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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
lässt sich aber auch ihrerseits wieder einteilen in Unterpflichten:
Treupflicht, allgemeine Steuerpflicht, allgemeine Wehrpflicht u. s. w.,
ein Register von empfehlenswerten Gesinnungen entsteht dadurch und
von Unannehmlichkeiten, welche man von seiten des Staates erfahren
kann; juristischen Wert hat diese anspruchsvolle Pflichtenlehre keinen6.

Die vollziehende Gewalt wird nun verfassungsmässig beschränkt
in der Geltendmachung dieses allgemeinen staatlichen Beherrschungs-
rechts durch den Vorbehalt des Gesetzes (oben § 6, I n. 2): der
Vorteil, welcher den Unterthanen daraus erwächst, wird sofort wieder
zu ihren Menschenrechten, Freiheitsrechten, Grundrechten7.

Diese Beschränkung selbst kann durchbrochen werden durch
eine gesetzliche Ermächtigung, welche der vollziehenden Gewalt und
ihren Behörden für gewisse Dinge erteilt wird (oben § 6 S. 76):
dann spricht man wieder von einem Rechte des Staates, in der be-
zeichneten Weise einzuwirken8.

Umgekehrt kann rechtssatzmässig bestimmt werden, dass gewisse
Bewilligungen oder Dienstleistungen jedem zu gewähren sind, bei dem
gewisse Voraussetzungen zutreffen: daran knüpft sich sofort ein

6 Vgl. die Aufzählungen bei v. Roenne, Preuss. St.R. S. 212 ff.; Schulze,
St.R. I S. 360 ff.; am reichhaltigsten Funke, Die Verw. im Verh. zur Justiz
S. 55 ff. Chr. v. Wolff, Grunds. des Nat.- und Völker-R. § 1085, hatte auch
noch die schöne rechtsverbindliche Pflicht für Regenten und Unterthanen, "sich
unter einander zu lieben".
7 Das ist auch die Sprache unserer Verfassungsurkunden. Dagegen richtig
Ulbrich, Öff. R. S. 22; Jellinek, Subj. öff. R. S. 97; vor allem Laband,
St.R. I S. 149 (1. Aufl.): "Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt". --
Dass aus der Verletzung der also geschützten Interessen Rechtsansprüche entstehen
auf Schadensersatz, Beseitigung der Störung, Strafe, ist eine Sache für sich und
beweist durchaus nicht, dass sie selbst schon als Rechte anzusehen sind; Merkel,
Encyklop. § 150 und 157; Gerber, Öff. R. S. 79. Das verkennt Jellinek, Subj.
öff. R. S. 100, wenn er diesen "negativen Status", wie er es nennt, wesentlich ver-
schieden glaubt von "einer blossen Reflexwirkung des objektiven Rechts", weil "im
Wege der Rechtsbeschwerde die Aufhebung der störenden Handlung verlangt werden
könne". Wenn unter Rechtsbeschwerden eine besondere Art von Rechtsschutz-
mittel gemeint ist, so ist das überdies eine dritte Sache für sich; vgl. unten § 12.
8 V.G.E. 4. Juli 1884 (Reyer V S. 228): "Nach den Bestimmungen des Reichs-
gesetzes v. 25. Juli 1868 geniesst der Staat das Recht, alle für Unterbringung
von Mannschaften und Pferden geeigneten Räumlichkeiten in Anspruch zu nehmen".
Dieses "Recht" genoss der Staat schon vor der Verfassung; jetzt ist wegen des
verfassungsmässigen Vorbehalts ein Gesetz dafür notwendig geworden, welches es
wiederherstellt, d. h. die vollziehende Gewalt frei macht.

Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.
läſst sich aber auch ihrerseits wieder einteilen in Unterpflichten:
Treupflicht, allgemeine Steuerpflicht, allgemeine Wehrpflicht u. s. w.,
ein Register von empfehlenswerten Gesinnungen entsteht dadurch und
von Unannehmlichkeiten, welche man von seiten des Staates erfahren
kann; juristischen Wert hat diese anspruchsvolle Pflichtenlehre keinen6.

Die vollziehende Gewalt wird nun verfassungsmäſsig beschränkt
in der Geltendmachung dieses allgemeinen staatlichen Beherrschungs-
rechts durch den Vorbehalt des Gesetzes (oben § 6, I n. 2): der
Vorteil, welcher den Unterthanen daraus erwächst, wird sofort wieder
zu ihren Menschenrechten, Freiheitsrechten, Grundrechten7.

Diese Beschränkung selbst kann durchbrochen werden durch
eine gesetzliche Ermächtigung, welche der vollziehenden Gewalt und
ihren Behörden für gewisse Dinge erteilt wird (oben § 6 S. 76):
dann spricht man wieder von einem Rechte des Staates, in der be-
zeichneten Weise einzuwirken8.

Umgekehrt kann rechtssatzmäſsig bestimmt werden, daſs gewisse
Bewilligungen oder Dienstleistungen jedem zu gewähren sind, bei dem
gewisse Voraussetzungen zutreffen: daran knüpft sich sofort ein

6 Vgl. die Aufzählungen bei v. Roenne, Preuſs. St.R. S. 212 ff.; Schulze,
St.R. I S. 360 ff.; am reichhaltigsten Funke, Die Verw. im Verh. zur Justiz
S. 55 ff. Chr. v. Wolff, Grunds. des Nat.- und Völker-R. § 1085, hatte auch
noch die schöne rechtsverbindliche Pflicht für Regenten und Unterthanen, „sich
unter einander zu lieben“.
7 Das ist auch die Sprache unserer Verfassungsurkunden. Dagegen richtig
Ulbrich, Öff. R. S. 22; Jellinek, Subj. öff. R. S. 97; vor allem Laband,
St.R. I S. 149 (1. Aufl.): „Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt“. —
Daſs aus der Verletzung der also geschützten Interessen Rechtsansprüche entstehen
auf Schadensersatz, Beseitigung der Störung, Strafe, ist eine Sache für sich und
beweist durchaus nicht, daſs sie selbst schon als Rechte anzusehen sind; Merkel,
Encyklop. § 150 und 157; Gerber, Öff. R. S. 79. Das verkennt Jellinek, Subj.
öff. R. S. 100, wenn er diesen „negativen Status“, wie er es nennt, wesentlich ver-
schieden glaubt von „einer bloſsen Reflexwirkung des objektiven Rechts“, weil „im
Wege der Rechtsbeschwerde die Aufhebung der störenden Handlung verlangt werden
könne“. Wenn unter Rechtsbeschwerden eine besondere Art von Rechtsschutz-
mittel gemeint ist, so ist das überdies eine dritte Sache für sich; vgl. unten § 12.
8 V.G.E. 4. Juli 1884 (Reyer V S. 228): „Nach den Bestimmungen des Reichs-
gesetzes v. 25. Juli 1868 genieſst der Staat das Recht, alle für Unterbringung
von Mannschaften und Pferden geeigneten Räumlichkeiten in Anspruch zu nehmen“.
Dieses „Recht“ genoſs der Staat schon vor der Verfassung; jetzt ist wegen des
verfassungsmäſsigen Vorbehalts ein Gesetz dafür notwendig geworden, welches es
wiederherstellt, d. h. die vollziehende Gewalt frei macht.
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[106/0126] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. läſst sich aber auch ihrerseits wieder einteilen in Unterpflichten: Treupflicht, allgemeine Steuerpflicht, allgemeine Wehrpflicht u. s. w., ein Register von empfehlenswerten Gesinnungen entsteht dadurch und von Unannehmlichkeiten, welche man von seiten des Staates erfahren kann; juristischen Wert hat diese anspruchsvolle Pflichtenlehre keinen 6. Die vollziehende Gewalt wird nun verfassungsmäſsig beschränkt in der Geltendmachung dieses allgemeinen staatlichen Beherrschungs- rechts durch den Vorbehalt des Gesetzes (oben § 6, I n. 2): der Vorteil, welcher den Unterthanen daraus erwächst, wird sofort wieder zu ihren Menschenrechten, Freiheitsrechten, Grundrechten 7. Diese Beschränkung selbst kann durchbrochen werden durch eine gesetzliche Ermächtigung, welche der vollziehenden Gewalt und ihren Behörden für gewisse Dinge erteilt wird (oben § 6 S. 76): dann spricht man wieder von einem Rechte des Staates, in der be- zeichneten Weise einzuwirken 8. Umgekehrt kann rechtssatzmäſsig bestimmt werden, daſs gewisse Bewilligungen oder Dienstleistungen jedem zu gewähren sind, bei dem gewisse Voraussetzungen zutreffen: daran knüpft sich sofort ein 6 Vgl. die Aufzählungen bei v. Roenne, Preuſs. St.R. S. 212 ff.; Schulze, St.R. I S. 360 ff.; am reichhaltigsten Funke, Die Verw. im Verh. zur Justiz S. 55 ff. Chr. v. Wolff, Grunds. des Nat.- und Völker-R. § 1085, hatte auch noch die schöne rechtsverbindliche Pflicht für Regenten und Unterthanen, „sich unter einander zu lieben“. 7 Das ist auch die Sprache unserer Verfassungsurkunden. Dagegen richtig Ulbrich, Öff. R. S. 22; Jellinek, Subj. öff. R. S. 97; vor allem Laband, St.R. I S. 149 (1. Aufl.): „Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt“. — Daſs aus der Verletzung der also geschützten Interessen Rechtsansprüche entstehen auf Schadensersatz, Beseitigung der Störung, Strafe, ist eine Sache für sich und beweist durchaus nicht, daſs sie selbst schon als Rechte anzusehen sind; Merkel, Encyklop. § 150 und 157; Gerber, Öff. R. S. 79. Das verkennt Jellinek, Subj. öff. R. S. 100, wenn er diesen „negativen Status“, wie er es nennt, wesentlich ver- schieden glaubt von „einer bloſsen Reflexwirkung des objektiven Rechts“, weil „im Wege der Rechtsbeschwerde die Aufhebung der störenden Handlung verlangt werden könne“. Wenn unter Rechtsbeschwerden eine besondere Art von Rechtsschutz- mittel gemeint ist, so ist das überdies eine dritte Sache für sich; vgl. unten § 12. 8 V.G.E. 4. Juli 1884 (Reyer V S. 228): „Nach den Bestimmungen des Reichs- gesetzes v. 25. Juli 1868 genieſst der Staat das Recht, alle für Unterbringung von Mannschaften und Pferden geeigneten Räumlichkeiten in Anspruch zu nehmen“. Dieses „Recht“ genoſs der Staat schon vor der Verfassung; jetzt ist wegen des verfassungsmäſsigen Vorbehalts ein Gesetz dafür notwendig geworden, welches es wiederherstellt, d. h. die vollziehende Gewalt frei macht.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/126>, abgerufen am 02.05.2024.