Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite


A. Mayer:
seit lange Extraordinarius, an Jahren älter als der Berufene,
kann sich an geistiger Gesammtbedeutung mit diesem wohl
messen. Als Lehrer wird er von einer großen Zahl Studi-
render sogar vorgezogen. Allein von bewunderungswürdiger
Vielseitigkeit ist er ein minder glücklicher Spezialist als Jener;
vielleicht sind seine experimentellen Arbeiten aus früherer Zeit
auch theilweise anfechtbar. Seine bedeutendsten Leistungen
bewegen sich auf Zwischengebieten von Wissenschaften, wofür
erst langsam Lehrstühle errichtet werden, und er hat daher,
obgleich allgemein anerkannt und vielfach vorgeschlagen, bis
jetzt niemals eine ihn befriedigende Berufung erhalten. Aus
einer Art Mitleid gewährt ihm endlich die eigene Universität
nach Correction eines noch elenderen Vorschlages einen elenden
Gehalt, dessen Annahme einem weniger Gedemüthigten die
Schamröthe in's Gesicht gejagt hätte, und derselbe rückt gleich-
zeitig von der Stellung eines charakterisirten außerordentlichen
Professors in die einflußreiche Stellung eines wirklichen außer-
ordentlichen Professors vor. Die Kosten seines Jnstitutes
müssen natürlich nach wie vor aus Privatmitteln bestritten
werden. -- Doch dergleichen bis zum Schimpflichen gehenden
Behandlungsweisen gehören ja an unseren Universitäten zur
Tagesordnung, so daß hierin noch nichts Besonderes gefunden
wird. Jch gebe nur in Erwägung, ob nicht die Gefühlsab-
stumpfung gegen diese Erscheinungen beim jüngeren Geschlechte
im Zusammenhange damit steht, daß dasselbe endlich in Ehren
und Würden eingerückt, das Erlebte die von ihm Abhängigen
wieder erleben läßt.

Aber unsere Geschichte ist noch nicht am Ende. -- Eben
die Unersättlichkeit ist das Wesen alles Kapitalismus, und die
durch ihn geschaffene Kluft wird durch dieselben Kräfte bis
zum Unerträglichen erweitert. Der schon im Besitze eines


A. Mayer:
ſeit lange Extraordinarius, an Jahren älter als der Berufene,
kann ſich an geiſtiger Geſammtbedeutung mit dieſem wohl
meſſen. Als Lehrer wird er von einer großen Zahl Studi-
render ſogar vorgezogen. Allein von bewunderungswürdiger
Vielſeitigkeit iſt er ein minder glücklicher Spezialiſt als Jener;
vielleicht ſind ſeine experimentellen Arbeiten aus früherer Zeit
auch theilweiſe anfechtbar. Seine bedeutendſten Leiſtungen
bewegen ſich auf Zwiſchengebieten von Wiſſenſchaften, wofür
erſt langſam Lehrſtühle errichtet werden, und er hat daher,
obgleich allgemein anerkannt und vielfach vorgeſchlagen, bis
jetzt niemals eine ihn befriedigende Berufung erhalten. Aus
einer Art Mitleid gewährt ihm endlich die eigene Univerſität
nach Correction eines noch elenderen Vorſchlages einen elenden
Gehalt, deſſen Annahme einem weniger Gedemüthigten die
Schamröthe in’s Geſicht gejagt hätte, und derſelbe rückt gleich-
zeitig von der Stellung eines charakteriſirten außerordentlichen
Profeſſors in die einflußreiche Stellung eines wirklichen außer-
ordentlichen Profeſſors vor. Die Koſten ſeines Jnſtitutes
müſſen natürlich nach wie vor aus Privatmitteln beſtritten
werden. — Doch dergleichen bis zum Schimpflichen gehenden
Behandlungsweiſen gehören ja an unſeren Univerſitäten zur
Tagesordnung, ſo daß hierin noch nichts Beſonderes gefunden
wird. Jch gebe nur in Erwägung, ob nicht die Gefühlsab-
ſtumpfung gegen dieſe Erſcheinungen beim jüngeren Geſchlechte
im Zuſammenhange damit ſteht, daß dasſelbe endlich in Ehren
und Würden eingerückt, das Erlebte die von ihm Abhängigen
wieder erleben läßt.

Aber unſere Geſchichte iſt noch nicht am Ende. — Eben
die Unerſättlichkeit iſt das Weſen alles Kapitalismus, und die
durch ihn geſchaffene Kluft wird durch dieſelben Kräfte bis
zum Unerträglichen erweitert. Der ſchon im Beſitze eines

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="188 [28]"/><lb/>
<fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">A. Mayer:</hi></fw> &#x017F;eit lange Extraordinarius, an Jahren älter als der Berufene,<lb/>
kann &#x017F;ich an gei&#x017F;tiger Ge&#x017F;ammtbedeutung mit die&#x017F;em wohl<lb/>
me&#x017F;&#x017F;en. Als Lehrer wird er von einer großen Zahl Studi-<lb/>
render &#x017F;ogar vorgezogen. Allein von bewunderungswürdiger<lb/>
Viel&#x017F;eitigkeit i&#x017F;t er ein minder glücklicher Speziali&#x017F;t als Jener;<lb/>
vielleicht &#x017F;ind &#x017F;eine experimentellen Arbeiten aus früherer Zeit<lb/>
auch theilwei&#x017F;e anfechtbar. Seine bedeutend&#x017F;ten Lei&#x017F;tungen<lb/>
bewegen &#x017F;ich auf Zwi&#x017F;chengebieten von Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, wofür<lb/>
er&#x017F;t lang&#x017F;am Lehr&#x017F;tühle errichtet werden, und er hat daher,<lb/>
obgleich allgemein anerkannt und vielfach vorge&#x017F;chlagen, bis<lb/>
jetzt niemals eine ihn befriedigende Berufung erhalten. Aus<lb/>
einer Art Mitleid gewährt ihm endlich die eigene Univer&#x017F;ität<lb/>
nach Correction eines noch elenderen Vor&#x017F;chlages einen elenden<lb/>
Gehalt, de&#x017F;&#x017F;en Annahme einem weniger Gedemüthigten die<lb/>
Schamröthe in&#x2019;s Ge&#x017F;icht gejagt hätte, und der&#x017F;elbe rückt gleich-<lb/>
zeitig von der Stellung eines charakteri&#x017F;irten außerordentlichen<lb/>
Profe&#x017F;&#x017F;ors in die einflußreiche Stellung eines wirklichen außer-<lb/>
ordentlichen Profe&#x017F;&#x017F;ors vor. Die Ko&#x017F;ten &#x017F;eines Jn&#x017F;titutes<lb/>&#x017F;&#x017F;en natürlich nach wie vor aus Privatmitteln be&#x017F;tritten<lb/>
werden. &#x2014; Doch dergleichen bis zum Schimpflichen gehenden<lb/>
Behandlungswei&#x017F;en gehören ja an un&#x017F;eren Univer&#x017F;itäten zur<lb/>
Tagesordnung, &#x017F;o daß hierin noch nichts Be&#x017F;onderes gefunden<lb/>
wird. Jch gebe nur in Erwägung, ob nicht die Gefühlsab-<lb/>
&#x017F;tumpfung gegen die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen beim jüngeren Ge&#x017F;chlechte<lb/>
im Zu&#x017F;ammenhange damit &#x017F;teht, daß das&#x017F;elbe endlich in Ehren<lb/>
und Würden eingerückt, das Erlebte die von ihm Abhängigen<lb/>
wieder erleben läßt.</p><lb/>
        <p>Aber un&#x017F;ere Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t noch nicht am Ende. &#x2014; Eben<lb/>
die Uner&#x017F;ättlichkeit i&#x017F;t das We&#x017F;en alles Kapitalismus, und die<lb/>
durch ihn ge&#x017F;chaffene Kluft wird durch die&#x017F;elben Kräfte bis<lb/>
zum Unerträglichen erweitert. Der &#x017F;chon im Be&#x017F;itze eines<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188 [28]/0030] A. Mayer: ſeit lange Extraordinarius, an Jahren älter als der Berufene, kann ſich an geiſtiger Geſammtbedeutung mit dieſem wohl meſſen. Als Lehrer wird er von einer großen Zahl Studi- render ſogar vorgezogen. Allein von bewunderungswürdiger Vielſeitigkeit iſt er ein minder glücklicher Spezialiſt als Jener; vielleicht ſind ſeine experimentellen Arbeiten aus früherer Zeit auch theilweiſe anfechtbar. Seine bedeutendſten Leiſtungen bewegen ſich auf Zwiſchengebieten von Wiſſenſchaften, wofür erſt langſam Lehrſtühle errichtet werden, und er hat daher, obgleich allgemein anerkannt und vielfach vorgeſchlagen, bis jetzt niemals eine ihn befriedigende Berufung erhalten. Aus einer Art Mitleid gewährt ihm endlich die eigene Univerſität nach Correction eines noch elenderen Vorſchlages einen elenden Gehalt, deſſen Annahme einem weniger Gedemüthigten die Schamröthe in’s Geſicht gejagt hätte, und derſelbe rückt gleich- zeitig von der Stellung eines charakteriſirten außerordentlichen Profeſſors in die einflußreiche Stellung eines wirklichen außer- ordentlichen Profeſſors vor. Die Koſten ſeines Jnſtitutes müſſen natürlich nach wie vor aus Privatmitteln beſtritten werden. — Doch dergleichen bis zum Schimpflichen gehenden Behandlungsweiſen gehören ja an unſeren Univerſitäten zur Tagesordnung, ſo daß hierin noch nichts Beſonderes gefunden wird. Jch gebe nur in Erwägung, ob nicht die Gefühlsab- ſtumpfung gegen dieſe Erſcheinungen beim jüngeren Geſchlechte im Zuſammenhange damit ſteht, daß dasſelbe endlich in Ehren und Würden eingerückt, das Erlebte die von ihm Abhängigen wieder erleben läßt. Aber unſere Geſchichte iſt noch nicht am Ende. — Eben die Unerſättlichkeit iſt das Weſen alles Kapitalismus, und die durch ihn geſchaffene Kluft wird durch dieſelben Kräfte bis zum Unerträglichen erweitert. Der ſchon im Beſitze eines

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/30
Zitationshilfe: Mayer, Adolf: Der Kapitalismus in der Gelehrtenwelt. In: Sammlung von Vorträgen für das deutsche Volk, VI, 7. Heidelberg, 1881, S. 188 [28]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_kapitalismus_1881/30>, abgerufen am 29.03.2024.