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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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"Du würdest mich töten?"

"Ich würde sofort aufbrechen und dich als Geisel
mit mir nehmen; ich müßte dich aber töten, wenn man
mich am Weggehen hinderte."

"Dann bist du auch kein Christ!"

"Mein Glaube gebietet mir nicht, mich feig und un-
nütz abschlachten zu lassen, sondern er erlaubt mir, das
Leben zu verteidigen, welches mir Gott gegeben hat, um
den Brüdern nützlich zu sein und mich auf die Ewigkeit
vorzubereiten. Wer mir diese kostbare Zeit gewaltsam
verkürzen will, gegen den werde ich mich verteidigen, so
weit es meine Kraft gestattet. Und daß diese Kraft nicht
die eines Kindes ist, das hast du wohl erfahren!"

"Chodi, du bist ein gefährlicher Mensch!"

"Du irrst. Ich bin ein friedfertiger Mensch, aber
ein gefährlicher Feind. Blicke in das Feuer! Das Holz
ist beinahe verbrannt."

"Gieb mir Zeit, mit meinem Bruder zu sprechen!"

"Nicht einen Augenblick!"

"Er verlangt dein Leben!"

"Er mag es sich holen!"

"Ich kann dich nicht frei geben."

"Warum nicht?"

"Weil du gesagt hast, daß du den Bey nicht verlassen
willst."

"Dieses Wort werde ich halten."

"Und ihn darf ich nicht entlassen. Er ist der Feind
der Chaldani, und die Kurden von Berwari werden sicher
kommen, um uns anzugreifen."

"Hättet ihr sie ihres Weges ziehen lassen! Ich er-
innere dich zum letztenmal, daß dieses Holz bereits in
Asche zerfällt."

"Nun wohl, Herr; ich muß dir gehorchen, denn du

„Du würdeſt mich töten?“

„Ich würde ſofort aufbrechen und dich als Geiſel
mit mir nehmen; ich müßte dich aber töten, wenn man
mich am Weggehen hinderte.“

„Dann biſt du auch kein Chriſt!“

„Mein Glaube gebietet mir nicht, mich feig und un-
nütz abſchlachten zu laſſen, ſondern er erlaubt mir, das
Leben zu verteidigen, welches mir Gott gegeben hat, um
den Brüdern nützlich zu ſein und mich auf die Ewigkeit
vorzubereiten. Wer mir dieſe koſtbare Zeit gewaltſam
verkürzen will, gegen den werde ich mich verteidigen, ſo
weit es meine Kraft geſtattet. Und daß dieſe Kraft nicht
die eines Kindes iſt, das haſt du wohl erfahren!“

„Chodi, du biſt ein gefährlicher Menſch!“

„Du irrſt. Ich bin ein friedfertiger Menſch, aber
ein gefährlicher Feind. Blicke in das Feuer! Das Holz
iſt beinahe verbrannt.“

„Gieb mir Zeit, mit meinem Bruder zu ſprechen!“

„Nicht einen Augenblick!“

„Er verlangt dein Leben!“

„Er mag es ſich holen!“

„Ich kann dich nicht frei geben.“

„Warum nicht?“

„Weil du geſagt haſt, daß du den Bey nicht verlaſſen
willſt.“

„Dieſes Wort werde ich halten.“

„Und ihn darf ich nicht entlaſſen. Er iſt der Feind
der Chaldani, und die Kurden von Berwari werden ſicher
kommen, um uns anzugreifen.“

„Hättet ihr ſie ihres Weges ziehen laſſen! Ich er-
innere dich zum letztenmal, daß dieſes Holz bereits in
Aſche zerfällt.“

„Nun wohl, Herr; ich muß dir gehorchen, denn du

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[504/0518] „Du würdeſt mich töten?“ „Ich würde ſofort aufbrechen und dich als Geiſel mit mir nehmen; ich müßte dich aber töten, wenn man mich am Weggehen hinderte.“ „Dann biſt du auch kein Chriſt!“ „Mein Glaube gebietet mir nicht, mich feig und un- nütz abſchlachten zu laſſen, ſondern er erlaubt mir, das Leben zu verteidigen, welches mir Gott gegeben hat, um den Brüdern nützlich zu ſein und mich auf die Ewigkeit vorzubereiten. Wer mir dieſe koſtbare Zeit gewaltſam verkürzen will, gegen den werde ich mich verteidigen, ſo weit es meine Kraft geſtattet. Und daß dieſe Kraft nicht die eines Kindes iſt, das haſt du wohl erfahren!“ „Chodi, du biſt ein gefährlicher Menſch!“ „Du irrſt. Ich bin ein friedfertiger Menſch, aber ein gefährlicher Feind. Blicke in das Feuer! Das Holz iſt beinahe verbrannt.“ „Gieb mir Zeit, mit meinem Bruder zu ſprechen!“ „Nicht einen Augenblick!“ „Er verlangt dein Leben!“ „Er mag es ſich holen!“ „Ich kann dich nicht frei geben.“ „Warum nicht?“ „Weil du geſagt haſt, daß du den Bey nicht verlaſſen willſt.“ „Dieſes Wort werde ich halten.“ „Und ihn darf ich nicht entlaſſen. Er iſt der Feind der Chaldani, und die Kurden von Berwari werden ſicher kommen, um uns anzugreifen.“ „Hättet ihr ſie ihres Weges ziehen laſſen! Ich er- innere dich zum letztenmal, daß dieſes Holz bereits in Aſche zerfällt.“ „Nun wohl, Herr; ich muß dir gehorchen, denn du

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 504. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/518>, abgerufen am 11.05.2024.