Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs- verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte, unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.
Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft- liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt wird, und -- abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon- sumtion anheimfällt -- einem andern Theil der Arbeit, der immer Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell- schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter- schied festhält.
Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse zu56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden, aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk- tionsverhältnisse selbst.
Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions- weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist; dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs- formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be- dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-
56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.
Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs- verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte, unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.
Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft- liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt wird, und — abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon- sumtion anheimfällt — einem andern Theil der Arbeit, der immer Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell- schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter- schied festhält.
Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse zu56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden, aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk- tionsverhältnisse selbst.
Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions- weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist; dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs- formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be- dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-
56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0423"n="414"/><p>Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs-<lb/>
verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der<lb/>
Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der<lb/>
menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar<lb/>
nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre<lb/>
Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte,<lb/>
unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck<lb/>
und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener<lb/>
naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.</p><lb/><p>Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft-<lb/>
liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen<lb/>
indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten<lb/>
Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden<lb/>
werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar<lb/>
von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt<lb/>
wird, und — abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon-<lb/>
sumtion anheimfällt — einem andern Theil der Arbeit, der immer<lb/>
Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner<lb/>
gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt<lb/>
vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell-<lb/>
schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen<lb/>
Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch<lb/>
sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen<lb/>
abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter-<lb/>
schied festhält.</p><lb/><p>Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den<lb/>
geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse<lb/>
zu<noteplace="foot"n="56)">J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.</note>, hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden,<lb/>
aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller<lb/>
geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk-<lb/>
tionsverhältnisse selbst.</p><lb/><p>Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions-<lb/>
weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise<lb/>
von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist;<lb/>
dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne<lb/>
Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs-<lb/>
formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be-<lb/>
dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines<lb/>
vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[414/0423]
Der gewöhnlichen Anschauung erscheinen diese Vertheilungs-
verhältnisse als Naturverhältnisse, als Verhältnisse, die aus der
Natur aller gesellschaftlichen Produktion, aus den Gesetzen der
menschlichen Produktion schlechthin entspringen. Es kann zwar
nicht geleugnet werden, dass vorkapitalistische Gesellschaften andre
Vertheilungsweisen zeigen, aber diese werden dann als unentwickelte,
unvollkommene und verkleidete, nicht auf ihren reinsten Ausdruck
und ihre höchste Gestalt reducirte, anders gefärbte Weisen jener
naturgemäßen Vertheilungsverhältnisse gedeutet.
Das einzig Richtige in dieser Vorstellung ist dies: Gesellschaft-
liche Produktion irgend einer Art (z. B. die der naturwüchsigen
indischen Gemeinwesen oder die des mehr künstlich entwickelten
Kommunismus der Peruaner) vorausgesetzt, kann stets unterschieden
werden zwischen dem Theil der Arbeit, dessen Produkt unmittelbar
von den Producenten und ihren Angehörigen individuell konsumirt
wird, und — abgesehn von dem Theil der der produktiven Kon-
sumtion anheimfällt — einem andern Theil der Arbeit, der immer
Mehrarbeit ist, dessen Produkt stets zur Befriedigung allgemeiner
gesellschaftlicher Bedürfnisse dient, wie immer dies Mehrprodukt
vertheilt werde, und wer immer als Repräsentant dieser gesell-
schaftlichen Bedürfnisse fungire. Die Identität der verschiednen
Vertheilungsweisen kommt also darauf hinaus, dass sie identisch
sind, wenn man von ihren Unterscheidungen und specifischen Formen
abstrahirt, nur die Einheit in ihnen, im Gegensatz zu ihrem Unter-
schied festhält.
Weiter gebildetes, mehr kritisches Bewusstsein gibt jedoch den
geschichtlich entwickelten Charakter der Vertheilungsverhältnisse
zu 56), hält dafür aber um so fester an dem sich gleichbleibenden,
aus der menschlichen Natur entspringenden, und daher von aller
geschichtlichen Entwicklung unabhängigen Charakter der Produk-
tionsverhältnisse selbst.
Die wissenschaftliche Analyse der kapitalistischen Produktions-
weise beweist dagegen umgekehrt, dass sie eine Produktionsweise
von besondrer Art, von specifischer historischer Bestimmtheit ist;
dass sie, wie jede andre bestimmte Produktionsweise, eine gegebne
Stufe der gesellschaftlichen Produktivkräfte und ihrer Entwicklungs-
formen als ihre geschichtliche Bedingung voraussetzt: eine Be-
dingung, die selbst das geschichtliche Resultat und Produkt eines
vorhergegangnen Processes ist, und wovon die neue Produktions-
56) J. Stuart Mill: Some Unsettled Questions in Pol. Econ. London 1844.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch III: Der Gesammtprocess d. Kapitalist. Produktion. Kapitel XXIX-LII. Hamburg, 1894, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital0302_1894/423>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.