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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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klebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst
von seinem Charakter als Sklave.

Man hat im Verlauf dieses Abschnitts gesehn, dass das Kapital keine
fixe Grösse ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehr-
werths in Revenue und Surpluskapital beständig fluktuirender Theil des
gesellschaftlichen Reichthums. Man hat ferner gesehn, dass selbst die
Grösse des funktionirenden Kapitals gegeben, die ihm einverleibte Arbeits-
kraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat
des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn
sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Gren-
zen einen von seiner eignen Grösse unabhängigen Spielraum
gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Cirkulationspro-
zesses
abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapital-
masse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Pro-
duktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaft-
lichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Pro-
duktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmässig bewirk-
baren rationelleren Kombination. Die klassische Oekonomie liebte es von
jeher das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Grösse von fixem Wir-
kungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil ward erst zum Dogma be-
festigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, diess nüchtern pe-
dantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des
19. Jahrhunderts63). Bentham ist unter den Philosophen, was Martin
Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricirbar64).

63) Vgl. u. a.: J. Bentham: "Theorie des Peines et des Re-
compenses
, trad. Et. Dumont. 3eme ed." Paris 1826, t. II, l. IV,
ch. II.
64) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern
Philosophen Christian Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in
keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals so selbstgefällig breit
gemacht. Das Nützlichkeitsprincip war keine Erfindung Bentham's. Er
reproducirte nur geistlos, was Helvetius und andre Franzosen des 18. Jahrhunderts
geistreich gesagt hatten. Wenn man z. B. wissen will, was ist einem Hunde nütz-
lich?, so muss man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus
dem "Nützlichkeitsprincip" zu konstruiren. Auf den Menschen angewandt, wenn
man alle menschliche That, Bewegung, Verhältnisse u. s. w. nach dem Nützlich-

klebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst
von seinem Charakter als Sklave.

Man hat im Verlauf dieses Abschnitts gesehn, dass das Kapital keine
fixe Grösse ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehr-
werths in Revenue und Surpluskapital beständig fluktuirender Theil des
gesellschaftlichen Reichthums. Man hat ferner gesehn, dass selbst die
Grösse des funktionirenden Kapitals gegeben, die ihm einverleibte Arbeits-
kraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat
des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn
sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Gren-
zen einen von seiner eignen Grösse unabhängigen Spielraum
gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Cirkulationspro-
zesses
abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapital-
masse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Pro-
duktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaft-
lichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Pro-
duktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmässig bewirk-
baren rationelleren Kombination. Die klassische Oekonomie liebte es von
jeher das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Grösse von fixem Wir-
kungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil ward erst zum Dogma be-
festigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, diess nüchtern pe-
dantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des
19. Jahrhunderts63). Bentham ist unter den Philosophen, was Martin
Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricirbar64).

63) Vgl. u. a.: J. Bentham: „Theorie des Peines et des Ré-
compenses
, trad. Et. Dumont. 3ème éd.“ Paris 1826, t. II, l. IV,
ch. II.
64) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern
Philosophen Christian Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in
keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals so selbstgefällig breit
gemacht. Das Nützlichkeitsprincip war keine Erfindung Bentham’s. Er
reproducirte nur geistlos, was Helvetius und andre Franzosen des 18. Jahrhunderts
geistreich gesagt hatten. Wenn man z. B. wissen will, was ist einem Hunde nütz-
lich?, so muss man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus
dem „Nützlichkeitsprincip“ zu konstruiren. Auf den Menschen angewandt, wenn
man alle menschliche That, Bewegung, Verhältnisse u. s. w. nach dem Nützlich-
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[596/0615] klebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von seinem Charakter als Sklave. Man hat im Verlauf dieses Abschnitts gesehn, dass das Kapital keine fixe Grösse ist, sondern ein elastischer und mit der Theilung des Mehr- werths in Revenue und Surpluskapital beständig fluktuirender Theil des gesellschaftlichen Reichthums. Man hat ferner gesehn, dass selbst die Grösse des funktionirenden Kapitals gegeben, die ihm einverleibte Arbeits- kraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zuthat des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Gren- zen einen von seiner eignen Grösse unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Cirkulationspro- zesses abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapital- masse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Pro- duktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaft- lichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Pro- duktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmässig bewirk- baren rationelleren Kombination. Die klassische Oekonomie liebte es von jeher das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Grösse von fixem Wir- kungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurtheil ward erst zum Dogma be- festigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, diess nüchtern pe- dantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgerverstandes des 19. Jahrhunderts 63). Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabricirbar 64). 63) Vgl. u. a.: J. Bentham: „Theorie des Peines et des Ré- compenses, trad. Et. Dumont. 3ème éd.“ Paris 1826, t. II, l. IV, ch. II. 64) Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phänomen. Selbst unsern Philosophen Christian Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals so selbstgefällig breit gemacht. Das Nützlichkeitsprincip war keine Erfindung Bentham’s. Er reproducirte nur geistlos, was Helvetius und andre Franzosen des 18. Jahrhunderts geistreich gesagt hatten. Wenn man z. B. wissen will, was ist einem Hunde nütz- lich?, so muss man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus dem „Nützlichkeitsprincip“ zu konstruiren. Auf den Menschen angewandt, wenn man alle menschliche That, Bewegung, Verhältnisse u. s. w. nach dem Nützlich-

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/615>, abgerufen am 18.05.2024.