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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

Die Art dieser Gliederung des Stoffes in Rechtsinstitute ist aber
durch die verschiedene Natur desselben bestimmt.

Die Civilrechtswissenschaft untersucht am Civilrecht die
Grenzen der rechtlichen Willensmacht der Einzelnen gegen einander.
Ihre Rechtsinstitute finden ihren natürlichen Kern in den verschiedenen
Arten subjektiver Rechte, die da möglich sind. Sie giebt zu
jedem eine Darstellung seiner Entstehung, Wirkung, Änderung und
Endigung, ordnet sie nach inneren Verwandtschaften und erhält so
ihr System.

Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat es zu thun mit
den rechtlich bedingten Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Diese
Bedingtheiten sind nur hier und da ausgedrückt in subjektiven
Rechten (oben § 9), hängen häufig, aber nicht immer an Verwaltungs-
rechtssätzen; die verfassungsrechtlichen Grundsätze unmittelbar
liefern einen grossen Teil davon. Aus allem zusammen entstehen ge-
wisse feststehende gleichbleibende Arten von Erscheinungen
der öffentlichen Gewalt
und die sind unsere Rechtsinstitute.

Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist aber eine junge Wissen-
schaft ganz im Gegensatze zur Civilrechtswissenschaft, die in sicherem
Besitze steht. Ihre Rechtsinstitute kann sie nur herausarbeiten in
beständigem Kampfe mit einem grossen Gegner: das ist unsere eigene
Vergangenheit, die Rechtsanschauung des Polizeistaates.

Der Polizeistaat kannte natürlich kein Verwaltungsrechtsinstitut.
Ausserhalb des Civilrechts herrscht die Allgewalt der Behörden. Der
Wille der Obrigkeit ist einfach Befehl; weiter zu unterscheiden hat
keinen Zweck. Erst mit der Entwicklung des Rechtsstaates wird es
bedeutsam, festzusteilen, was gewollt werden konnte, was dadurch
rechtlich gewirkt ist, was auf Grund davon weiter geschehen kann.
Das Rechtsbewusstsein wird empfindlich für alle feineren Unter-
scheidungen. Der obrigkeitliche Befehl wird ein bestimmt umgrenztes
Rechtsinstitut, in sich selbst wieder nach Arten zerlegt, und erhält
an seine Seite gestellt verschiedenartige Formen obrigkeitlicher Ein-
wirkung, die in ihrer rechtlichen Besonderheit den Reichtum der Er-
scheinungen der öffentlichen Gewalt entfalten1.

1 Dieser "Prozess der Differenzierung" vollzieht sich manchmal sehr rasch.
So heisst es noch bei Laband, St.R. (1. Aufl.) II S. 216: "Soweit der Staat Herr-
schaftsrechte über Land und Leute hat .. ist der Befehl die Form, in welcher sich
die Thätigkeit der Behörden vollzieht." Ebenso noch in Arch. f. öff. R. II S. 159.
In St.R. (2. Aufl.) I S. 690 ist jetzt an Stelle des Befehls die Verfügung getreten
als "das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts". Davon heisst es
(S. 691): "Der Inhalt der Verfügung braucht aber nicht notwendig in dem Befehl .. zu
§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

Die Art dieser Gliederung des Stoffes in Rechtsinstitute ist aber
durch die verschiedene Natur desselben bestimmt.

Die Civilrechtswissenschaft untersucht am Civilrecht die
Grenzen der rechtlichen Willensmacht der Einzelnen gegen einander.
Ihre Rechtsinstitute finden ihren natürlichen Kern in den verschiedenen
Arten subjektiver Rechte, die da möglich sind. Sie giebt zu
jedem eine Darstellung seiner Entstehung, Wirkung, Änderung und
Endigung, ordnet sie nach inneren Verwandtschaften und erhält so
ihr System.

Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat es zu thun mit
den rechtlich bedingten Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Diese
Bedingtheiten sind nur hier und da ausgedrückt in subjektiven
Rechten (oben § 9), hängen häufig, aber nicht immer an Verwaltungs-
rechtssätzen; die verfassungsrechtlichen Grundsätze unmittelbar
liefern einen groſsen Teil davon. Aus allem zusammen entstehen ge-
wisse feststehende gleichbleibende Arten von Erscheinungen
der öffentlichen Gewalt
und die sind unsere Rechtsinstitute.

Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist aber eine junge Wissen-
schaft ganz im Gegensatze zur Civilrechtswissenschaft, die in sicherem
Besitze steht. Ihre Rechtsinstitute kann sie nur herausarbeiten in
beständigem Kampfe mit einem groſsen Gegner: das ist unsere eigene
Vergangenheit, die Rechtsanschauung des Polizeistaates.

Der Polizeistaat kannte natürlich kein Verwaltungsrechtsinstitut.
Auſserhalb des Civilrechts herrscht die Allgewalt der Behörden. Der
Wille der Obrigkeit ist einfach Befehl; weiter zu unterscheiden hat
keinen Zweck. Erst mit der Entwicklung des Rechtsstaates wird es
bedeutsam, festzusteilen, was gewollt werden konnte, was dadurch
rechtlich gewirkt ist, was auf Grund davon weiter geschehen kann.
Das Rechtsbewuſstsein wird empfindlich für alle feineren Unter-
scheidungen. Der obrigkeitliche Befehl wird ein bestimmt umgrenztes
Rechtsinstitut, in sich selbst wieder nach Arten zerlegt, und erhält
an seine Seite gestellt verschiedenartige Formen obrigkeitlicher Ein-
wirkung, die in ihrer rechtlichen Besonderheit den Reichtum der Er-
scheinungen der öffentlichen Gewalt entfalten1.

1 Dieser „Prozeſs der Differenzierung“ vollzieht sich manchmal sehr rasch.
So heiſst es noch bei Laband, St.R. (1. Aufl.) II S. 216: „Soweit der Staat Herr-
schaftsrechte über Land und Leute hat .. ist der Befehl die Form, in welcher sich
die Thätigkeit der Behörden vollzieht.“ Ebenso noch in Arch. f. öff. R. II S. 159.
In St.R. (2. Aufl.) I S. 690 ist jetzt an Stelle des Befehls die Verfügung getreten
als „das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts“. Davon heiſst es
(S. 691): „Der Inhalt der Verfügung braucht aber nicht notwendig in dem Befehl .. zu
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[135/0155] § 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht. Die Art dieser Gliederung des Stoffes in Rechtsinstitute ist aber durch die verschiedene Natur desselben bestimmt. Die Civilrechtswissenschaft untersucht am Civilrecht die Grenzen der rechtlichen Willensmacht der Einzelnen gegen einander. Ihre Rechtsinstitute finden ihren natürlichen Kern in den verschiedenen Arten subjektiver Rechte, die da möglich sind. Sie giebt zu jedem eine Darstellung seiner Entstehung, Wirkung, Änderung und Endigung, ordnet sie nach inneren Verwandtschaften und erhält so ihr System. Die Verwaltungsrechtswissenschaft hat es zu thun mit den rechtlich bedingten Erscheinungen der öffentlichen Gewalt. Diese Bedingtheiten sind nur hier und da ausgedrückt in subjektiven Rechten (oben § 9), hängen häufig, aber nicht immer an Verwaltungs- rechtssätzen; die verfassungsrechtlichen Grundsätze unmittelbar liefern einen groſsen Teil davon. Aus allem zusammen entstehen ge- wisse feststehende gleichbleibende Arten von Erscheinungen der öffentlichen Gewalt und die sind unsere Rechtsinstitute. Die Verwaltungsrechtswissenschaft ist aber eine junge Wissen- schaft ganz im Gegensatze zur Civilrechtswissenschaft, die in sicherem Besitze steht. Ihre Rechtsinstitute kann sie nur herausarbeiten in beständigem Kampfe mit einem groſsen Gegner: das ist unsere eigene Vergangenheit, die Rechtsanschauung des Polizeistaates. Der Polizeistaat kannte natürlich kein Verwaltungsrechtsinstitut. Auſserhalb des Civilrechts herrscht die Allgewalt der Behörden. Der Wille der Obrigkeit ist einfach Befehl; weiter zu unterscheiden hat keinen Zweck. Erst mit der Entwicklung des Rechtsstaates wird es bedeutsam, festzusteilen, was gewollt werden konnte, was dadurch rechtlich gewirkt ist, was auf Grund davon weiter geschehen kann. Das Rechtsbewuſstsein wird empfindlich für alle feineren Unter- scheidungen. Der obrigkeitliche Befehl wird ein bestimmt umgrenztes Rechtsinstitut, in sich selbst wieder nach Arten zerlegt, und erhält an seine Seite gestellt verschiedenartige Formen obrigkeitlicher Ein- wirkung, die in ihrer rechtlichen Besonderheit den Reichtum der Er- scheinungen der öffentlichen Gewalt entfalten 1. 1 Dieser „Prozeſs der Differenzierung“ vollzieht sich manchmal sehr rasch. So heiſst es noch bei Laband, St.R. (1. Aufl.) II S. 216: „Soweit der Staat Herr- schaftsrechte über Land und Leute hat .. ist der Befehl die Form, in welcher sich die Thätigkeit der Behörden vollzieht.“ Ebenso noch in Arch. f. öff. R. II S. 159. In St.R. (2. Aufl.) I S. 690 ist jetzt an Stelle des Befehls die Verfügung getreten als „das einseitige Rechtsgeschäft des öffentlichen Rechts“. Davon heiſst es (S. 691): „Der Inhalt der Verfügung braucht aber nicht notwendig in dem Befehl .. zu

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/155>, abgerufen am 26.11.2024.