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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Recht oder eine Pflicht begründet, die durch Rechtsnachfolge über-
gehen können (unten § 9); das ist aber die seltene Ausnahme.

3. Mehr dem Muster gewisser civilrechtlicher Rechtsgeschäfte
entspricht es, wenn der Verwaltungsakt zwar für einen bestimmten
Einzelnen ergeht, diesen aber nicht als Person im Auge hat, sondern
als den Vertreter bestimmter äusserer Umstände, in welchen er steht,
eines Besitzes, Betriebes, Unternehmens; da kann dann der Ver-
waltungsakt wirksam werden gegen jeden, der nachher darin an seine
Stelle tritt. Wenigstens ist es im geltenden Rechte in gewissem Um-
fange anerkannt; Regel ist diese Nachwirkung auf personae
incertae
nicht; vgl. unten § 21 Note 10 und 20.

4. Davon unterscheidet sich wieder der Fall, wo der zunächst Be-
troffene selbst zwar eine bestimmte Person, aber nur mittelbar be-
zeichnet
ist; er ergiebt sich erst aus der genaueren Aufklärung
eines gewissen rechtlichen Zusammenhangs. Das ist namentlich der
Fall bei dinglich wirkenden Verwaltungsakten: Enteignung, Auf-
legung öffentlicher Grunddienstbarkeiten brauchen den Eigentümer
oder wenigstens den richtigen Eigentümer, gegen den sie gehen, gar
nicht zu nennen; sie treffen ihn durch das Grundstück hindurch.
Von der gleichen Art ist der Verwaltungsakt, der an eine gegebene
Gesamtheit von Personen gerichtet ist, um jeden darin begriffenen
Einzelnen zu treffen: Befehl zum Auseinandergehen an eine Menschen-
menge, Auflösung einer Versammlung, eines Vereins. Es ist eigent-
lich eine Mehrheit von Verwaltungsakten; an jede durch die Zu-
gehörigkeit an jene Gesamtheit bezeichnete Person richtet sich einer;
sie erscheinen aber vereinigt zu einem Gesamtakt12.

5. Der äusserste Grad solcher freieren Bezeichnungsweise der
vom Verwaltungsakt Getroffenen entwickelt sich im Gewaltverhältnis:
hier finden wir Gesamtakte mit mittelbarer Bezeichnung der Ge-
troffenen und ohne Beschränkung auf einen gegenwärtigen abgegrenzten
Personenkreis, also für personae incertae. Den im Gewaltverhältnisse
Begriffenen können sämtlich Anweisungen gegeben werden, Verwaltungs-
akte, welche die Folgerungen aus dem Gewaltverhältnisse ziehen. Diese
Anweisungen werden in Instruktionen, Regulativen, Reglements, An-
staltsordnungen zusammengestellt und durch Veröffentlichung kund-
gegeben oder sonst den Beteiligten zugänglich gemacht. Sie wirken
dann bindend für jeden, der jetzt in dem Gewaltverhältnisse steht
oder künftig in dasselbe eintritt.

12 Ueber gleichzeitige Verfügung an eine Mehrheit von Personen und ihren
Unterschied vom Rechtssatz: Laband, St.R. I S. 696; v. Sarwey, A.V.R. S. 29.

§ 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes.
Recht oder eine Pflicht begründet, die durch Rechtsnachfolge über-
gehen können (unten § 9); das ist aber die seltene Ausnahme.

3. Mehr dem Muster gewisser civilrechtlicher Rechtsgeschäfte
entspricht es, wenn der Verwaltungsakt zwar für einen bestimmten
Einzelnen ergeht, diesen aber nicht als Person im Auge hat, sondern
als den Vertreter bestimmter äuſserer Umstände, in welchen er steht,
eines Besitzes, Betriebes, Unternehmens; da kann dann der Ver-
waltungsakt wirksam werden gegen jeden, der nachher darin an seine
Stelle tritt. Wenigstens ist es im geltenden Rechte in gewissem Um-
fange anerkannt; Regel ist diese Nachwirkung auf personae
incertae
nicht; vgl. unten § 21 Note 10 und 20.

4. Davon unterscheidet sich wieder der Fall, wo der zunächst Be-
troffene selbst zwar eine bestimmte Person, aber nur mittelbar be-
zeichnet
ist; er ergiebt sich erst aus der genaueren Aufklärung
eines gewissen rechtlichen Zusammenhangs. Das ist namentlich der
Fall bei dinglich wirkenden Verwaltungsakten: Enteignung, Auf-
legung öffentlicher Grunddienstbarkeiten brauchen den Eigentümer
oder wenigstens den richtigen Eigentümer, gegen den sie gehen, gar
nicht zu nennen; sie treffen ihn durch das Grundstück hindurch.
Von der gleichen Art ist der Verwaltungsakt, der an eine gegebene
Gesamtheit von Personen gerichtet ist, um jeden darin begriffenen
Einzelnen zu treffen: Befehl zum Auseinandergehen an eine Menschen-
menge, Auflösung einer Versammlung, eines Vereins. Es ist eigent-
lich eine Mehrheit von Verwaltungsakten; an jede durch die Zu-
gehörigkeit an jene Gesamtheit bezeichnete Person richtet sich einer;
sie erscheinen aber vereinigt zu einem Gesamtakt12.

5. Der äuſserste Grad solcher freieren Bezeichnungsweise der
vom Verwaltungsakt Getroffenen entwickelt sich im Gewaltverhältnis:
hier finden wir Gesamtakte mit mittelbarer Bezeichnung der Ge-
troffenen und ohne Beschränkung auf einen gegenwärtigen abgegrenzten
Personenkreis, also für personae incertae. Den im Gewaltverhältnisse
Begriffenen können sämtlich Anweisungen gegeben werden, Verwaltungs-
akte, welche die Folgerungen aus dem Gewaltverhältnisse ziehen. Diese
Anweisungen werden in Instruktionen, Regulativen, Reglements, An-
staltsordnungen zusammengestellt und durch Veröffentlichung kund-
gegeben oder sonst den Beteiligten zugänglich gemacht. Sie wirken
dann bindend für jeden, der jetzt in dem Gewaltverhältnisse steht
oder künftig in dasselbe eintritt.

12 Ueber gleichzeitige Verfügung an eine Mehrheit von Personen und ihren
Unterschied vom Rechtssatz: Laband, St.R. I S. 696; v. Sarwey, A.V.R. S. 29.
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[103/0123] § 8. Die bindende Kraft des Verwaltungsaktes. Recht oder eine Pflicht begründet, die durch Rechtsnachfolge über- gehen können (unten § 9); das ist aber die seltene Ausnahme. 3. Mehr dem Muster gewisser civilrechtlicher Rechtsgeschäfte entspricht es, wenn der Verwaltungsakt zwar für einen bestimmten Einzelnen ergeht, diesen aber nicht als Person im Auge hat, sondern als den Vertreter bestimmter äuſserer Umstände, in welchen er steht, eines Besitzes, Betriebes, Unternehmens; da kann dann der Ver- waltungsakt wirksam werden gegen jeden, der nachher darin an seine Stelle tritt. Wenigstens ist es im geltenden Rechte in gewissem Um- fange anerkannt; Regel ist diese Nachwirkung auf personae incertae nicht; vgl. unten § 21 Note 10 und 20. 4. Davon unterscheidet sich wieder der Fall, wo der zunächst Be- troffene selbst zwar eine bestimmte Person, aber nur mittelbar be- zeichnet ist; er ergiebt sich erst aus der genaueren Aufklärung eines gewissen rechtlichen Zusammenhangs. Das ist namentlich der Fall bei dinglich wirkenden Verwaltungsakten: Enteignung, Auf- legung öffentlicher Grunddienstbarkeiten brauchen den Eigentümer oder wenigstens den richtigen Eigentümer, gegen den sie gehen, gar nicht zu nennen; sie treffen ihn durch das Grundstück hindurch. Von der gleichen Art ist der Verwaltungsakt, der an eine gegebene Gesamtheit von Personen gerichtet ist, um jeden darin begriffenen Einzelnen zu treffen: Befehl zum Auseinandergehen an eine Menschen- menge, Auflösung einer Versammlung, eines Vereins. Es ist eigent- lich eine Mehrheit von Verwaltungsakten; an jede durch die Zu- gehörigkeit an jene Gesamtheit bezeichnete Person richtet sich einer; sie erscheinen aber vereinigt zu einem Gesamtakt 12. 5. Der äuſserste Grad solcher freieren Bezeichnungsweise der vom Verwaltungsakt Getroffenen entwickelt sich im Gewaltverhältnis: hier finden wir Gesamtakte mit mittelbarer Bezeichnung der Ge- troffenen und ohne Beschränkung auf einen gegenwärtigen abgegrenzten Personenkreis, also für personae incertae. Den im Gewaltverhältnisse Begriffenen können sämtlich Anweisungen gegeben werden, Verwaltungs- akte, welche die Folgerungen aus dem Gewaltverhältnisse ziehen. Diese Anweisungen werden in Instruktionen, Regulativen, Reglements, An- staltsordnungen zusammengestellt und durch Veröffentlichung kund- gegeben oder sonst den Beteiligten zugänglich gemacht. Sie wirken dann bindend für jeden, der jetzt in dem Gewaltverhältnisse steht oder künftig in dasselbe eintritt. 12 Ueber gleichzeitige Verfügung an eine Mehrheit von Personen und ihren Unterschied vom Rechtssatz: Laband, St.R. I S. 696; v. Sarwey, A.V.R. S. 29.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/123>, abgerufen am 02.05.2024.