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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.

Nun gibt es auch unter den juristischen Personen des
öffentlichen Rechtes
solche, die aufgebaut sind auf einem Verein
natürlicher Personen; das sind die öffentlichen Genossenschaften. Der
Beitritt mag freiwillig oder gezwungen geschehen, immer bedeutet er
die Unterwerfung unter die namens der Genossenschaft zu übende
Vereinsgewalt16. Diese aber ist hier öffentlichrechtlicher Natur und
das Verhältnis der Mitglieder ein Gewaltverhältnis in dem oben § 9
Note 13 festgestellten Begriff. Was ihnen gemäss diesem Verhält-
nis obliegt, kann bestimmt werden durch Generalverfügungen, die für
sie ergehen. Diese Statuten wirken also nicht mit der allgemein
bindenden Kraft des Gesetzes, sondern mit der Kraft der bereits ge-
gebenen Mitgliedspflicht, wie die Dienstvorschrift mit der Kraft der
Dienstpflicht. Das wird auch dann nicht anders, wenn das Gesetz
etwa selbst den allgemeinen Umfang bestimmt, innerhalb dessen die
Mitglieder für die Zwecke der Genossenschaft in Anspruch genommen
werden dürfen, damit die Vereinsgewalt das Nähere dann festsetze.
Damit ist immer nur eine Regelung der auf die Mitgliedschaft zu
gründenden Generalverfügungen gemeint, aber keine Ermächtigung zu
Rechtssätzen17.

Die wahre Autonomie wird im Gegensatze dazu gerade dadurch
erkennbar, dass sie unabhängig ist von der Vereinsgewalt und bindende
Regeln erzeugt, die über die Geltendmachung der Mitgliedschafts-
pflichten hinausgehen, sei es, dass das Gesetz der Genossenschaft ge-
stattet, solche Vorschriften bindend zu geben auch für Nichtmit-
glieder, sei es dass ein Selbstverwaltungskörper damit ausgerüstet
ist, der überhaupt auf einen Verein sich nicht gründet18. Das Statut,

16 Über diese auf "allen möglichen Stufen" sich entfaltende Vereinsgewalt
Gierke a. a. O. S. 150, 151. Bei dem bestehenden inneren Zusammenhang ist es
für die Frage der Autonomie der öffentlichen Genossenschaft durchaus nicht so
gleichgültig, ob die Privatkorporation solche hat, wie Rosin', Öff. Genoss. S. 182
Note 1, meint.
17 Rosin, Öff. Genoss. S. 187 ff., nennt das statutarische Rechtssätze, "welche
auf dem eignen Herrschaftsrechte der Genossenschaft über ihre Mitglieder be-
ruhen". So auch Gierke, Genoss. Theorie S. 720 Note 2. Eben deshalb, weil
sie darauf beruhen, sind sie keine Rechtssätze. Im heutigen Staat giebt es keine
rechtssatzschaffende Gewalt, die nicht vom Staate abgeleitet ist.
18 Die Gemeinde beruht nicht auf einem Verein, hat folglich keine Vereins-
gewalt über ihre Angehörigen. Nach Bayr. Gem.O. können nun durch statutarische
Bestimmung neue Verbrauchssteuern eingeführt, Gemeindedienste auferlegt, Ein-
quartierungslasten geordnet werden (Art. 41, 49, 112 Ziff. 15). Das sind "Gesetz-
gebungsakte der Gemeinde in ihrem eignen Wirkungskreise" im Gegensatz zu den
ortspolizeilichen Vorschriften als "Gesetzgebungsakten der Gemeinde im über-
tragenen Wirkungskreise" (Seydel, Bayr. St.R. III S. 42). Loening, V.R.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 9
§ 10. Quellen des Verwaltungsrechts.

Nun gibt es auch unter den juristischen Personen des
öffentlichen Rechtes
solche, die aufgebaut sind auf einem Verein
natürlicher Personen; das sind die öffentlichen Genossenschaften. Der
Beitritt mag freiwillig oder gezwungen geschehen, immer bedeutet er
die Unterwerfung unter die namens der Genossenschaft zu übende
Vereinsgewalt16. Diese aber ist hier öffentlichrechtlicher Natur und
das Verhältnis der Mitglieder ein Gewaltverhältnis in dem oben § 9
Note 13 festgestellten Begriff. Was ihnen gemäſs diesem Verhält-
nis obliegt, kann bestimmt werden durch Generalverfügungen, die für
sie ergehen. Diese Statuten wirken also nicht mit der allgemein
bindenden Kraft des Gesetzes, sondern mit der Kraft der bereits ge-
gebenen Mitgliedspflicht, wie die Dienstvorschrift mit der Kraft der
Dienstpflicht. Das wird auch dann nicht anders, wenn das Gesetz
etwa selbst den allgemeinen Umfang bestimmt, innerhalb dessen die
Mitglieder für die Zwecke der Genossenschaft in Anspruch genommen
werden dürfen, damit die Vereinsgewalt das Nähere dann festsetze.
Damit ist immer nur eine Regelung der auf die Mitgliedschaft zu
gründenden Generalverfügungen gemeint, aber keine Ermächtigung zu
Rechtssätzen17.

Die wahre Autonomie wird im Gegensatze dazu gerade dadurch
erkennbar, daſs sie unabhängig ist von der Vereinsgewalt und bindende
Regeln erzeugt, die über die Geltendmachung der Mitgliedschafts-
pflichten hinausgehen, sei es, daſs das Gesetz der Genossenschaft ge-
stattet, solche Vorschriften bindend zu geben auch für Nichtmit-
glieder, sei es daſs ein Selbstverwaltungskörper damit ausgerüstet
ist, der überhaupt auf einen Verein sich nicht gründet18. Das Statut,

16 Über diese auf „allen möglichen Stufen“ sich entfaltende Vereinsgewalt
Gierke a. a. O. S. 150, 151. Bei dem bestehenden inneren Zusammenhang ist es
für die Frage der Autonomie der öffentlichen Genossenschaft durchaus nicht so
gleichgültig, ob die Privatkorporation solche hat, wie Rosin’, Öff. Genoss. S. 182
Note 1, meint.
17 Rosin, Öff. Genoss. S. 187 ff., nennt das statutarische Rechtssätze, „welche
auf dem eignen Herrschaftsrechte der Genossenschaft über ihre Mitglieder be-
ruhen“. So auch Gierke, Genoss. Theorie S. 720 Note 2. Eben deshalb, weil
sie darauf beruhen, sind sie keine Rechtssätze. Im heutigen Staat giebt es keine
rechtssatzschaffende Gewalt, die nicht vom Staate abgeleitet ist.
18 Die Gemeinde beruht nicht auf einem Verein, hat folglich keine Vereins-
gewalt über ihre Angehörigen. Nach Bayr. Gem.O. können nun durch statutarische
Bestimmung neue Verbrauchssteuern eingeführt, Gemeindedienste auferlegt, Ein-
quartierungslasten geordnet werden (Art. 41, 49, 112 Ziff. 15). Das sind „Gesetz-
gebungsakte der Gemeinde in ihrem eignen Wirkungskreise“ im Gegensatz zu den
ortspolizeilichen Vorschriften als „Gesetzgebungsakten der Gemeinde im über-
tragenen Wirkungskreise“ (Seydel, Bayr. St.R. III S. 42). Loening, V.R.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 9
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[129/0149] § 10. Quellen des Verwaltungsrechts. Nun gibt es auch unter den juristischen Personen des öffentlichen Rechtes solche, die aufgebaut sind auf einem Verein natürlicher Personen; das sind die öffentlichen Genossenschaften. Der Beitritt mag freiwillig oder gezwungen geschehen, immer bedeutet er die Unterwerfung unter die namens der Genossenschaft zu übende Vereinsgewalt 16. Diese aber ist hier öffentlichrechtlicher Natur und das Verhältnis der Mitglieder ein Gewaltverhältnis in dem oben § 9 Note 13 festgestellten Begriff. Was ihnen gemäſs diesem Verhält- nis obliegt, kann bestimmt werden durch Generalverfügungen, die für sie ergehen. Diese Statuten wirken also nicht mit der allgemein bindenden Kraft des Gesetzes, sondern mit der Kraft der bereits ge- gebenen Mitgliedspflicht, wie die Dienstvorschrift mit der Kraft der Dienstpflicht. Das wird auch dann nicht anders, wenn das Gesetz etwa selbst den allgemeinen Umfang bestimmt, innerhalb dessen die Mitglieder für die Zwecke der Genossenschaft in Anspruch genommen werden dürfen, damit die Vereinsgewalt das Nähere dann festsetze. Damit ist immer nur eine Regelung der auf die Mitgliedschaft zu gründenden Generalverfügungen gemeint, aber keine Ermächtigung zu Rechtssätzen 17. Die wahre Autonomie wird im Gegensatze dazu gerade dadurch erkennbar, daſs sie unabhängig ist von der Vereinsgewalt und bindende Regeln erzeugt, die über die Geltendmachung der Mitgliedschafts- pflichten hinausgehen, sei es, daſs das Gesetz der Genossenschaft ge- stattet, solche Vorschriften bindend zu geben auch für Nichtmit- glieder, sei es daſs ein Selbstverwaltungskörper damit ausgerüstet ist, der überhaupt auf einen Verein sich nicht gründet 18. Das Statut, 16 Über diese auf „allen möglichen Stufen“ sich entfaltende Vereinsgewalt Gierke a. a. O. S. 150, 151. Bei dem bestehenden inneren Zusammenhang ist es für die Frage der Autonomie der öffentlichen Genossenschaft durchaus nicht so gleichgültig, ob die Privatkorporation solche hat, wie Rosin’, Öff. Genoss. S. 182 Note 1, meint. 17 Rosin, Öff. Genoss. S. 187 ff., nennt das statutarische Rechtssätze, „welche auf dem eignen Herrschaftsrechte der Genossenschaft über ihre Mitglieder be- ruhen“. So auch Gierke, Genoss. Theorie S. 720 Note 2. Eben deshalb, weil sie darauf beruhen, sind sie keine Rechtssätze. Im heutigen Staat giebt es keine rechtssatzschaffende Gewalt, die nicht vom Staate abgeleitet ist. 18 Die Gemeinde beruht nicht auf einem Verein, hat folglich keine Vereins- gewalt über ihre Angehörigen. Nach Bayr. Gem.O. können nun durch statutarische Bestimmung neue Verbrauchssteuern eingeführt, Gemeindedienste auferlegt, Ein- quartierungslasten geordnet werden (Art. 41, 49, 112 Ziff. 15). Das sind „Gesetz- gebungsakte der Gemeinde in ihrem eignen Wirkungskreise“ im Gegensatz zu den ortspolizeilichen Vorschriften als „Gesetzgebungsakten der Gemeinde im über- tragenen Wirkungskreise“ (Seydel, Bayr. St.R. III S. 42). Loening, V.R. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 9

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/149>, abgerufen am 02.05.2024.