Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und andren chemischen Fabriken; mörderischer Verbrauch von Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der Webstühle252). Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahlte- sten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortiren der Lumpen. Man weiss, dass Gross- britanien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Russland, Italien, Aegypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabri- kation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy, und als Rohmaterial des Pa- piers. Die weiblichen Lumpensortirer dienen als Mediums, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu col- portiren253). Als klassisches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und un- passende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in England nur noch sporadisch die neuerfundne Maschinerie angewandt wird. Zwi- schen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gilt für "reducirt", "mässig". Kinder beiderlei Geschlechts werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten die- selbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu Mosley z. B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unter- stützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täg- lich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von
252) l. c. p. 114, 115, n. 6--7. Der Kommissär bemerkt richtig, dass wenn sonst die Maschine den Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt.
253) Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: "Public Health. VIII. Report. London 1866." Appendix, p. 196--208.
Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und andren chemischen Fabriken; mörderischer Verbrauch von Jungen in Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der Webstühle252). Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahlte- sten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt werden, ist das Sortiren der Lumpen. Man weiss, dass Gross- britanien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan, den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Russland, Italien, Aegypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabri- kation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy, und als Rohmaterial des Pa- piers. Die weiblichen Lumpensortirer dienen als Mediums, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu col- portiren253). Als klassisches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und un- passende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in England nur noch sporadisch die neuerfundne Maschinerie angewandt wird. Zwi- schen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis 8 Uhr Abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends gilt für „reducirt“, „mässig“. Kinder beiderlei Geschlechts werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten die- selbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu Mosley z. B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unter- stützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täg- lich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von
252) l. c. p. 114, 115, n. 6—7. Der Kommissär bemerkt richtig, dass wenn sonst die Maschine den Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt.
253) Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: „Public Health. VIII. Report. London 1866.“ Appendix, p. 196—208.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0473"n="454"/>
Mädchen und Kinder, in der <hirendition="#g">Buchbinderei</hi>. Schwere Arbeit für<lb/>
Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und<lb/>
andren chemischen Fabriken; mörderischer Verbrauch von Jungen in<lb/>
Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der<lb/>
Webstühle<noteplace="foot"n="252)">l. c. p. 114, 115, n. 6—7. Der Kommissär bemerkt richtig, dass wenn<lb/>
sonst die Maschine den Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt.</note>. Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahlte-<lb/>
sten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt<lb/>
werden, ist das <hirendition="#g">Sortiren der Lumpen</hi>. Man weiss, dass Gross-<lb/>
britanien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für<lb/>
den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan,<lb/>
den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre<lb/>
Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Russland, Italien,<lb/>
Aegypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabri-<lb/>
kation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy, und als Rohmaterial des Pa-<lb/>
piers. Die weiblichen Lumpensortirer dienen als Mediums, um Pocken<lb/>
und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu col-<lb/>
portiren<noteplace="foot"n="253)">Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: „<hirendition="#g">Public<lb/>
Health</hi>. VIII. <hirendition="#g">Report. London</hi> 1866.“<hirendition="#g">Appendix</hi>, p. 196—208.</note>. Als klassisches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und un-<lb/>
passende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen<lb/>
an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion,<lb/>
die <hirendition="#g">Ziegel- oder Backsteinmacherei</hi> gelten, wozu in England<lb/>
nur noch sporadisch die neuerfundne Maschinerie angewandt wird. Zwi-<lb/>
schen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis<lb/>
8 Uhr Abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr<lb/>
Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis<lb/>
7 Uhr Abends gilt für „<hirendition="#g">reducirt</hi>“, „<hirendition="#g">mässig</hi>“. Kinder beiderlei Geschlechts<lb/>
werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten die-<lb/>
selbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart<lb/>
und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu<lb/>
Mosley z. B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unter-<lb/>
stützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm<lb/>
trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täg-<lb/>
lich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[454/0473]
Mädchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit für
Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und
andren chemischen Fabriken; mörderischer Verbrauch von Jungen in
Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der
Webstühle 252). Eine der infamsten, schmutzigsten und schlecht bezahlte-
sten Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Mädchen und Weiber verwandt
werden, ist das Sortiren der Lumpen. Man weiss, dass Gross-
britanien, abgesehn von seinen eignen unzähligen Lumpen, das Emporium für
den Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie strömen dahin von Japan,
den entferntesten Staaten Südamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre
Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, Russland, Italien,
Aegypten, Türkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Düngung, Fabri-
kation von Flocken (für Bettzeug), Shoddy, und als Rohmaterial des Pa-
piers. Die weiblichen Lumpensortirer dienen als Mediums, um Pocken
und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie selbst sind, zu col-
portiren 253). Als klassisches Beispiel für Ueberarbeit, schwere und un-
passende Arbeit, und daher folgende Brutalisirung der von Kindesbeinen
an konsumirten Arbeiter kann, neben der Minen- und Kohlenproduktion,
die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in England
nur noch sporadisch die neuerfundne Maschinerie angewandt wird. Zwi-
schen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr Morgens bis
8 Uhr Abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4 Uhr
Morgens bis 9 Uhr Abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr Morgens bis
7 Uhr Abends gilt für „reducirt“, „mässig“. Kinder beiderlei Geschlechts
werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten die-
selbe Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart
und die Sommerhitze steigert noch die Erschöpfung. In einer Ziegelei zu
Mosley z. B. machte ein 24jähriges Mädchen 2000 Ziegel täglich, unter-
stützt von zwei unerwachsnen Mädchen als Gehilfen, welche den Lehm
trugen und die Ziegelsteine aufhäuften. Diese Mädchen schleppten täg-
lich 10 Tonnen die schlüpfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von
252) l. c. p. 114, 115, n. 6—7. Der Kommissär bemerkt richtig, dass wenn
sonst die Maschine den Menschen, hier der Junge verbatim die Maschine ersetzt.
253) Sieh Bericht über den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: „Public
Health. VIII. Report. London 1866.“ Appendix, p. 196—208.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/473>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.