"Herr, eine Frau gehört in die Küche und schläft auch in der Küche."
Hm! Das war unangenehm. Uebrigens kam mir der dumme Witz des Agha sehr ungelegen. Die ,Myrte' schlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich stieg nach oben, ging aber, anstatt in mein Zimmer, in dasjenige des Haddedihn. Er hatte sich bereits schlafen gelegt, erwachte aber sofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Ge- fängnis, und er ward des Staunens voll.
Wir packten dann Eßwaren nebst Licht und Feuer- zeug ein und schlichen uns nach einer leeren Stube, welche an der Hochseite des Hauses lag. Sie hatte nur ein Fenster, das heißt, eine viereckige Oeffnung, welche durch einen Laden verschlossen war. Dieser war nur angelehnt, und als ich hinausblickte, sah ich das glatte Dach, welches diese Seite des kleinen Hofes umschirmte, nur fünf Fuß unter mir. Wir stiegen hinaus und von dem Dache in den Hof hinab. Die Thüre des letzteren war verschlossen; wir befanden uns also allein und gingen in den Garten, in welchem einst die schöne Esma Khan geduftet hatte. Nun trennte uns von dem Gefängnisse nur eine Mauer, deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.
"Warte," bat ich den Scheik. "Ich will der Sicher- heit wegen erst sehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet sein werden."
Ich schwang mich leise hinauf und drüben wieder hinab. Aus dem ersten kleinen Fensterloche rechts im Parterre sah ich einen fahlen Lichtschein. Dort war die Stube, in welcher der Agha geschlafen hatte. Und dort saßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angst nicht schlafen konnten. Das nächste, also das zweite Fenster gehörte zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns wartete.
„Herr, eine Frau gehört in die Küche und ſchläft auch in der Küche.“
Hm! Das war unangenehm. Uebrigens kam mir der dumme Witz des Agha ſehr ungelegen. Die ‚Myrte‘ ſchlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich ſtieg nach oben, ging aber, anſtatt in mein Zimmer, in dasjenige des Haddedihn. Er hatte ſich bereits ſchlafen gelegt, erwachte aber ſofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Ge- fängnis, und er ward des Staunens voll.
Wir packten dann Eßwaren nebſt Licht und Feuer- zeug ein und ſchlichen uns nach einer leeren Stube, welche an der Hochſeite des Hauſes lag. Sie hatte nur ein Fenſter, das heißt, eine viereckige Oeffnung, welche durch einen Laden verſchloſſen war. Dieſer war nur angelehnt, und als ich hinausblickte, ſah ich das glatte Dach, welches dieſe Seite des kleinen Hofes umſchirmte, nur fünf Fuß unter mir. Wir ſtiegen hinaus und von dem Dache in den Hof hinab. Die Thüre des letzteren war verſchloſſen; wir befanden uns alſo allein und gingen in den Garten, in welchem einſt die ſchöne Esma Khan geduftet hatte. Nun trennte uns von dem Gefängniſſe nur eine Mauer, deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.
„Warte,“ bat ich den Scheik. „Ich will der Sicher- heit wegen erſt ſehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet ſein werden.“
Ich ſchwang mich leiſe hinauf und drüben wieder hinab. Aus dem erſten kleinen Fenſterloche rechts im Parterre ſah ich einen fahlen Lichtſchein. Dort war die Stube, in welcher der Agha geſchlafen hatte. Und dort ſaßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angſt nicht ſchlafen konnten. Das nächſte, alſo das zweite Fenſter gehörte zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns wartete.
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„Herr, eine Frau gehört in die Küche und ſchläft
auch in der Küche.“
Hm! Das war unangenehm. Uebrigens kam mir der
dumme Witz des Agha ſehr ungelegen. Die ‚Myrte‘
ſchlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich ſtieg nach oben,
ging aber, anſtatt in mein Zimmer, in dasjenige des
Haddedihn. Er hatte ſich bereits ſchlafen gelegt, erwachte
aber ſofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Ge-
fängnis, und er ward des Staunens voll.
Wir packten dann Eßwaren nebſt Licht und Feuer-
zeug ein und ſchlichen uns nach einer leeren Stube, welche
an der Hochſeite des Hauſes lag. Sie hatte nur ein
Fenſter, das heißt, eine viereckige Oeffnung, welche durch
einen Laden verſchloſſen war. Dieſer war nur angelehnt,
und als ich hinausblickte, ſah ich das glatte Dach, welches
dieſe Seite des kleinen Hofes umſchirmte, nur fünf Fuß
unter mir. Wir ſtiegen hinaus und von dem Dache in
den Hof hinab. Die Thüre des letzteren war verſchloſſen;
wir befanden uns alſo allein und gingen in den Garten,
in welchem einſt die ſchöne Esma Khan geduftet hatte.
Nun trennte uns von dem Gefängniſſe nur eine Mauer,
deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.
„Warte,“ bat ich den Scheik. „Ich will der Sicher-
heit wegen erſt ſehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet
ſein werden.“
Ich ſchwang mich leiſe hinauf und drüben wieder
hinab. Aus dem erſten kleinen Fenſterloche rechts im
Parterre ſah ich einen fahlen Lichtſchein. Dort war die
Stube, in welcher der Agha geſchlafen hatte. Und dort
ſaßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angſt nicht ſchlafen
konnten. Das nächſte, alſo das zweite Fenſter gehörte
zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns
wartete.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/264>, abgerufen am 25.11.2024.
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