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Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726.

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mit IVLIO CAESARE.
zum Treffen kam, gezeiget. Daher es ihrer angebohrnen Tapfferkeit desto mehr
Ehre macht, daß sie sich so mächtiger Feinde erwähret, und sie endlich durch ihre
eigene Künste überwunden.

XXXVIII. So wild sie aber im Kriege waren, so viel hielten sie doch aufJhre Gesetze
und Gerichte.

Gerechtigkeit unter sich, welches das erste Band eines wohlgearteten Lebens ist.
Jhre Gesetze waren nach der Beschaffenheit, und Nothdurfft, eines ieden Volckes
eingerichtet, mögen aber nicht so wohl durch Schrifft, als durch Gewohnheit seyn
beybehalten worden. Wir können zum Theil davon urtheilen aus denen, die noch
vorhanden sind, immassen die Teutschen solche Liebhaber ihrer Gewohnhei-
ten gewesen, daß vieles davon, auch nachdem sie das Römische Recht einführen
lassen, in Observantz geblieben. Das Richter-Amt war bey ihnen so geehrt, daß
die Vornehmsten mit dazu genommen worden 1. Jhre Fürsten werden bisweilen
Richter genennet, und noch zur Zeit der Francken haben selbst die Könige zu recht
gesessen. Wie aber damahls fast kein ander Mittel sich zu üben war, als eigene
Erfahrung, weswegen die Alten bey ihnen in besonderen Ehren stunden 2, so wur-
den zum Richter-Amt insgemein Leute gewehlet, deren graues Haar, gleichsam ein
Zeichen ihrer Erfahrung, und Bescheidenheit war 3. Den Richtern wurden gewisse
Beysitzer zugeordnet, derer Rath sie sich bedienen könnten: welches der Ursprung
der Schöppen ist. Die Straffen waren nach dem unterschiedenen Endzweck des
gemeinen Wesens eingerichtet; 4 daher sie in einigen Stücken hart, in andern desto
gelinder waren, immassen der Todschlag selbst nicht am Leben gestraffet ward 5.
Wir müssen es aber ihrer Liebe zum kurtzen Proceß, und ungeübten Köpffen
zuschreiben, daß sie bey Beschuldigungen, und andern zweiffelhafften Fällen, die
Sache lieber gleich zu einer vermeynten göttlichen Entscheidung ausstellen, als
Erkundigung einziehen, und die Stuffen der Wahrscheinlichkeit ermessen wollen,
woraus entstanden, daß sie so gar das Faust-Recht vor eine Art göttlicher Urthei-
le angenommen 6, und viele hundert Jahre behalten 7.

XXXIX. Jhre Handthierungen mögen nicht in einem grossen Grad vonJhre Künste
und Wissen-
schafften.

Vollkommenheit gewesen seyn. Die Fabric in Leinen ist fast die eintzige, darinnen
16

sie ge-
[Beginn Spaltensatz] frameaque iuuenem ornant. Haec apud illos toga,
hic primus iunentutis honos: antehac domus pars
uidentur, mox reipublicae.
1 §. XXXIIX. 1. tacit. c. 12. Eliguntur in iisdem conci-
liis & principes, qui iura per pagos uicosque reddunt.
Centeni singulis ex plebe comites, consilium, simul &
auctoritas, adsunt.
conf. hertivs P. I. c. IV.
§. 7.
2 caesar de B. G. c. 13. Germani frequen-
tes, omnibus principibus, maioribusque natu adhibi-
tis, ad eum in castra uenerunt.
3 Daher auch der Name der Graven, oder Graffen,
insgemein abgeleitet wird. uid. hertii not. uet.
Germ. popul. P. I. c.
4. §. 7.
4 tacitvs de M. G. c. 12. Distin-
[Spaltenumbruch] ctio poenarum ex delicto. Proditores & trans-
fugas arboribus suspendunt. Ignauos & imbelles, &
corpore infames, coeno ac palude, iniecta insuper cra-
te, mergunt. Diuersitas supplicii illuc respicit, tam-
quam scelera ostendi oporteat, dum puniuntur, flagi-
tia abscondi &c.
5 tacitvs de M. G. c. 21. Suscipere tam inimici-
tias, seu patris, seu propinqui, quam amicitias necesse
est. Nec implacabiles durant. Luitur enim homi-
cidium certo armentorum, ac pecorum, numero, reci-
pitque satisfactionem uniuersa domus, utiliter in pu-
blicum, quia periculosiores sunt inimicitiae iuxta
libertatem.
6 Daher die Teutschen, als Q. Varus die Römischen
Rechte unter sie einführen wollte, beym patercvlo
L. II. c.
108. sich aus Verstellung, gegen ihn bedancken,
quod solita armis discerni, iure terminarentur.
7 In uetere lege Alemannorum tit. 44. §. 1.
[Ende Spaltensatz]
Liceat
16 ammianvs marcell. L. XVII. c. 12. E-
ductis mucronibus, quos pro numinibus colunt, iura-
uerunt, se permansuros in fide.
Conf. hertivs
in notit. uet. Germ. popul. P. I. c.
3. §. 15.
G 3

mit IVLIO CAESARE.
zum Treffen kam, gezeiget. Daher es ihrer angebohrnen Tapfferkeit deſto mehr
Ehre macht, daß ſie ſich ſo maͤchtiger Feinde erwaͤhret, und ſie endlich durch ihre
eigene Kuͤnſte uͤberwunden.

XXXVIII. So wild ſie aber im Kriege waren, ſo viel hielten ſie doch aufJhre Geſetze
und Gerichte.

Gerechtigkeit unter ſich, welches das erſte Band eines wohlgearteten Lebens iſt.
Jhre Geſetze waren nach der Beſchaffenheit, und Nothdurfft, eines ieden Volckes
eingerichtet, moͤgen aber nicht ſo wohl durch Schrifft, als durch Gewohnheit ſeyn
beybehalten worden. Wir koͤnnen zum Theil davon urtheilen aus denen, die noch
vorhanden ſind, immaſſen die Teutſchen ſolche Liebhaber ihrer Gewohnhei-
ten geweſen, daß vieles davon, auch nachdem ſie das Roͤmiſche Recht einfuͤhren
laſſen, in Obſervantz geblieben. Das Richter-Amt war bey ihnen ſo geehrt, daß
die Vornehmſten mit dazu genommen worden 1. Jhre Fuͤrſten werden bisweilen
Richter genennet, und noch zur Zeit der Francken haben ſelbſt die Koͤnige zu recht
geſeſſen. Wie aber damahls faſt kein ander Mittel ſich zu uͤben war, als eigene
Erfahrung, weswegen die Alten bey ihnen in beſonderen Ehren ſtunden 2, ſo wur-
den zum Richter-Amt insgemein Leute gewehlet, deren graues Haar, gleichſam ein
Zeichen ihrer Erfahrung, und Beſcheidenheit war 3. Den Richtern wurden gewiſſe
Beyſitzer zugeordnet, derer Rath ſie ſich bedienen koͤnnten: welches der Urſprung
der Schoͤppen iſt. Die Straffen waren nach dem unterſchiedenen Endzweck des
gemeinen Weſens eingerichtet; 4 daher ſie in einigen Stuͤcken hart, in andern deſto
gelinder waren, immaſſen der Todſchlag ſelbſt nicht am Leben geſtraffet ward 5.
Wir muͤſſen es aber ihrer Liebe zum kurtzen Proceß, und ungeuͤbten Koͤpffen
zuſchreiben, daß ſie bey Beſchuldigungen, und andern zweiffelhafften Faͤllen, die
Sache lieber gleich zu einer vermeynten goͤttlichen Entſcheidung ausſtellen, als
Erkundigung einziehen, und die Stuffen der Wahrſcheinlichkeit ermeſſen wollen,
woraus entſtanden, daß ſie ſo gar das Fauſt-Recht vor eine Art goͤttlicher Urthei-
le angenommen 6, und viele hundert Jahre behalten 7.

XXXIX. Jhre Handthierungen moͤgen nicht in einem groſſen Grad vonJhre Kuͤnſte
und Wiſſen-
ſchafften.

Vollkommenheit geweſen ſeyn. Die Fabric in Leinen iſt faſt die eintzige, darinnen
16

ſie ge-
[Beginn Spaltensatz] frameaque iuuenem ornant. Haec apud illos toga,
hic primus iunentutis honos: antehac domus pars
uidentur, mox reipublicae.
1 §. XXXIIX. 1. tacit. c. 12. Eliguntur in iisdem conci-
liis & principes, qui iura per pagos uicosque reddunt.
Centeni ſingulis ex plebe comites, conſilium, ſimul &
auctoritas, adſunt.
conf. hertivs P. I. c. IV.
§. 7.
2 caesar de B. G. c. 13. Germani frequen-
tes, omnibus principibus, maioribusque natu adhibi-
tis, ad eum in caſtra uenerunt.
3 Daher auch der Name der Graven, oder Graffen,
insgemein abgeleitet wird. uid. hertii not. uet.
Germ. popul. P. I. c.
4. §. 7.
4 tacitvs de M. G. c. 12. Diſtin-
[Spaltenumbruch] ctio poenarum ex delicto. Proditores & trans-
fugas arboribus ſuſpendunt. Ignauos & imbelles, &
corpore infames, coeno ac palude, iniecta inſuper cra-
te, mergunt. Diuerſitas ſupplicii illuc reſpicit, tam-
quam ſcelera oſtendi oporteat, dum puniuntur, flagi-
tia abſcondi &c.
5 tacitvs de M. G. c. 21. Suſcipere tam inimici-
tias, ſeu patris, ſeu propinqui, quam amicitias neceſſe
eſt. Nec implacabiles durant. Luitur enim homi-
cidium certo armentorum, ac pecorum, numero, reci-
pitque ſatisfactionem uniuerſa domus, utiliter in pu-
blicum, quia periculoſiores ſunt inimicitiae iuxta
libertatem.
6 Daher die Teutſchen, als Q. Varus die Roͤmiſchen
Rechte unter ſie einfuͤhren wollte, beym patercvlo
L. II. c.
108. ſich aus Verſtellung, gegen ihn bedancken,
quod ſolita armis diſcerni, iure terminarentur.
7 In uetere lege Alemannorum tit. 44. §. 1.
[Ende Spaltensatz]
Liceat
16 ammianvs marcell. L. XVII. c. 12. E-
ductis mucronibus, quos pro numinibus colunt, iura-
uerunt, ſe permanſuros in fide.
Conf. hertivs
in notit. uet. Germ. popul. P. I. c.
3. §. 15.
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[53/0087] mit IVLIO CAESARE. zum Treffen kam, gezeiget. Daher es ihrer angebohrnen Tapfferkeit deſto mehr Ehre macht, daß ſie ſich ſo maͤchtiger Feinde erwaͤhret, und ſie endlich durch ihre eigene Kuͤnſte uͤberwunden. XXXVIII. So wild ſie aber im Kriege waren, ſo viel hielten ſie doch auf Gerechtigkeit unter ſich, welches das erſte Band eines wohlgearteten Lebens iſt. Jhre Geſetze waren nach der Beſchaffenheit, und Nothdurfft, eines ieden Volckes eingerichtet, moͤgen aber nicht ſo wohl durch Schrifft, als durch Gewohnheit ſeyn beybehalten worden. Wir koͤnnen zum Theil davon urtheilen aus denen, die noch vorhanden ſind, immaſſen die Teutſchen ſolche Liebhaber ihrer Gewohnhei- ten geweſen, daß vieles davon, auch nachdem ſie das Roͤmiſche Recht einfuͤhren laſſen, in Obſervantz geblieben. Das Richter-Amt war bey ihnen ſo geehrt, daß die Vornehmſten mit dazu genommen worden 1. Jhre Fuͤrſten werden bisweilen Richter genennet, und noch zur Zeit der Francken haben ſelbſt die Koͤnige zu recht geſeſſen. Wie aber damahls faſt kein ander Mittel ſich zu uͤben war, als eigene Erfahrung, weswegen die Alten bey ihnen in beſonderen Ehren ſtunden 2, ſo wur- den zum Richter-Amt insgemein Leute gewehlet, deren graues Haar, gleichſam ein Zeichen ihrer Erfahrung, und Beſcheidenheit war 3. Den Richtern wurden gewiſſe Beyſitzer zugeordnet, derer Rath ſie ſich bedienen koͤnnten: welches der Urſprung der Schoͤppen iſt. Die Straffen waren nach dem unterſchiedenen Endzweck des gemeinen Weſens eingerichtet; 4 daher ſie in einigen Stuͤcken hart, in andern deſto gelinder waren, immaſſen der Todſchlag ſelbſt nicht am Leben geſtraffet ward 5. Wir muͤſſen es aber ihrer Liebe zum kurtzen Proceß, und ungeuͤbten Koͤpffen zuſchreiben, daß ſie bey Beſchuldigungen, und andern zweiffelhafften Faͤllen, die Sache lieber gleich zu einer vermeynten goͤttlichen Entſcheidung ausſtellen, als Erkundigung einziehen, und die Stuffen der Wahrſcheinlichkeit ermeſſen wollen, woraus entſtanden, daß ſie ſo gar das Fauſt-Recht vor eine Art goͤttlicher Urthei- le angenommen 6, und viele hundert Jahre behalten 7. Jhre Geſetze und Gerichte. XXXIX. Jhre Handthierungen moͤgen nicht in einem groſſen Grad von Vollkommenheit geweſen ſeyn. Die Fabric in Leinen iſt faſt die eintzige, darinnen ſie ge- 15 16 Jhre Kuͤnſte und Wiſſen- ſchafften. 1 §. XXXIIX. 1. tacit. c. 12. Eliguntur in iisdem conci- liis & principes, qui iura per pagos uicosque reddunt. Centeni ſingulis ex plebe comites, conſilium, ſimul & auctoritas, adſunt. conf. hertivs P. I. c. IV. §. 7. 2 caesar de B. G. c. 13. Germani frequen- tes, omnibus principibus, maioribusque natu adhibi- tis, ad eum in caſtra uenerunt. 3 Daher auch der Name der Graven, oder Graffen, insgemein abgeleitet wird. uid. hertii not. uet. Germ. popul. P. I. c. 4. §. 7. 4 tacitvs de M. G. c. 12. Diſtin- ctio poenarum ex delicto. Proditores & trans- fugas arboribus ſuſpendunt. Ignauos & imbelles, & corpore infames, coeno ac palude, iniecta inſuper cra- te, mergunt. Diuerſitas ſupplicii illuc reſpicit, tam- quam ſcelera oſtendi oporteat, dum puniuntur, flagi- tia abſcondi &c. 5 tacitvs de M. G. c. 21. Suſcipere tam inimici- tias, ſeu patris, ſeu propinqui, quam amicitias neceſſe eſt. Nec implacabiles durant. Luitur enim homi- cidium certo armentorum, ac pecorum, numero, reci- pitque ſatisfactionem uniuerſa domus, utiliter in pu- blicum, quia periculoſiores ſunt inimicitiae iuxta libertatem. 6 Daher die Teutſchen, als Q. Varus die Roͤmiſchen Rechte unter ſie einfuͤhren wollte, beym patercvlo L. II. c. 108. ſich aus Verſtellung, gegen ihn bedancken, quod ſolita armis diſcerni, iure terminarentur. 7 In uetere lege Alemannorum tit. 44. §. 1. Liceat 15 frameaque iuuenem ornant. Haec apud illos toga, hic primus iunentutis honos: antehac domus pars uidentur, mox reipublicae. 16 ammianvs marcell. L. XVII. c. 12. E- ductis mucronibus, quos pro numinibus colunt, iura- uerunt, ſe permanſuros in fide. Conf. hertivs in notit. uet. Germ. popul. P. I. c. 3. §. 15. G 3

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Zitationshilfe: Mascov, Johann Jakob: Geschichte der Teutschen. Bd. 1. Leipzig, 1726, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mascov_geschichte01_1726/87>, abgerufen am 21.11.2024.