"Dort also willst du sie empfangen?" fragte ich ver- wundert.
"Ja," antwortete er zögernd.
"Und du stehst noch hier mit deinen Leuten?"
"Wir müssen ja erst unser Hab und Gut und die Unsrigen retten, ehe wir fort können!"
"O Melek, was seid ihr Chaldani für große Krieger! Seit gestern wußtet ihr, daß die Kurden kommen würden, und habt nichts gethan, um euch zu sichern. Ihr wollt mit ihnen kämpfen und sprecht doch davon, die Euren und euer Eigentum zu flüchten. Ehe ihr damit fertig seid, ist der Feind bereits in Lizan. Gestern habt ihr die Kur- den überrascht, und darum wurden sie besiegt, jetzt aber greifen sie selbst euch an und werden euch verderben!"
"Herr, das mögen wir nicht hören!"
"So werdet ihr es erfahren. Leb wohl, und thue, was du willst!"
Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber hielt mich am Arme zurück.
"Chodih, rate uns!"
"Ich kann euch nicht raten; ihr habt mich vorher auch nicht um Rat gefragt."
"Wir werden dir dankbar sein!"
"Das ist nicht notwendig; ihr sollt nur vernünftig sein. Wie kann ich euch beistehen, diejenigen Männer zu besiegen, welche herbeigekommen sind, um mich und meine Gefährten zu befreien?"
"Ihr seid ja nur meine Gäste, nicht aber meine Ge- fangenen!"
"Auch der Bey von Gumri?"
„Wir werden kämpfen!“
„Hier?“
„Nein, in der Ebene von Lizan.“
„Dort alſo willſt du ſie empfangen?“ fragte ich ver- wundert.
„Ja,“ antwortete er zögernd.
„Und du ſtehſt noch hier mit deinen Leuten?“
„Wir müſſen ja erſt unſer Hab und Gut und die Unſrigen retten, ehe wir fort können!“
„O Melek, was ſeid ihr Chaldani für große Krieger! Seit geſtern wußtet ihr, daß die Kurden kommen würden, und habt nichts gethan, um euch zu ſichern. Ihr wollt mit ihnen kämpfen und ſprecht doch davon, die Euren und euer Eigentum zu flüchten. Ehe ihr damit fertig ſeid, iſt der Feind bereits in Lizan. Geſtern habt ihr die Kur- den überraſcht, und darum wurden ſie beſiegt, jetzt aber greifen ſie ſelbſt euch an und werden euch verderben!“
„Herr, das mögen wir nicht hören!“
„So werdet ihr es erfahren. Leb wohl, und thue, was du willſt!“
Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber hielt mich am Arme zurück.
„Chodih, rate uns!“
„Ich kann euch nicht raten; ihr habt mich vorher auch nicht um Rat gefragt.“
„Wir werden dir dankbar ſein!“
„Das iſt nicht notwendig; ihr ſollt nur vernünftig ſein. Wie kann ich euch beiſtehen, diejenigen Männer zu beſiegen, welche herbeigekommen ſind, um mich und meine Gefährten zu befreien?“
„Ihr ſeid ja nur meine Gäſte, nicht aber meine Ge- fangenen!“
„Auch der Bey von Gumri?“
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„Wir werden kämpfen!“
„Hier?“
„Nein, in der Ebene von Lizan.“
„Dort alſo willſt du ſie empfangen?“ fragte ich ver-
wundert.
„Ja,“ antwortete er zögernd.
„Und du ſtehſt noch hier mit deinen Leuten?“
„Wir müſſen ja erſt unſer Hab und Gut und die
Unſrigen retten, ehe wir fort können!“
„O Melek, was ſeid ihr Chaldani für große Krieger!
Seit geſtern wußtet ihr, daß die Kurden kommen würden,
und habt nichts gethan, um euch zu ſichern. Ihr wollt
mit ihnen kämpfen und ſprecht doch davon, die Euren und
euer Eigentum zu flüchten. Ehe ihr damit fertig ſeid,
iſt der Feind bereits in Lizan. Geſtern habt ihr die Kur-
den überraſcht, und darum wurden ſie beſiegt, jetzt aber
greifen ſie ſelbſt euch an und werden euch verderben!“
„Herr, das mögen wir nicht hören!“
„So werdet ihr es erfahren. Leb wohl, und thue,
was du willſt!“
Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber
hielt mich am Arme zurück.
„Chodih, rate uns!“
„Ich kann euch nicht raten; ihr habt mich vorher
auch nicht um Rat gefragt.“
„Wir werden dir dankbar ſein!“
„Das iſt nicht notwendig; ihr ſollt nur vernünftig
ſein. Wie kann ich euch beiſtehen, diejenigen Männer zu
beſiegen, welche herbeigekommen ſind, um mich und meine
Gefährten zu befreien?“
„Ihr ſeid ja nur meine Gäſte, nicht aber meine Ge-
fangenen!“
„Auch der Bey von Gumri?“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/541>, abgerufen am 23.12.2024.
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