Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818.

Bild:
<< vorherige Seite

Erster Theil.
keln eines Winkels b a d (Fig. II) gedenken. Ist
nun der Winkel c a d = 2 . b a d, und gedenkt
man sich auch den Flächenraum c a d ohne Ende
fort, so bleibt nicht der geringste Zweifel, daß
auch bey diesen unendlich fortlaufenden Winkel-
flächen noch immer das Verhältniß 2 : 1 statt fin-
den werde.

X. Wenn wir demnach unter dem Zeichen
infinity eine Zahl verstehen, welche über alle angebli-
chen Gränzen hinausgeht, ohne je eine letzte zu
erreichen, eine Zahl also, welche immer wächst,
immer grösser wird, ohne je eine Gröste zu seyn,
so kann sie in diesem Zustande des Unendlichwer-
dens, dennoch beständig in einem angeblichen Ver-
hältnisse zu einer ähnlichen unendlich werdenden
stehen, und der Verstand wird Sätze, welche aus
einer solchen Abstraction abgeleitet worden, für
eben so wahr halten müssen, als die Sätze, die
der Geometer von Linien beweißt, wenn gleich
eine Linie für sich allein nur immer in der blo-
ßen Abstraction bestehet, und nie in der Würk-
lichkeit für sich allein dargestellt werden kann (IV).

XI. Man gedenke sich ferner durch A (Fig. 1.)
eine andere gerade Linie A W ohne Ende fortgezo-
gen, aber unter einem größern spitzigen Winkel gegen

A R,

Erſter Theil.
keln eines Winkels b a d (Fig. II) gedenken. Iſt
nun der Winkel c a d = 2 . b a d, und gedenkt
man ſich auch den Flaͤchenraum c a d ohne Ende
fort, ſo bleibt nicht der geringſte Zweifel, daß
auch bey dieſen unendlich fortlaufenden Winkel-
flaͤchen noch immer das Verhaͤltniß 2 : 1 ſtatt fin-
den werde.

X. Wenn wir demnach unter dem Zeichen
∞ eine Zahl verſtehen, welche uͤber alle angebli-
chen Graͤnzen hinausgeht, ohne je eine letzte zu
erreichen, eine Zahl alſo, welche immer waͤchſt,
immer groͤſſer wird, ohne je eine Groͤſte zu ſeyn,
ſo kann ſie in dieſem Zuſtande des Unendlichwer-
dens, dennoch beſtaͤndig in einem angeblichen Ver-
haͤltniſſe zu einer aͤhnlichen unendlich werdenden
ſtehen, und der Verſtand wird Saͤtze, welche aus
einer ſolchen Abſtraction abgeleitet worden, fuͤr
eben ſo wahr halten muͤſſen, als die Saͤtze, die
der Geometer von Linien beweißt, wenn gleich
eine Linie fuͤr ſich allein nur immer in der blo-
ßen Abſtraction beſtehet, und nie in der Wuͤrk-
lichkeit fuͤr ſich allein dargeſtellt werden kann (IV).

XI. Man gedenke ſich ferner durch A (Fig. 1.)
eine andere gerade Linie A W ohne Ende fortgezo-
gen, aber unter einem groͤßern ſpitzigen Winkel gegen

A R,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0054" n="36"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;ter Theil.</fw><lb/>
keln eines Winkels <hi rendition="#aq">b a d (Fig. II)</hi> gedenken. I&#x017F;t<lb/>
nun der Winkel <hi rendition="#aq">c a d = 2 . b a d</hi>, und gedenkt<lb/>
man &#x017F;ich auch den Fla&#x0364;chenraum <hi rendition="#aq">c a d</hi> ohne Ende<lb/>
fort, &#x017F;o bleibt nicht der gering&#x017F;te Zweifel, daß<lb/>
auch bey die&#x017F;en unendlich fortlaufenden Winkel-<lb/>
fla&#x0364;chen noch immer das Verha&#x0364;ltniß 2 : 1 &#x017F;tatt fin-<lb/>
den werde.</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">X.</hi> Wenn wir demnach unter dem Zeichen<lb/>
&#x221E; eine Zahl ver&#x017F;tehen, welche u&#x0364;ber alle angebli-<lb/>
chen Gra&#x0364;nzen hinausgeht, ohne je eine letzte zu<lb/>
erreichen, eine Zahl al&#x017F;o, welche immer wa&#x0364;ch&#x017F;t,<lb/>
immer gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;er wird, ohne je eine Gro&#x0364;&#x017F;te zu <hi rendition="#g">&#x017F;eyn</hi>,<lb/>
&#x017F;o kann &#x017F;ie in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande des Unendlichwer-<lb/>
dens, dennoch be&#x017F;ta&#x0364;ndig in einem angeblichen Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e zu einer a&#x0364;hnlichen unendlich werdenden<lb/>
&#x017F;tehen, und der Ver&#x017F;tand wird Sa&#x0364;tze, welche aus<lb/>
einer &#x017F;olchen Ab&#x017F;traction abgeleitet worden, fu&#x0364;r<lb/>
eben &#x017F;o wahr halten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als die Sa&#x0364;tze, die<lb/>
der Geometer von Linien beweißt, wenn gleich<lb/>
eine Linie fu&#x0364;r &#x017F;ich allein nur immer in der blo-<lb/>
ßen Ab&#x017F;traction be&#x017F;tehet, und nie in der Wu&#x0364;rk-<lb/>
lichkeit fu&#x0364;r &#x017F;ich allein darge&#x017F;tellt werden kann (<hi rendition="#aq">IV</hi>).</p><lb/>
              <p><hi rendition="#aq">XI.</hi> Man gedenke &#x017F;ich ferner durch <hi rendition="#aq">A (Fig. 1.)</hi><lb/>
eine andere gerade Linie <hi rendition="#aq">A W</hi> ohne Ende fortgezo-<lb/>
gen, aber unter einem gro&#x0364;ßern &#x017F;pitzigen Winkel gegen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">A R</hi>,</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0054] Erſter Theil. keln eines Winkels b a d (Fig. II) gedenken. Iſt nun der Winkel c a d = 2 . b a d, und gedenkt man ſich auch den Flaͤchenraum c a d ohne Ende fort, ſo bleibt nicht der geringſte Zweifel, daß auch bey dieſen unendlich fortlaufenden Winkel- flaͤchen noch immer das Verhaͤltniß 2 : 1 ſtatt fin- den werde. X. Wenn wir demnach unter dem Zeichen ∞ eine Zahl verſtehen, welche uͤber alle angebli- chen Graͤnzen hinausgeht, ohne je eine letzte zu erreichen, eine Zahl alſo, welche immer waͤchſt, immer groͤſſer wird, ohne je eine Groͤſte zu ſeyn, ſo kann ſie in dieſem Zuſtande des Unendlichwer- dens, dennoch beſtaͤndig in einem angeblichen Ver- haͤltniſſe zu einer aͤhnlichen unendlich werdenden ſtehen, und der Verſtand wird Saͤtze, welche aus einer ſolchen Abſtraction abgeleitet worden, fuͤr eben ſo wahr halten muͤſſen, als die Saͤtze, die der Geometer von Linien beweißt, wenn gleich eine Linie fuͤr ſich allein nur immer in der blo- ßen Abſtraction beſtehet, und nie in der Wuͤrk- lichkeit fuͤr ſich allein dargeſtellt werden kann (IV). XI. Man gedenke ſich ferner durch A (Fig. 1.) eine andere gerade Linie A W ohne Ende fortgezo- gen, aber unter einem groͤßern ſpitzigen Winkel gegen A R,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/54
Zitationshilfe: Mayer, Johann Tobias: Vollständiger Lehrbegriff der höhern Analysis. Bd. 1. Göttingen, 1818, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_analysis01_1818/54>, abgerufen am 22.11.2024.