Die vollziehende Gewalt hat verfassungsmässig ihren Ausgangs- punkt im Fürsten allein. Durch Abzweigungen und Übertragungen verteilt sie sich in der Ausübung auf eine zahlreiche Trägerschaft zweiten Ranges. Die Verwaltungsthätigkeit, die da namens des Staates geführt wird, ist durch Amtspflichten und ausdrückliche Dienst- vorschriften geregelt; dadurch bestimmt sich auch, was dem Unter- thanen daraus widerfährt. Das war schon im alten Staatswesen so. Nun aber tritt in dieses Verhältnis hinein das auf die Thätigkeit zur Ver- folgung der Staatszwecke bezügliche Gesetz, das Verwaltungs- gesetz und wirkt dabei mit der ihm eigentümlichen bindenden Kraft.
I. Die bindende Kraft des Gesetzes beruht wie die ganze neue Ordnung des Rechtsstaates auf einer Nachbildung der Einrichtungen der Justiz. Die bindende Kraft, welche dem Rechtssatz in der Justiz zukommt, ist verallgemeinert, um eine rechtliche Ordnung zwischen dem Staat als der öffentlichen Gewalt und dem Unterthanen auch zu schaffen in der Verwaltung.
Inwiefern bietet hiefür das Gesetz in der Justiz ein verwend- bares Vorbild? Civilrecht und Strafrecht verhalten sich da auf den ersten Blick sehr verschieden; gleichwohl liegt ihnen gerade in dem Punkte, auf den es hier ankommt, ein übereinstimmender Gedanke zu Grunde und der ist der massgebende.
Wenn das Civilrecht die Machtverhältnisse der Einzelnen unter einander ordnet, so sieht es so aus, als sei die öffentliche Gewalt von den gegebenen Ordnungen unmittelbar gar nicht berührt. In Wirk- lichkeit ist aber das Civilrecht erst dadurch Recht, dass auch der Richter daran gebunden ist. Der Civilrechtssatz ordnet immer zweierlei Rechtsverhältnisse zugleich: das zwischen den Einzelnen unter sich und das zwischen den Einzelnen und der öffentlichen Gewalt. Wenn er sagt: unter solchen Voraussetzungen soll der eine dem andern die Sache liefern, so sagt er zugleich: der Richter soll nach diesen Regeln den einen zur Herausgabe zwingen, dem andern zum Empfang verhelfen. Es knüpfen sich also an das civilrechtliche Verhältnis zwischen den Beiden zwei entsprechende öffentlichrecht- liche Verhältnisse derselben zur richterlichen Gewalt. Der Prozess giebt die Form, in welcher die letzteren wirksam gemacht werden. Das Civilgesetz hat damit den Beteiligten zugleich eine öffentlich- rechtliche Bestimmung gegeben, ein Sollen und Dürfen gegenüber der öffentlichen Gewalt, und eine Gebundenheit des Gerichts begründet
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 6
§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Die vollziehende Gewalt hat verfassungsmäſsig ihren Ausgangs- punkt im Fürsten allein. Durch Abzweigungen und Übertragungen verteilt sie sich in der Ausübung auf eine zahlreiche Trägerschaft zweiten Ranges. Die Verwaltungsthätigkeit, die da namens des Staates geführt wird, ist durch Amtspflichten und ausdrückliche Dienst- vorschriften geregelt; dadurch bestimmt sich auch, was dem Unter- thanen daraus widerfährt. Das war schon im alten Staatswesen so. Nun aber tritt in dieses Verhältnis hinein das auf die Thätigkeit zur Ver- folgung der Staatszwecke bezügliche Gesetz, das Verwaltungs- gesetz und wirkt dabei mit der ihm eigentümlichen bindenden Kraft.
I. Die bindende Kraft des Gesetzes beruht wie die ganze neue Ordnung des Rechtsstaates auf einer Nachbildung der Einrichtungen der Justiz. Die bindende Kraft, welche dem Rechtssatz in der Justiz zukommt, ist verallgemeinert, um eine rechtliche Ordnung zwischen dem Staat als der öffentlichen Gewalt und dem Unterthanen auch zu schaffen in der Verwaltung.
Inwiefern bietet hiefür das Gesetz in der Justiz ein verwend- bares Vorbild? Civilrecht und Strafrecht verhalten sich da auf den ersten Blick sehr verschieden; gleichwohl liegt ihnen gerade in dem Punkte, auf den es hier ankommt, ein übereinstimmender Gedanke zu Grunde und der ist der maſsgebende.
Wenn das Civilrecht die Machtverhältnisse der Einzelnen unter einander ordnet, so sieht es so aus, als sei die öffentliche Gewalt von den gegebenen Ordnungen unmittelbar gar nicht berührt. In Wirk- lichkeit ist aber das Civilrecht erst dadurch Recht, daſs auch der Richter daran gebunden ist. Der Civilrechtssatz ordnet immer zweierlei Rechtsverhältnisse zugleich: das zwischen den Einzelnen unter sich und das zwischen den Einzelnen und der öffentlichen Gewalt. Wenn er sagt: unter solchen Voraussetzungen soll der eine dem andern die Sache liefern, so sagt er zugleich: der Richter soll nach diesen Regeln den einen zur Herausgabe zwingen, dem andern zum Empfang verhelfen. Es knüpfen sich also an das civilrechtliche Verhältnis zwischen den Beiden zwei entsprechende öffentlichrecht- liche Verhältnisse derselben zur richterlichen Gewalt. Der Prozeſs giebt die Form, in welcher die letzteren wirksam gemacht werden. Das Civilgesetz hat damit den Beteiligten zugleich eine öffentlich- rechtliche Bestimmung gegeben, ein Sollen und Dürfen gegenüber der öffentlichen Gewalt, und eine Gebundenheit des Gerichts begründet
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 6
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§ 7. Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
§ 7.
Die bindende Kraft des Verwaltungsgesetzes.
Die vollziehende Gewalt hat verfassungsmäſsig ihren Ausgangs-
punkt im Fürsten allein. Durch Abzweigungen und Übertragungen
verteilt sie sich in der Ausübung auf eine zahlreiche Trägerschaft
zweiten Ranges. Die Verwaltungsthätigkeit, die da namens des
Staates geführt wird, ist durch Amtspflichten und ausdrückliche Dienst-
vorschriften geregelt; dadurch bestimmt sich auch, was dem Unter-
thanen daraus widerfährt. Das war schon im alten Staatswesen so.
Nun aber tritt in dieses Verhältnis hinein das auf die Thätigkeit zur Ver-
folgung der Staatszwecke bezügliche Gesetz, das Verwaltungs-
gesetz und wirkt dabei mit der ihm eigentümlichen bindenden Kraft.
I. Die bindende Kraft des Gesetzes beruht wie die ganze neue
Ordnung des Rechtsstaates auf einer Nachbildung der Einrichtungen
der Justiz. Die bindende Kraft, welche dem Rechtssatz in der Justiz
zukommt, ist verallgemeinert, um eine rechtliche Ordnung zwischen
dem Staat als der öffentlichen Gewalt und dem Unterthanen auch zu
schaffen in der Verwaltung.
Inwiefern bietet hiefür das Gesetz in der Justiz ein verwend-
bares Vorbild? Civilrecht und Strafrecht verhalten sich da auf den
ersten Blick sehr verschieden; gleichwohl liegt ihnen gerade in dem
Punkte, auf den es hier ankommt, ein übereinstimmender Gedanke
zu Grunde und der ist der maſsgebende.
Wenn das Civilrecht die Machtverhältnisse der Einzelnen unter
einander ordnet, so sieht es so aus, als sei die öffentliche Gewalt von
den gegebenen Ordnungen unmittelbar gar nicht berührt. In Wirk-
lichkeit ist aber das Civilrecht erst dadurch Recht, daſs auch der
Richter daran gebunden ist. Der Civilrechtssatz ordnet immer
zweierlei Rechtsverhältnisse zugleich: das zwischen den Einzelnen
unter sich und das zwischen den Einzelnen und der öffentlichen
Gewalt. Wenn er sagt: unter solchen Voraussetzungen soll der eine
dem andern die Sache liefern, so sagt er zugleich: der Richter soll
nach diesen Regeln den einen zur Herausgabe zwingen, dem andern
zum Empfang verhelfen. Es knüpfen sich also an das civilrechtliche
Verhältnis zwischen den Beiden zwei entsprechende öffentlichrecht-
liche Verhältnisse derselben zur richterlichen Gewalt. Der Prozeſs
giebt die Form, in welcher die letzteren wirksam gemacht werden.
Das Civilgesetz hat damit den Beteiligten zugleich eine öffentlich-
rechtliche Bestimmung gegeben, ein Sollen und Dürfen gegenüber der
öffentlichen Gewalt, und eine Gebundenheit des Gerichts begründet
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/101>, abgerufen am 22.12.2024.
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