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Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869.

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kehrte Schlemihle, als Schatten, denen der Körper abhanden gekommen ist.
Die Revolution selbst paralysirt ihre eigenen Träger und stattet nur ihre
Gegner mit leidenschaftlicher Gewaltsamkeit aus. Wenn das "rothe Ge¬
spenst", von den Kontrerevolutionären beständig heraufbeschworen und
gebannt, endlich erscheint, so erscheint es nicht mit anarchischer Phrygier¬
mütze auf dem Kopfe, sondern in der Uniform der Ordnung, in rothen
Plumphosen
.

Wir haben gesehn: das Ministerium, das Bonaparte am 20. Dezem¬
ber 1848, am Tage seiner Himmelfahrt installirte, war ein Ministerium der
Ordnungspartei, der legitimistischen und orleanistischen Koalition. Dies
Ministerium Barrot-Falloux hatte die republikanische Konstituante, deren
Lebensdauer es mehr oder minder gewaltsam abkürzte, überwintert und befand
sich noch am Ruder. Changarnier, der General der verbündeten Royalisten,
vereinigte fortwährend in seiner Person das Generalkommando der ersten
Militärdivision und der Pariser Nationalgarde. Die allgemeinen Wahlen
endlich hatten der Ordnungspartei die große Majorität in der Nationalver¬
sammlung gesichert. Hier begegneten die Deputirten und Pairs Louis Philipp's
einer heiligen Schaar von Legitimisten, für welche zahlreiche Wahlzettel der
Nation sich in Eintrittskarten auf die politische Bühne verwandelt hatten.
Die bonapartistischen Volksrepräsentanten waren zu dünn gesät, um eine
selbstständige parlamentarische Partei bilden zu können. Sie erschienen nur
als mauvaise queue der Ordnungspartei. So war die Ordnungspartei im
Besitz der Regierungsgewalt, der Armee und des gesetzgebenden Körpers, kurz
der Gesammtmacht des Staats, moralisch gekräftigt durch die allgemeinen
Wahlen, die ihre Herrschaft als den Willen des Volkes erscheinen ließen, und
durch den gleichzeitigen Sieg der Kontrerevolution auf dem gesammten euro¬
päischen Kontinent.

Nie eröffnete eine Partei mit größern Mitteln und unter günstigern
Auspicien ihren Feldzug.

Die schiffbrüchigen reinen Republikaner fanden sich in der
gesetzgebenden Nationalversammlung auf eine Klique von ungefähr 50 Mann
zusammengeschmolzen, an ihrer Spitze die afrikanischen Generale Cavaignac,
Lamoriciere, Bedeau. Die große Oppositionspartei aber wurde gebildet
durch die Montagne. Diesen parlamentarischen Taufnamen hatte sich
die sozial-demokratische Partei gegeben. Sie verfügte über mehr
als 200 von den 750 Stimmen der Nationalversammlung und war

kehrte Schlemihle, als Schatten, denen der Körper abhanden gekommen iſt.
Die Revolution ſelbſt paralyſirt ihre eigenen Träger und ſtattet nur ihre
Gegner mit leidenſchaftlicher Gewaltſamkeit aus. Wenn das „rothe Ge¬
ſpenſt“, von den Kontrerevolutionären beſtändig heraufbeſchworen und
gebannt, endlich erſcheint, ſo erſcheint es nicht mit anarchiſcher Phrygier¬
mütze auf dem Kopfe, ſondern in der Uniform der Ordnung, in rothen
Plumphoſen
.

Wir haben geſehn: das Miniſterium, das Bonaparte am 20. Dezem¬
ber 1848, am Tage ſeiner Himmelfahrt inſtallirte, war ein Miniſterium der
Ordnungspartei, der legitimiſtiſchen und orleaniſtiſchen Koalition. Dies
Miniſterium Barrot-Falloux hatte die republikaniſche Konſtituante, deren
Lebensdauer es mehr oder minder gewaltſam abkürzte, überwintert und befand
ſich noch am Ruder. Changarnier, der General der verbündeten Royaliſten,
vereinigte fortwährend in ſeiner Perſon das Generalkommando der erſten
Militärdiviſion und der Pariſer Nationalgarde. Die allgemeinen Wahlen
endlich hatten der Ordnungspartei die große Majorität in der Nationalver¬
ſammlung geſichert. Hier begegneten die Deputirten und Pairs Louis Philipp's
einer heiligen Schaar von Legitimiſten, für welche zahlreiche Wahlzettel der
Nation ſich in Eintrittskarten auf die politiſche Bühne verwandelt hatten.
Die bonapartiſtiſchen Volksrepräſentanten waren zu dünn geſät, um eine
ſelbſtſtändige parlamentariſche Partei bilden zu können. Sie erſchienen nur
als mauvaise queue der Ordnungspartei. So war die Ordnungspartei im
Beſitz der Regierungsgewalt, der Armee und des geſetzgebenden Körpers, kurz
der Geſammtmacht des Staats, moraliſch gekräftigt durch die allgemeinen
Wahlen, die ihre Herrſchaft als den Willen des Volkes erſcheinen ließen, und
durch den gleichzeitigen Sieg der Kontrerevolution auf dem geſammten euro¬
päiſchen Kontinent.

Nie eröffnete eine Partei mit größern Mitteln und unter günſtigern
Auspicien ihren Feldzug.

Die ſchiffbrüchigen reinen Republikaner fanden ſich in der
geſetzgebenden Nationalverſammlung auf eine Klique von ungefähr 50 Mann
zuſammengeſchmolzen, an ihrer Spitze die afrikaniſchen Generale Cavaignac,
Lamoricière, Bedeau. Die große Oppoſitionspartei aber wurde gebildet
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[24/0036] kehrte Schlemihle, als Schatten, denen der Körper abhanden gekommen iſt. Die Revolution ſelbſt paralyſirt ihre eigenen Träger und ſtattet nur ihre Gegner mit leidenſchaftlicher Gewaltſamkeit aus. Wenn das „rothe Ge¬ ſpenſt“, von den Kontrerevolutionären beſtändig heraufbeſchworen und gebannt, endlich erſcheint, ſo erſcheint es nicht mit anarchiſcher Phrygier¬ mütze auf dem Kopfe, ſondern in der Uniform der Ordnung, in rothen Plumphoſen. Wir haben geſehn: das Miniſterium, das Bonaparte am 20. Dezem¬ ber 1848, am Tage ſeiner Himmelfahrt inſtallirte, war ein Miniſterium der Ordnungspartei, der legitimiſtiſchen und orleaniſtiſchen Koalition. Dies Miniſterium Barrot-Falloux hatte die republikaniſche Konſtituante, deren Lebensdauer es mehr oder minder gewaltſam abkürzte, überwintert und befand ſich noch am Ruder. Changarnier, der General der verbündeten Royaliſten, vereinigte fortwährend in ſeiner Perſon das Generalkommando der erſten Militärdiviſion und der Pariſer Nationalgarde. Die allgemeinen Wahlen endlich hatten der Ordnungspartei die große Majorität in der Nationalver¬ ſammlung geſichert. Hier begegneten die Deputirten und Pairs Louis Philipp's einer heiligen Schaar von Legitimiſten, für welche zahlreiche Wahlzettel der Nation ſich in Eintrittskarten auf die politiſche Bühne verwandelt hatten. Die bonapartiſtiſchen Volksrepräſentanten waren zu dünn geſät, um eine ſelbſtſtändige parlamentariſche Partei bilden zu können. Sie erſchienen nur als mauvaise queue der Ordnungspartei. So war die Ordnungspartei im Beſitz der Regierungsgewalt, der Armee und des geſetzgebenden Körpers, kurz der Geſammtmacht des Staats, moraliſch gekräftigt durch die allgemeinen Wahlen, die ihre Herrſchaft als den Willen des Volkes erſcheinen ließen, und durch den gleichzeitigen Sieg der Kontrerevolution auf dem geſammten euro¬ päiſchen Kontinent. Nie eröffnete eine Partei mit größern Mitteln und unter günſtigern Auspicien ihren Feldzug. Die ſchiffbrüchigen reinen Republikaner fanden ſich in der geſetzgebenden Nationalverſammlung auf eine Klique von ungefähr 50 Mann zuſammengeſchmolzen, an ihrer Spitze die afrikaniſchen Generale Cavaignac, Lamoricière, Bedeau. Die große Oppoſitionspartei aber wurde gebildet durch die Montagne. Dieſen parlamentariſchen Taufnamen hatte ſich die ſozial-demokratiſche Partei gegeben. Sie verfügte über mehr als 200 von den 750 Stimmen der Nationalverſammlung und war

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Zitationshilfe: Marx, Karl: Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. 2. Aufl. Hamburg, 1869, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marx_bonaparte_1869/36>, abgerufen am 26.04.2024.