sterben müsse. Da riet ich ihm, zu dir zu kommen, wenn er keinen Arzt finden könne, und nun ist er da."
"Das hast du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja, daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil kurierte, gar nicht mehr besitze!"
"O, Sihdi, du bist ein großer Gelehrter und kannst einen Kranken auch ohne die Körner gesund machen, die du damals gabst."
"Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt!"
"Du kannst alles!"
Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an die damaligen Bakschisch jedenfalls wieder einmal sehr Großes von mir berichtet, und ich war nun derjenige, der den angeschnittenen Apfel zu verspeisen hatte.
"Die Wirtin ist klüger wie du, Halef! Aber gehe und hole den Mann herauf!"
Er ging und schob bald nachher einen Mann herein, dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte. Es war ein Kurde; das sah man an dem Tolik *), der ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die Stirne herabfiel; doch trug er türkische Kleidung.
"Sallam!" grüßte er eilig. "O Herr, komm schnell, sonst stirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel redet!"
"Was fehlt ihr?"
"Sie ist von einem bösen Geist besessen, der sie um- bringen wird."
"Wer sagte das?"
"Der alte türkische Hekim, den ich holte. Er hat ihr ein Amulet umgehangen, aber er meinte, daß es nicht helfen werde."
"Wie alt ist deine Tochter?"
*) Haarlocke über der Stirn.
ſterben müſſe. Da riet ich ihm, zu dir zu kommen, wenn er keinen Arzt finden könne, und nun iſt er da.“
„Das haſt du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja, daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil kurierte, gar nicht mehr beſitze!“
„O, Sihdi, du biſt ein großer Gelehrter und kannſt einen Kranken auch ohne die Körner geſund machen, die du damals gabſt.“
„Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt!“
„Du kannſt alles!“
Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an die damaligen Bakſchiſch jedenfalls wieder einmal ſehr Großes von mir berichtet, und ich war nun derjenige, der den angeſchnittenen Apfel zu verſpeiſen hatte.
„Die Wirtin iſt klüger wie du, Halef! Aber gehe und hole den Mann herauf!“
Er ging und ſchob bald nachher einen Mann herein, dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte. Es war ein Kurde; das ſah man an dem Tolik *), der ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die Stirne herabfiel; doch trug er türkiſche Kleidung.
„Sallam!“ grüßte er eilig. „O Herr, komm ſchnell, ſonſt ſtirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel redet!“
„Was fehlt ihr?“
„Sie iſt von einem böſen Geiſt beſeſſen, der ſie um- bringen wird.“
„Wer ſagte das?“
„Der alte türkiſche Hekim, den ich holte. Er hat ihr ein Amulet umgehangen, aber er meinte, daß es nicht helfen werde.“
„Wie alt iſt deine Tochter?“
*) Haarlocke über der Stirn.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0219"n="205"/>ſterben müſſe. Da riet ich ihm, zu dir zu kommen, wenn<lb/>
er keinen Arzt finden könne, und nun iſt er da.“</p><lb/><p>„Das haſt du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja,<lb/>
daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil<lb/>
kurierte, gar nicht mehr beſitze!“</p><lb/><p>„O, Sihdi, du biſt ein großer Gelehrter und kannſt<lb/>
einen Kranken auch ohne die Körner geſund machen, die<lb/>
du damals gabſt.“</p><lb/><p>„Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt!“</p><lb/><p>„Du kannſt alles!“</p><lb/><p>Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an<lb/>
die damaligen Bakſchiſch jedenfalls wieder einmal ſehr<lb/>
Großes von mir berichtet, und ich war nun derjenige, der<lb/>
den angeſchnittenen Apfel zu verſpeiſen hatte.</p><lb/><p>„Die Wirtin iſt klüger wie du, Halef! Aber gehe<lb/>
und hole den Mann herauf!“</p><lb/><p>Er ging und ſchob bald nachher einen Mann herein,<lb/>
dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte.<lb/>
Es war ein Kurde; das ſah man an dem Tolik <noteplace="foot"n="*)">Haarlocke über der Stirn.</note>, der<lb/>
ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die<lb/>
Stirne herabfiel; doch trug er türkiſche Kleidung.</p><lb/><p>„Sallam!“ grüßte er eilig. „O Herr, komm ſchnell,<lb/>ſonſt ſtirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel<lb/>
redet!“</p><lb/><p>„Was fehlt ihr?“</p><lb/><p>„Sie iſt von einem böſen Geiſt beſeſſen, der ſie um-<lb/>
bringen wird.“</p><lb/><p>„Wer ſagte das?“</p><lb/><p>„Der alte türkiſche Hekim, den ich holte. Er hat ihr<lb/>
ein Amulet umgehangen, aber er meinte, daß es nicht<lb/>
helfen werde.“</p><lb/><p>„Wie alt iſt deine Tochter?“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[205/0219]
ſterben müſſe. Da riet ich ihm, zu dir zu kommen, wenn
er keinen Arzt finden könne, und nun iſt er da.“
„Das haſt du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja,
daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil
kurierte, gar nicht mehr beſitze!“
„O, Sihdi, du biſt ein großer Gelehrter und kannſt
einen Kranken auch ohne die Körner geſund machen, die
du damals gabſt.“
„Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt!“
„Du kannſt alles!“
Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an
die damaligen Bakſchiſch jedenfalls wieder einmal ſehr
Großes von mir berichtet, und ich war nun derjenige, der
den angeſchnittenen Apfel zu verſpeiſen hatte.
„Die Wirtin iſt klüger wie du, Halef! Aber gehe
und hole den Mann herauf!“
Er ging und ſchob bald nachher einen Mann herein,
dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte.
Es war ein Kurde; das ſah man an dem Tolik *), der
ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die
Stirne herabfiel; doch trug er türkiſche Kleidung.
„Sallam!“ grüßte er eilig. „O Herr, komm ſchnell,
ſonſt ſtirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel
redet!“
„Was fehlt ihr?“
„Sie iſt von einem böſen Geiſt beſeſſen, der ſie um-
bringen wird.“
„Wer ſagte das?“
„Der alte türkiſche Hekim, den ich holte. Er hat ihr
ein Amulet umgehangen, aber er meinte, daß es nicht
helfen werde.“
„Wie alt iſt deine Tochter?“
*) Haarlocke über der Stirn.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/219>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.