerecht auszuüben hat vor Civil- und Verwaltungsgerichten; nur dadurch wird eine Abänderung des betreffenden Beschlusses auch zu seinen Gunsten möglich 17. 16 Bad. Verord. v. 12. Juli 1864 § 87 (im wesentlichen beibehalten in Verord. v. 31. Aug. 1884 § 42 und 43) bestimmt, daſs Bewilligungen und Genehmigungen, welche subjektive Rechte begründen, nur wegen Unzuständigkeit, Gewaltüber- schreitung u. s. w. zurückgenommen werden können, aber diese Beschränkung gilt nur „nach Ablauf der Rekursfrist“, richtiger gesagt: für den Fall, daſs nicht recht- zeitig die förmliche Beschwerde erhoben wird; wenn das nämlich geschehen ist, ist die Zurücknahme durch das entstandene subjektive Recht nicht mehr ge- bunden. Weizel, Bad. Ges. v. 1863 S. 296, Note 1. zu Verord. v. 1864 § 88. 17 Diese Einrichtungen finden sich am schärfsten durchgeführt im Beschwerde- verfahren vor den Beschluſsbehörden des Preuſsischen Rechts. Darüber die Dar- stellungen bei v. Stengel, Organis. Ges. S. 479 ff.; Bornhak, Preuſs. St.R. II S. 475 ff. — Ähnlich der Rekurs in Verwaltungssachen nach Bad. Recht,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/178>, abgerufen am 30.04.2024.