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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.

Die Verwaltung steht darin dem Gesetz gegenüber, wie die Justiz,
als Dienerin, nicht als Unterthan.

2. Wer ist es nun, der in solcher Weise durch das Gesetz ge-
bunden wird? Die Ausdrücke, die wir bisher gebrauchten: Verwaltung,
Obrigkeit, öffentliche Gewalt, mochten vorläufig genügen, um die
äussere Gestalt der Gebundenheit damit zu entwickeln. Jetzt ist auch
der Punkt genauer zu bezeichnen, an welchem die Gebundenheit wirk-
sam wird.

Die Richtung, in welcher die Antwort zu suchen ist, ist gegeben
durch das Ziel, worauf die ganze Einrichtung hinausläuft. Es handelt
sich bei der Verwaltung um das Verhältnis zwischen Staat
und Unterthan
. In dieses soll durch das Verwaltungsgesetz Recht
und Rechtsordnung gebracht werden. Der Unterthan steht auf der
andern Seite, also muss die Gebundenheit, die wir hier suchen, eine
Gebundenheit des Staates sein. Man pflegt denn auch ohne weiteres
den Satz aufzustellen: der Staat ist in seiner Thätigkeit an das Gesetz
gebunden. Dass das wirkt auf seine Vertreter, die solche Thätigkeit
in seinem Namen zu üben haben, ist nur die Folge davon.

Nun lässt sich aber die Erkenntnis nicht abweisen, dass auch
im Gesetze selbst nichts anderes wirkt als wiederum der Staat, dessen
Wille darin erscheint. So gelangt man dazu, die Wirkung des Ge-
setzes zu erklären als eine Selbstbindung des Staates8. In
dieser Weise einfach hingestellt, ist die Selbstbindung des Staates
ein geheimnisvoller Vorgang, den man glauben soll, aber nicht ver-
stehen kann. Innerhalb eines einheitlich gedachten Wesens kann ein
sich Gegenüberstehen in rechtlichen Beziehungen, wie die Gebunden-
heit sie doch bedeuten würde, gar nicht gedacht werden.

Der Widerspruch, der dagegen erhoben wurde, hat dahin ge-
führt, ein ganz anderes Rechtssubjekt für diese Gebundenheit zu
suchen. Nicht der Staat, sagt man, ist gebunden, "sich selbst kann
man nicht befehlen", sondern die einzelnen Träger staatlicher
Thätigkeit
. An diese ergeht der Befehl des Gesetzes9.

steht nur noch gegenüber dem Urteil und dem Verwaltungsakt (unten § 8); da-
durch ergänzt sich der Begriff der Vollziehung. Es ist einfach alle Thätigkeit,
an welcher die der vollziehenden Gewalt eigentümliche Bindbarkeit wirksam er-
scheint.
8 Jellinek, Staatenverbindungen S. 30 ff.; Arndt, Verord.R. S. 3; Grote-
fend,
Preuss. V.R. I S. 19; Thon, Rechtsnorm S. 141; Binding, Normen I
S. 13; Jhering, Zweck im R. I S. 222. -- Gegen diese Idee Zorn in Annalen
1884 S. 475 Note 1; Gareis, Allg. St.R. S. 30.
9 Laband, St.R. I S. 578: "Jene Gesetze sind in der That nicht Befehle,
welche an die Staatsgewalt gerichtet sind, sondern Befehle der Staatsgewalt an
Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung.

Die Verwaltung steht darin dem Gesetz gegenüber, wie die Justiz,
als Dienerin, nicht als Unterthan.

2. Wer ist es nun, der in solcher Weise durch das Gesetz ge-
bunden wird? Die Ausdrücke, die wir bisher gebrauchten: Verwaltung,
Obrigkeit, öffentliche Gewalt, mochten vorläufig genügen, um die
äuſsere Gestalt der Gebundenheit damit zu entwickeln. Jetzt ist auch
der Punkt genauer zu bezeichnen, an welchem die Gebundenheit wirk-
sam wird.

Die Richtung, in welcher die Antwort zu suchen ist, ist gegeben
durch das Ziel, worauf die ganze Einrichtung hinausläuft. Es handelt
sich bei der Verwaltung um das Verhältnis zwischen Staat
und Unterthan
. In dieses soll durch das Verwaltungsgesetz Recht
und Rechtsordnung gebracht werden. Der Unterthan steht auf der
andern Seite, also muſs die Gebundenheit, die wir hier suchen, eine
Gebundenheit des Staates sein. Man pflegt denn auch ohne weiteres
den Satz aufzustellen: der Staat ist in seiner Thätigkeit an das Gesetz
gebunden. Daſs das wirkt auf seine Vertreter, die solche Thätigkeit
in seinem Namen zu üben haben, ist nur die Folge davon.

Nun läſst sich aber die Erkenntnis nicht abweisen, daſs auch
im Gesetze selbst nichts anderes wirkt als wiederum der Staat, dessen
Wille darin erscheint. So gelangt man dazu, die Wirkung des Ge-
setzes zu erklären als eine Selbstbindung des Staates8. In
dieser Weise einfach hingestellt, ist die Selbstbindung des Staates
ein geheimnisvoller Vorgang, den man glauben soll, aber nicht ver-
stehen kann. Innerhalb eines einheitlich gedachten Wesens kann ein
sich Gegenüberstehen in rechtlichen Beziehungen, wie die Gebunden-
heit sie doch bedeuten würde, gar nicht gedacht werden.

Der Widerspruch, der dagegen erhoben wurde, hat dahin ge-
führt, ein ganz anderes Rechtssubjekt für diese Gebundenheit zu
suchen. Nicht der Staat, sagt man, ist gebunden, „sich selbst kann
man nicht befehlen“, sondern die einzelnen Träger staatlicher
Thätigkeit
. An diese ergeht der Befehl des Gesetzes9.

steht nur noch gegenüber dem Urteil und dem Verwaltungsakt (unten § 8); da-
durch ergänzt sich der Begriff der Vollziehung. Es ist einfach alle Thätigkeit,
an welcher die der vollziehenden Gewalt eigentümliche Bindbarkeit wirksam er-
scheint.
8 Jellinek, Staatenverbindungen S. 30 ff.; Arndt, Verord.R. S. 3; Grote-
fend,
Preuſs. V.R. I S. 19; Thon, Rechtsnorm S. 141; Binding, Normen I
S. 13; Jhering, Zweck im R. I S. 222. — Gegen diese Idee Zorn in Annalen
1884 S. 475 Note 1; Gareis, Allg. St.R. S. 30.
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welche an die Staatsgewalt gerichtet sind, sondern Befehle der Staatsgewalt an
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[86/0106] Grundzüge der Verwaltungsrechtsordnung. Die Verwaltung steht darin dem Gesetz gegenüber, wie die Justiz, als Dienerin, nicht als Unterthan. 2. Wer ist es nun, der in solcher Weise durch das Gesetz ge- bunden wird? Die Ausdrücke, die wir bisher gebrauchten: Verwaltung, Obrigkeit, öffentliche Gewalt, mochten vorläufig genügen, um die äuſsere Gestalt der Gebundenheit damit zu entwickeln. Jetzt ist auch der Punkt genauer zu bezeichnen, an welchem die Gebundenheit wirk- sam wird. Die Richtung, in welcher die Antwort zu suchen ist, ist gegeben durch das Ziel, worauf die ganze Einrichtung hinausläuft. Es handelt sich bei der Verwaltung um das Verhältnis zwischen Staat und Unterthan. In dieses soll durch das Verwaltungsgesetz Recht und Rechtsordnung gebracht werden. Der Unterthan steht auf der andern Seite, also muſs die Gebundenheit, die wir hier suchen, eine Gebundenheit des Staates sein. Man pflegt denn auch ohne weiteres den Satz aufzustellen: der Staat ist in seiner Thätigkeit an das Gesetz gebunden. Daſs das wirkt auf seine Vertreter, die solche Thätigkeit in seinem Namen zu üben haben, ist nur die Folge davon. Nun läſst sich aber die Erkenntnis nicht abweisen, daſs auch im Gesetze selbst nichts anderes wirkt als wiederum der Staat, dessen Wille darin erscheint. So gelangt man dazu, die Wirkung des Ge- setzes zu erklären als eine Selbstbindung des Staates 8. In dieser Weise einfach hingestellt, ist die Selbstbindung des Staates ein geheimnisvoller Vorgang, den man glauben soll, aber nicht ver- stehen kann. Innerhalb eines einheitlich gedachten Wesens kann ein sich Gegenüberstehen in rechtlichen Beziehungen, wie die Gebunden- heit sie doch bedeuten würde, gar nicht gedacht werden. Der Widerspruch, der dagegen erhoben wurde, hat dahin ge- führt, ein ganz anderes Rechtssubjekt für diese Gebundenheit zu suchen. Nicht der Staat, sagt man, ist gebunden, „sich selbst kann man nicht befehlen“, sondern die einzelnen Träger staatlicher Thätigkeit. An diese ergeht der Befehl des Gesetzes 9. 7 8 Jellinek, Staatenverbindungen S. 30 ff.; Arndt, Verord.R. S. 3; Grote- fend, Preuſs. V.R. I S. 19; Thon, Rechtsnorm S. 141; Binding, Normen I S. 13; Jhering, Zweck im R. I S. 222. — Gegen diese Idee Zorn in Annalen 1884 S. 475 Note 1; Gareis, Allg. St.R. S. 30. 9 Laband, St.R. I S. 578: „Jene Gesetze sind in der That nicht Befehle, welche an die Staatsgewalt gerichtet sind, sondern Befehle der Staatsgewalt an 7 steht nur noch gegenüber dem Urteil und dem Verwaltungsakt (unten § 8); da- durch ergänzt sich der Begriff der Vollziehung. Es ist einfach alle Thätigkeit, an welcher die der vollziehenden Gewalt eigentümliche Bindbarkeit wirksam er- scheint.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/106>, abgerufen am 02.05.2024.