Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den groß- herrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte er das Pergament an seine Stirn, aber nur leicht und beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.
"Du bist ein Franke?"
"Ein Nemtsche."
"Das ist gleich! Was thust du hier?"
"Ich kam, um die Gebräuche der Dschesidi zu stu- dieren," antwortete ich, indem ich den Paß wieder in Empfang nahm.
"Wozu das! Was geht mich dieses Bu-djeruldi an! Warst du in Mossul beim Mutessarif?"
"Ja."
"Hast du von ihm die Erlaubnis, hier zu sein?"
"Ja. Hier ist sie."
Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las es und gab es mir wieder.
"Das ist richtig: aber -- -- --"
Er hielt inne, denn es prasselte jetzt drüben am Ab- hange ein sehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher Zeit vernahmen wir den Hufschlag schnell gehender Pferde.
"Scheitan! Was ist das da oben?"
Diese Frage war halb an mich gerichtet; daher ant- wortete ich:
"Es sind die Dschesidi. Du bist umzingelt, und jeder Widerstand ist vergebens."
Er richtete sich im Sattel auf.
"Hund!" brüllte er mich an.
"Laß dieses Wort, Miralai! Sagst du es noch ein- mal, so gehe ich!"
"Du bleibst!"
"Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft
„Wurm?“ fragte ich ruhig. „Nimm und lies!“
Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den groß- herrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte er das Pergament an ſeine Stirn, aber nur leicht und beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.
„Du biſt ein Franke?“
„Ein Nemtſche.“
„Das iſt gleich! Was thuſt du hier?“
„Ich kam, um die Gebräuche der Dſcheſidi zu ſtu- dieren,“ antwortete ich, indem ich den Paß wieder in Empfang nahm.
„Wozu das! Was geht mich dieſes Bu-djeruldi an! Warſt du in Moſſul beim Muteſſarif?“
„Ja.“
„Haſt du von ihm die Erlaubnis, hier zu ſein?“
„Ja. Hier iſt ſie.“
Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las es und gab es mir wieder.
„Das iſt richtig: aber — — —“
Er hielt inne, denn es praſſelte jetzt drüben am Ab- hange ein ſehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher Zeit vernahmen wir den Hufſchlag ſchnell gehender Pferde.
„Scheïtan! Was iſt das da oben?“
Dieſe Frage war halb an mich gerichtet; daher ant- wortete ich:
„Es ſind die Dſcheſidi. Du biſt umzingelt, und jeder Widerſtand iſt vergebens.“
Er richtete ſich im Sattel auf.
„Hund!“ brüllte er mich an.
„Laß dieſes Wort, Miralai! Sagſt du es noch ein- mal, ſo gehe ich!“
„Du bleibſt!“
„Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0065"n="51"/><p>„Wurm?“ fragte ich ruhig. „Nimm und lies!“</p><lb/><p>Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den groß-<lb/>
herrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte<lb/>
er das Pergament an ſeine Stirn, aber nur leicht und<lb/>
beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.</p><lb/><p>„Du biſt ein Franke?“</p><lb/><p>„Ein Nemtſche.“</p><lb/><p>„Das iſt gleich! Was thuſt du hier?“</p><lb/><p>„Ich kam, um die Gebräuche der Dſcheſidi zu ſtu-<lb/>
dieren,“ antwortete ich, indem ich den Paß wieder in<lb/>
Empfang nahm.</p><lb/><p>„Wozu das! Was geht mich dieſes Bu-djeruldi an!<lb/>
Warſt du in Moſſul beim Muteſſarif?“</p><lb/><p>„Ja.“</p><lb/><p>„Haſt du von ihm die Erlaubnis, hier zu ſein?“</p><lb/><p>„Ja. Hier iſt ſie.“</p><lb/><p>Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las<lb/>
es und gab es mir wieder.</p><lb/><p>„Das iſt richtig: aber ———“</p><lb/><p>Er hielt inne, denn es praſſelte jetzt drüben am Ab-<lb/>
hange ein ſehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher<lb/>
Zeit vernahmen wir den Hufſchlag ſchnell gehender Pferde.</p><lb/><p>„Scheïtan! Was iſt das da oben?“</p><lb/><p>Dieſe Frage war halb an mich gerichtet; daher ant-<lb/>
wortete ich:</p><lb/><p>„Es ſind die Dſcheſidi. Du biſt umzingelt, und jeder<lb/>
Widerſtand iſt vergebens.“</p><lb/><p>Er richtete ſich im Sattel auf.</p><lb/><p>„Hund!“ brüllte er mich an.</p><lb/><p>„Laß dieſes Wort, Miralai! Sagſt du es noch ein-<lb/>
mal, ſo gehe ich!“</p><lb/><p>„Du bleibſt!“</p><lb/><p>„Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft<lb/></p></div></body></text></TEI>
[51/0065]
„Wurm?“ fragte ich ruhig. „Nimm und lies!“
Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den groß-
herrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte
er das Pergament an ſeine Stirn, aber nur leicht und
beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.
„Du biſt ein Franke?“
„Ein Nemtſche.“
„Das iſt gleich! Was thuſt du hier?“
„Ich kam, um die Gebräuche der Dſcheſidi zu ſtu-
dieren,“ antwortete ich, indem ich den Paß wieder in
Empfang nahm.
„Wozu das! Was geht mich dieſes Bu-djeruldi an!
Warſt du in Moſſul beim Muteſſarif?“
„Ja.“
„Haſt du von ihm die Erlaubnis, hier zu ſein?“
„Ja. Hier iſt ſie.“
Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las
es und gab es mir wieder.
„Das iſt richtig: aber — — —“
Er hielt inne, denn es praſſelte jetzt drüben am Ab-
hange ein ſehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher
Zeit vernahmen wir den Hufſchlag ſchnell gehender Pferde.
„Scheïtan! Was iſt das da oben?“
Dieſe Frage war halb an mich gerichtet; daher ant-
wortete ich:
„Es ſind die Dſcheſidi. Du biſt umzingelt, und jeder
Widerſtand iſt vergebens.“
Er richtete ſich im Sattel auf.
„Hund!“ brüllte er mich an.
„Laß dieſes Wort, Miralai! Sagſt du es noch ein-
mal, ſo gehe ich!“
„Du bleibſt!“
„Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/65>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.