Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

aber ich wußte dich allein zu Hause und habe darum die
Gastfreundlichkeit des Kommandanten abgeschlagen. Ich
will nicht haben, daß dir die Russen den Kopf abschneiden.
Es giebt Krieg!"

Sie schlug erschrocken die Hände zusammen.

"Krieg? Zwischen wem denn?"

"Zwischen den Türken, Russen, Persern, Arabern
und Kurden. Die Russen stehen bereits mit hundert-
tausend Mann und dreitausend Kanonen vier Stunden
von hier in Serahru.

"O Allah! Ich sterbe; ich bin bereits tot! Mußt
du auch mitkämpfen?"

"Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein!
Aber laß keinen Menschen etwas wissen. Der Krieg ist
jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah
sollen es erst erfahren, wenn die Russen morgen die Stadt
umzingelt haben."

Sie taumelte und setzte sich ganz entkräftet auf den
ersten besten Topf, der in ihrer Nähe stand.

"Schon morgen! Morgen sind sie wirklich da?"

"Ja."

"Und sie werden schießen?"

"Sehr!"

"Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht ein-
schmieren!"

"Warum nicht?"

"Du darfst nicht Krieg führen helfen; du sollst nicht
erschossen werden!"

"Gut! Das ist mir sehr lieb, denn dann kann ich
schlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine
süße Mersinah!"

Er trat ab. Die Blume des Hauses blickte ihm etwas
verwundert nach; dann erkundigte sie sich:

aber ich wußte dich allein zu Hauſe und habe darum die
Gaſtfreundlichkeit des Kommandanten abgeſchlagen. Ich
will nicht haben, daß dir die Ruſſen den Kopf abſchneiden.
Es giebt Krieg!“

Sie ſchlug erſchrocken die Hände zuſammen.

„Krieg? Zwiſchen wem denn?“

„Zwiſchen den Türken, Ruſſen, Perſern, Arabern
und Kurden. Die Ruſſen ſtehen bereits mit hundert-
tauſend Mann und dreitauſend Kanonen vier Stunden
von hier in Serahru.

„O Allah! Ich ſterbe; ich bin bereits tot! Mußt
du auch mitkämpfen?“

„Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein!
Aber laß keinen Menſchen etwas wiſſen. Der Krieg iſt
jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah
ſollen es erſt erfahren, wenn die Ruſſen morgen die Stadt
umzingelt haben.“

Sie taumelte und ſetzte ſich ganz entkräftet auf den
erſten beſten Topf, der in ihrer Nähe ſtand.

„Schon morgen! Morgen ſind ſie wirklich da?“

„Ja.“

„Und ſie werden ſchießen?“

„Sehr!“

„Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht ein-
ſchmieren!“

„Warum nicht?“

„Du darfſt nicht Krieg führen helfen; du ſollſt nicht
erſchoſſen werden!“

„Gut! Das iſt mir ſehr lieb, denn dann kann ich
ſchlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine
ſüße Merſinah!“

Er trat ab. Die Blume des Hauſes blickte ihm etwas
verwundert nach; dann erkundigte ſie ſich:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0262" n="248"/>
aber ich wußte dich allein zu Hau&#x017F;e und habe darum die<lb/>
Ga&#x017F;tfreundlichkeit des Kommandanten abge&#x017F;chlagen. Ich<lb/>
will nicht haben, daß dir die Ru&#x017F;&#x017F;en den Kopf ab&#x017F;chneiden.<lb/>
Es giebt Krieg!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chlug er&#x017F;chrocken die Hände zu&#x017F;ammen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Krieg? Zwi&#x017F;chen wem denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Zwi&#x017F;chen den Türken, Ru&#x017F;&#x017F;en, Per&#x017F;ern, Arabern<lb/>
und Kurden. Die Ru&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tehen bereits mit hundert-<lb/>
tau&#x017F;end Mann und dreitau&#x017F;end Kanonen vier Stunden<lb/>
von hier in Serahru.</p><lb/>
        <p>&#x201E;O Allah! Ich &#x017F;terbe; ich bin bereits tot! Mußt<lb/>
du auch mitkämpfen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein!<lb/>
Aber laß keinen Men&#x017F;chen etwas wi&#x017F;&#x017F;en. Der Krieg i&#x017F;t<lb/>
jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah<lb/>
&#x017F;ollen es er&#x017F;t erfahren, wenn die Ru&#x017F;&#x017F;en morgen die Stadt<lb/>
umzingelt haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie taumelte und &#x017F;etzte &#x017F;ich ganz entkräftet auf den<lb/>
er&#x017F;ten be&#x017F;ten Topf, der in ihrer Nähe &#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schon morgen! Morgen &#x017F;ind &#x017F;ie wirklich da?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und &#x017F;ie werden &#x017F;chießen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehr!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht ein-<lb/>
&#x017F;chmieren!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum nicht?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du darf&#x017F;t nicht Krieg führen helfen; du &#x017F;oll&#x017F;t nicht<lb/>
er&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en werden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gut! Das i&#x017F;t mir &#x017F;ehr lieb, denn dann kann ich<lb/>
&#x017F;chlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine<lb/>
&#x017F;üße Mer&#x017F;inah!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er trat ab. Die Blume des Hau&#x017F;es blickte ihm etwas<lb/>
verwundert nach; dann erkundigte &#x017F;ie &#x017F;ich:</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[248/0262] aber ich wußte dich allein zu Hauſe und habe darum die Gaſtfreundlichkeit des Kommandanten abgeſchlagen. Ich will nicht haben, daß dir die Ruſſen den Kopf abſchneiden. Es giebt Krieg!“ Sie ſchlug erſchrocken die Hände zuſammen. „Krieg? Zwiſchen wem denn?“ „Zwiſchen den Türken, Ruſſen, Perſern, Arabern und Kurden. Die Ruſſen ſtehen bereits mit hundert- tauſend Mann und dreitauſend Kanonen vier Stunden von hier in Serahru. „O Allah! Ich ſterbe; ich bin bereits tot! Mußt du auch mitkämpfen?“ „Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein! Aber laß keinen Menſchen etwas wiſſen. Der Krieg iſt jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah ſollen es erſt erfahren, wenn die Ruſſen morgen die Stadt umzingelt haben.“ Sie taumelte und ſetzte ſich ganz entkräftet auf den erſten beſten Topf, der in ihrer Nähe ſtand. „Schon morgen! Morgen ſind ſie wirklich da?“ „Ja.“ „Und ſie werden ſchießen?“ „Sehr!“ „Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht ein- ſchmieren!“ „Warum nicht?“ „Du darfſt nicht Krieg führen helfen; du ſollſt nicht erſchoſſen werden!“ „Gut! Das iſt mir ſehr lieb, denn dann kann ich ſchlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine ſüße Merſinah!“ Er trat ab. Die Blume des Hauſes blickte ihm etwas verwundert nach; dann erkundigte ſie ſich:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/262
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/262>, abgerufen am 22.11.2024.