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Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881.

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Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt.
den zuversichtlichen Glauben an die unzerstörbare Harmonie
aller natürlichen Menscheninteressen in sich ein, an eine Har-
monie, die durch alle Pfuschereien eines sterblichen Regenten
nur gestört werden könne.

Ein so gedankenloser Optimismus, welcher nicht blos in
der Volkswirthschaftslehre lange Zeit herrschend gewesen ist,
sondern auch für die Gesammtpolitik in dem geistreichen aber
überlesenen Buckle einen consequenten Verfechter gefunden hat,
ist historisch als eine so fruchtbare Richtung, wie er es durch
Dezennien hindurch thatsächlich gewesen ist, nur zu begreifen, wenn
man erwägt, daß der Staat aus seiner mittelalterlichen Ueber-
wucherung durch verrottete, die Centralgewalt überwiegend
schwächende Jnstitutionen herausgearbeitet werden mußte, und
daß dies eben zunächst nur durch Beschneidung des vorhan-
denen Rechts geschehen konnte.

Daraus erhellt zugleich, daß der consequente Liberalismus
als ein negatives die Staatsgewalt beschränkendes Princip
ganz ähnlich wie der Protestantismus, der ja zunächst sich
gegen die Uebergriffe des römischen Glaubenszwanges zu richten
hatte, auf dem religiösen Gebiete, nach Vollbringung seiner
hohen geschichtlichen Mission keine Gemeingültigkeit mehr in
Anspruch nehmen kann, ja vielfach an seinen eigenen inneren
Widersprüchen scheitern muß. Es ist Dies am Ende nur eines
von den vielen Beispielen, daß eine theoretische Ungereimt-
heit historisch zu einer epochemachenden ja weltumwälzenden
Macht sich gestaltet, einfach deshalb, weil sie dem Bestehenden
gegenüber eine relative Wahrheit in sich einschließt, und die
Halbheit der Wahrheit sich den durch Leidenschaft geblendeten
Blicken der Reformer entzieht. Auch dem politischen Liberalis-
mus unserer Tage ist diese Erfahrung nicht erspart geblieben,
und manches liberale Mitglied unseres deutschen Reichstages


Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt.
den zuverſichtlichen Glauben an die unzerſtörbare Harmonie
aller natürlichen Menſchenintereſſen in ſich ein, an eine Har-
monie, die durch alle Pfuſchereien eines ſterblichen Regenten
nur geſtört werden könne.

Ein ſo gedankenloſer Optimismus, welcher nicht blos in
der Volkswirthſchaftslehre lange Zeit herrſchend geweſen iſt,
ſondern auch für die Geſammtpolitik in dem geiſtreichen aber
überleſenen Buckle einen conſequenten Verfechter gefunden hat,
iſt hiſtoriſch als eine ſo fruchtbare Richtung, wie er es durch
Dezennien hindurch thatſächlich geweſen iſt, nur zu begreifen, wenn
man erwägt, daß der Staat aus ſeiner mittelalterlichen Ueber-
wucherung durch verrottete, die Centralgewalt überwiegend
ſchwächende Jnſtitutionen herausgearbeitet werden mußte, und
daß dies eben zunächſt nur durch Beſchneidung des vorhan-
denen Rechts geſchehen konnte.

Daraus erhellt zugleich, daß der conſequente Liberalismus
als ein negatives die Staatsgewalt beſchränkendes Princip
ganz ähnlich wie der Proteſtantismus, der ja zunächſt ſich
gegen die Uebergriffe des römiſchen Glaubenszwanges zu richten
hatte, auf dem religiöſen Gebiete, nach Vollbringung ſeiner
hohen geſchichtlichen Miſſion keine Gemeingültigkeit mehr in
Anſpruch nehmen kann, ja vielfach an ſeinen eigenen inneren
Widerſprüchen ſcheitern muß. Es iſt Dies am Ende nur eines
von den vielen Beiſpielen, daß eine theoretiſche Ungereimt-
heit hiſtoriſch zu einer epochemachenden ja weltumwälzenden
Macht ſich geſtaltet, einfach deshalb, weil ſie dem Beſtehenden
gegenüber eine relative Wahrheit in ſich einſchließt, und die
Halbheit der Wahrheit ſich den durch Leidenſchaft geblendeten
Blicken der Reformer entzieht. Auch dem politiſchen Liberalis-
mus unſerer Tage iſt dieſe Erfahrung nicht erſpart geblieben,
und manches liberale Mitglied unſeres deutſchen Reichstages

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[165 [5]/0007] Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. den zuverſichtlichen Glauben an die unzerſtörbare Harmonie aller natürlichen Menſchenintereſſen in ſich ein, an eine Har- monie, die durch alle Pfuſchereien eines ſterblichen Regenten nur geſtört werden könne. Ein ſo gedankenloſer Optimismus, welcher nicht blos in der Volkswirthſchaftslehre lange Zeit herrſchend geweſen iſt, ſondern auch für die Geſammtpolitik in dem geiſtreichen aber überleſenen Buckle einen conſequenten Verfechter gefunden hat, iſt hiſtoriſch als eine ſo fruchtbare Richtung, wie er es durch Dezennien hindurch thatſächlich geweſen iſt, nur zu begreifen, wenn man erwägt, daß der Staat aus ſeiner mittelalterlichen Ueber- wucherung durch verrottete, die Centralgewalt überwiegend ſchwächende Jnſtitutionen herausgearbeitet werden mußte, und daß dies eben zunächſt nur durch Beſchneidung des vorhan- denen Rechts geſchehen konnte. Daraus erhellt zugleich, daß der conſequente Liberalismus als ein negatives die Staatsgewalt beſchränkendes Princip ganz ähnlich wie der Proteſtantismus, der ja zunächſt ſich gegen die Uebergriffe des römiſchen Glaubenszwanges zu richten hatte, auf dem religiöſen Gebiete, nach Vollbringung ſeiner hohen geſchichtlichen Miſſion keine Gemeingültigkeit mehr in Anſpruch nehmen kann, ja vielfach an ſeinen eigenen inneren Widerſprüchen ſcheitern muß. Es iſt Dies am Ende nur eines von den vielen Beiſpielen, daß eine theoretiſche Ungereimt- heit hiſtoriſch zu einer epochemachenden ja weltumwälzenden Macht ſich geſtaltet, einfach deshalb, weil ſie dem Beſtehenden gegenüber eine relative Wahrheit in ſich einſchließt, und die Halbheit der Wahrheit ſich den durch Leidenſchaft geblendeten Blicken der Reformer entzieht. Auch dem politiſchen Liberalis- mus unſerer Tage iſt dieſe Erfahrung nicht erſpart geblieben, und manches liberale Mitglied unſeres deutſchen Reichstages

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Zitationshilfe: Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881, S. 165 [5]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/7>, abgerufen am 26.04.2024.