Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Ja, Herr."

"Führe uns nach seinem Serai!"

Je sicherer man im Oriente auftritt, desto freund-
licher wird man behandelt. Zudem war dieser Mann ein
Jude, also nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte
es nicht, sich zu widersetzen. Wir wurden von ihm durch
eine Reihe von Gassen und Bazars geführt, die alle den
Eindruck des Verfallens auf mich machten.

Diese wichtige Grenzfestung schien sehr vernachlässigt
zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Lä-
den; nur wenige Menschen begegneten uns, und die,
welche wir sahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aus-
sehen und waren lebende Zeugnisse für die bekannte Un-
gesundheit dieser Stadt.

Der Serai verdiente seinem Aeußern nach den Namen
eines Palastes nicht im geringsten. Er glich einer aus-
gebesserten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine
Wache zu sehen war. Wir stiegen ab und übergaben
Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, der uns
wieder eingeholt hatte, unsere Pferde. Nachdem der Jude
ein Geschenk erhalten hatte, wofür er sich enthusiastisch
bedankte, traten wir ein.

Erst nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten,
kam uns ein Mann entgegen, der bei unserem Anblick
seinen langsamen Gang in einen schnellen Lauf verwandelte.

"Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?" fragte er mit
zorniger Stimme.

"Mann, rede anders, sonst werde ich dir zeigen, was
Höflichkeit ist! Wer bist du?"

"Ich bin der Aufseher dieses Palastes."

"Ist der Mutesselim zu sprechen?"

"Nein."

"Wo ist er?"

„Ja, Herr.“

„Führe uns nach ſeinem Serai!“

Je ſicherer man im Oriente auftritt, deſto freund-
licher wird man behandelt. Zudem war dieſer Mann ein
Jude, alſo nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte
es nicht, ſich zu widerſetzen. Wir wurden von ihm durch
eine Reihe von Gaſſen und Bazars geführt, die alle den
Eindruck des Verfallens auf mich machten.

Dieſe wichtige Grenzfeſtung ſchien ſehr vernachläſſigt
zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Lä-
den; nur wenige Menſchen begegneten uns, und die,
welche wir ſahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aus-
ſehen und waren lebende Zeugniſſe für die bekannte Un-
geſundheit dieſer Stadt.

Der Serai verdiente ſeinem Aeußern nach den Namen
eines Palaſtes nicht im geringſten. Er glich einer aus-
gebeſſerten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine
Wache zu ſehen war. Wir ſtiegen ab und übergaben
Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, der uns
wieder eingeholt hatte, unſere Pferde. Nachdem der Jude
ein Geſchenk erhalten hatte, wofür er ſich enthuſiaſtiſch
bedankte, traten wir ein.

Erſt nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten,
kam uns ein Mann entgegen, der bei unſerem Anblick
ſeinen langſamen Gang in einen ſchnellen Lauf verwandelte.

„Wer ſeid ihr? Was wollt ihr hier?“ fragte er mit
zorniger Stimme.

„Mann, rede anders, ſonſt werde ich dir zeigen, was
Höflichkeit iſt! Wer biſt du?“

„Ich bin der Aufſeher dieſes Palaſtes.“

„Iſt der Muteſſelim zu ſprechen?“

„Nein.“

„Wo iſt er?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0171" n="157"/>
        <p>&#x201E;Ja, Herr.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Führe uns nach &#x017F;einem Serai!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Je &#x017F;icherer man im Oriente auftritt, de&#x017F;to freund-<lb/>
licher wird man behandelt. Zudem war die&#x017F;er Mann ein<lb/>
Jude, al&#x017F;o nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte<lb/>
es nicht, &#x017F;ich zu wider&#x017F;etzen. Wir wurden von ihm durch<lb/>
eine Reihe von Ga&#x017F;&#x017F;en und Bazars geführt, die alle den<lb/>
Eindruck des Verfallens auf mich machten.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e wichtige Grenzfe&#x017F;tung &#x017F;chien &#x017F;ehr vernachlä&#x017F;&#x017F;igt<lb/>
zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Lä-<lb/>
den; nur wenige Men&#x017F;chen begegneten uns, und die,<lb/>
welche wir &#x017F;ahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aus-<lb/>
&#x017F;ehen und waren lebende Zeugni&#x017F;&#x017F;e für die bekannte Un-<lb/>
ge&#x017F;undheit die&#x017F;er Stadt.</p><lb/>
        <p>Der Serai verdiente &#x017F;einem Aeußern nach den Namen<lb/>
eines Pala&#x017F;tes nicht im gering&#x017F;ten. Er glich einer aus-<lb/>
gebe&#x017F;&#x017F;erten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine<lb/>
Wache zu &#x017F;ehen war. Wir &#x017F;tiegen ab und übergaben<lb/>
Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, der uns<lb/>
wieder eingeholt hatte, un&#x017F;ere Pferde. Nachdem der Jude<lb/>
ein Ge&#x017F;chenk erhalten hatte, wofür er &#x017F;ich enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;ch<lb/>
bedankte, traten wir ein.</p><lb/>
        <p>Er&#x017F;t nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten,<lb/>
kam uns ein Mann entgegen, der bei un&#x017F;erem Anblick<lb/>
&#x017F;einen lang&#x017F;amen Gang in einen &#x017F;chnellen Lauf verwandelte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer &#x017F;eid ihr? Was wollt ihr hier?&#x201C; fragte er mit<lb/>
zorniger Stimme.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mann, rede anders, &#x017F;on&#x017F;t werde ich dir zeigen, was<lb/>
Höflichkeit i&#x017F;t! Wer bi&#x017F;t du?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin der Auf&#x017F;eher die&#x017F;es Pala&#x017F;tes.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t der Mute&#x017F;&#x017F;elim zu &#x017F;prechen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wo i&#x017F;t er?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0171] „Ja, Herr.“ „Führe uns nach ſeinem Serai!“ Je ſicherer man im Oriente auftritt, deſto freund- licher wird man behandelt. Zudem war dieſer Mann ein Jude, alſo nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte es nicht, ſich zu widerſetzen. Wir wurden von ihm durch eine Reihe von Gaſſen und Bazars geführt, die alle den Eindruck des Verfallens auf mich machten. Dieſe wichtige Grenzfeſtung ſchien ſehr vernachläſſigt zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Lä- den; nur wenige Menſchen begegneten uns, und die, welche wir ſahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aus- ſehen und waren lebende Zeugniſſe für die bekannte Un- geſundheit dieſer Stadt. Der Serai verdiente ſeinem Aeußern nach den Namen eines Palaſtes nicht im geringſten. Er glich einer aus- gebeſſerten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine Wache zu ſehen war. Wir ſtiegen ab und übergaben Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, der uns wieder eingeholt hatte, unſere Pferde. Nachdem der Jude ein Geſchenk erhalten hatte, wofür er ſich enthuſiaſtiſch bedankte, traten wir ein. Erſt nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten, kam uns ein Mann entgegen, der bei unſerem Anblick ſeinen langſamen Gang in einen ſchnellen Lauf verwandelte. „Wer ſeid ihr? Was wollt ihr hier?“ fragte er mit zorniger Stimme. „Mann, rede anders, ſonſt werde ich dir zeigen, was Höflichkeit iſt! Wer biſt du?“ „Ich bin der Aufſeher dieſes Palaſtes.“ „Iſt der Muteſſelim zu ſprechen?“ „Nein.“ „Wo iſt er?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/171
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/171>, abgerufen am 27.11.2024.