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Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867.

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sem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der an-
deren lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz
ihrer Bewegung
auf die Spur gekommen ist, -- und es ist
der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomi-
sche Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft
zu enthüllen
-- kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen
weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die
Geburtswehen abkürzen und mildern.

Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die
Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich kei-
neswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die
Personen
nur, soweit sie die Personifikation ökono-
mischer Kategorien sind, Träger von bestimmten
Klassenverhältnissen und Interessen
. Weniger als
jeder andre kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der
ökonomischen Gesellschaftsformation
als einen na-
turgeschichtlichen Prozess
auffasst, den Einzelnen ver-
antwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social
bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.

Auf dem Gebiet der politischen Oekonomie begegnet die
freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben
Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche
Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten,
kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen
Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die eng-
lische Hochkirche z. B. verzeiht eher den Angriff auf 30 von ihren
39 Glaubensartikeln als auf ihres Geldeinkommens. Heut-
zutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit
der Kritik überlieferter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier
ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z. B. auf das in den
letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: "Correspondence
with Her Majesty's Missions Abroad, regarding In-
dustrial Questions and Trade's Unions
." Die auswär-
tigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren
Worten aus, dass in Deutschland, Frankreich, kurz allen Kultur-
staaten des europäischen Kontinents, eine Umwandlung der be-

sem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der an-
deren lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz
ihrer Bewegung
auf die Spur gekommen ist, — und es ist
der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomi-
sche Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft
zu enthüllen
— kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen
weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die
Geburtswehen abkürzen und mildern.

Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die
Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich kei-
neswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die
Personen
nur, soweit sie die Personifikation ökono-
mischer Kategorien sind, Träger von bestimmten
Klassenverhältnissen und Interessen
. Weniger als
jeder andre kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der
ökonomischen Gesellschaftsformation
als einen na-
turgeschichtlichen Prozess
auffasst, den Einzelnen ver-
antwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social
bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.

Auf dem Gebiet der politischen Oekonomie begegnet die
freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben
Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche
Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten,
kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen
Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die eng-
lische Hochkirche z. B. verzeiht eher den Angriff auf 30 von ihren
39 Glaubensartikeln als auf ihres Geldeinkommens. Heut-
zutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit
der Kritik überlieferter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier
ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z. B. auf das in den
letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: „Correspondence
with Her Majesty’s Missions Abroad, regarding In-
dustrial Questions and Trade’s Unions
.“ Die auswär-
tigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren
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[XI/0018] sem Bande eingeräumt. Eine Nation soll und kann von der an- deren lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist, — und es ist der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomi- sche Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen — kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern. Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigenthümer zeichne ich kei- neswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökono- mischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andre kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen na- turgeschichtlichen Prozess auffasst, den Einzelnen ver- antwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er social bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag. Auf dem Gebiet der politischen Oekonomie begegnet die freie wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde, wie auf allen anderen Gebieten. Die eigenthümliche Natur des Stoffes, den sie behandelt, ruft wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehässigsten Leidenschaften der menschlichen Brust, die Furien des Privatinteresses, auf den Kampfplatz. Die eng- lische Hochkirche z. B. verzeiht eher den Angriff auf 30 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf [FORMEL] ihres Geldeinkommens. Heut- zutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis, verglichen mit der Kritik überlieferter Eigenthumsverhältnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt unverkennbar. Ich verweise z. B. auf das in den letzten Wochen veröffentlichte Blaubuch: „Correspondence with Her Majesty’s Missions Abroad, regarding In- dustrial Questions and Trade’s Unions.“ Die auswär- tigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit dürren Worten aus, dass in Deutschland, Frankreich, kurz allen Kultur- staaten des europäischen Kontinents, eine Umwandlung der be-

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Das Kapital. Buch I: Der Produktionsprocess des Kapitals. Hamburg, 1867, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_kapital01_1867/18>, abgerufen am 19.04.2024.