Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

stand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen
Himmel, um zu sitzen zur Rechten seines Vaters und
wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die
Toten. Und wir glauben an einen heiligen Geist, den
Geist der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den
Geist, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine
Kirche. Wir erkennen zur Erlassung der Sünden eine
heilige Taufe an und eine Auferstehung des Leibes und
ein ewiges Leben!"

Nach einer Pause fragte ich:

"Haltet ihr auch die Fasten?"

"Sehr streng," antwortete er. "Wir dürfen während
hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Tier-
reiche, auch keinen Fisch essen, und der Patriarch genießt
überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche."

"Wie viele Sakramente habt ihr?"

Er wollte mir eben antworten; aber unsere für mich
so interessante Unterhaltung wurde von zwei Reitern
unterbrochen, die im Galopp auf uns zugesprengt
kamen.

"Was giebt es?" fragte er sie.

"Die Kurden kommen," ertönte die Antwort.

"Wo sind sie?"

"Sie haben bereits die Berge überschritten und
kommen in das Thal hernieder."

"Wie viel sind ihrer?"

"Viele Hunderte."

Dann ritten sie weiter. Der Karuhja blieb halten.

"Chodih, laß uns umkehren!"

"Warum?"

"Ich habe es dem Melek versprochen, falls die Ber-
wari kommen sollten. Du wirst nicht wollen, daß ich
mein Wort breche!"

ſtand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen
Himmel, um zu ſitzen zur Rechten ſeines Vaters und
wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die
Toten. Und wir glauben an einen heiligen Geiſt, den
Geiſt der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den
Geiſt, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine
Kirche. Wir erkennen zur Erlaſſung der Sünden eine
heilige Taufe an und eine Auferſtehung des Leibes und
ein ewiges Leben!“

Nach einer Pauſe fragte ich:

„Haltet ihr auch die Faſten?“

„Sehr ſtreng,“ antwortete er. „Wir dürfen während
hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Tier-
reiche, auch keinen Fiſch eſſen, und der Patriarch genießt
überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche.“

„Wie viele Sakramente habt ihr?“

Er wollte mir eben antworten; aber unſere für mich
ſo intereſſante Unterhaltung wurde von zwei Reitern
unterbrochen, die im Galopp auf uns zugeſprengt
kamen.

„Was giebt es?“ fragte er ſie.

„Die Kurden kommen,“ ertönte die Antwort.

„Wo ſind ſie?“

„Sie haben bereits die Berge überſchritten und
kommen in das Thal hernieder.“

„Wie viel ſind ihrer?“

„Viele Hunderte.“

Dann ritten ſie weiter. Der Karuhja blieb halten.

„Chodih, laß uns umkehren!“

„Warum?“

„Ich habe es dem Melek verſprochen, falls die Ber-
wari kommen ſollten. Du wirſt nicht wollen, daß ich
mein Wort breche!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0539" n="525"/>
&#x017F;tand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen<lb/>
Himmel, um zu &#x017F;itzen zur Rechten &#x017F;eines Vaters und<lb/>
wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die<lb/>
Toten. Und wir glauben an einen heiligen Gei&#x017F;t, den<lb/>
Gei&#x017F;t der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den<lb/>
Gei&#x017F;t, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine<lb/>
Kirche. Wir erkennen zur Erla&#x017F;&#x017F;ung der Sünden eine<lb/>
heilige Taufe an und eine Aufer&#x017F;tehung des Leibes und<lb/>
ein ewiges Leben!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nach einer Pau&#x017F;e fragte ich:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Haltet ihr auch die Fa&#x017F;ten?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehr &#x017F;treng,&#x201C; antwortete er. &#x201E;Wir dürfen während<lb/>
hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Tier-<lb/>
reiche, auch keinen Fi&#x017F;ch e&#x017F;&#x017F;en, und der Patriarch genießt<lb/>
überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie viele Sakramente habt ihr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er wollte mir eben antworten; aber un&#x017F;ere für mich<lb/>
&#x017F;o intere&#x017F;&#x017F;ante Unterhaltung wurde von zwei Reitern<lb/>
unterbrochen, die im Galopp auf uns zuge&#x017F;prengt<lb/>
kamen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was giebt es?&#x201C; fragte er &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Kurden kommen,&#x201C; ertönte die Antwort.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo &#x017F;ind &#x017F;ie?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie haben bereits die Berge über&#x017F;chritten und<lb/>
kommen in das Thal hernieder.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie viel &#x017F;ind ihrer?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Viele Hunderte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Dann ritten &#x017F;ie weiter. Der Karuhja blieb halten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Chodih, laß uns umkehren!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe es dem Melek ver&#x017F;prochen, falls die Ber-<lb/>
wari kommen &#x017F;ollten. Du wir&#x017F;t nicht wollen, daß ich<lb/>
mein Wort breche!&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[525/0539] ſtand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen Himmel, um zu ſitzen zur Rechten ſeines Vaters und wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Und wir glauben an einen heiligen Geiſt, den Geiſt der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den Geiſt, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine Kirche. Wir erkennen zur Erlaſſung der Sünden eine heilige Taufe an und eine Auferſtehung des Leibes und ein ewiges Leben!“ Nach einer Pauſe fragte ich: „Haltet ihr auch die Faſten?“ „Sehr ſtreng,“ antwortete er. „Wir dürfen während hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Tier- reiche, auch keinen Fiſch eſſen, und der Patriarch genießt überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche.“ „Wie viele Sakramente habt ihr?“ Er wollte mir eben antworten; aber unſere für mich ſo intereſſante Unterhaltung wurde von zwei Reitern unterbrochen, die im Galopp auf uns zugeſprengt kamen. „Was giebt es?“ fragte er ſie. „Die Kurden kommen,“ ertönte die Antwort. „Wo ſind ſie?“ „Sie haben bereits die Berge überſchritten und kommen in das Thal hernieder.“ „Wie viel ſind ihrer?“ „Viele Hunderte.“ Dann ritten ſie weiter. Der Karuhja blieb halten. „Chodih, laß uns umkehren!“ „Warum?“ „Ich habe es dem Melek verſprochen, falls die Ber- wari kommen ſollten. Du wirſt nicht wollen, daß ich mein Wort breche!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/539
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 525. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/539>, abgerufen am 11.05.2024.