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Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796.

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Von Verträgen.

Unter diesen Umständen kann eine einzige Handlung
den Beweis der stillschweigenden Einwilligung enthalten.
Er wird aber verstärkt durch öftere Wiederholung der Hand-
lung. Daß übrigens der kleinste Theil unsres Völkerrechts
auf wahrhafte stillschweigende Verträge beruhe, und daß
auch dieser mehr Verzichtleistungen oder einseitige Verbind-
lichkeiten, als gegenseitige positive Prästationen enthalte, das
kann wohl nur von denen geläugnet werden, welche still-
schweigende Verträge und Gewohnheit für einerley halten.

a) Unter Wortzeichen werden diejenigen verstanden welche dem
Herkommen nach gewissen Worten gleich gelten, z. E. das Aus-
stecken einer weissen Flagge in einem Seegefecht; dieß läßt sich
aber nicht von allen Handlungen behaupten, aus welchen unsere
Einwilligung durch eine Schlußfolge hergeleitet wird, obwohl
auch diese den Beweis unserer Gedanken enthalten, die sich ohne
Worte nicht fassen lassen.
b) Wenn z. B. das teutsche Reich Venedig beym westphälischen Frie-
den zum Vermittler angenommen, so liegt hierin eine stillschwei-
gende Anerkenntniß der Unabhängigkeit der Republik, so wie
die Unabhängigkeit der vereinigten Niederlande dadurch von Sei-
ten des Reichs bewilliget worden, daß es im R. A. von 1654
gute Nachbarschaft mit selbigen zu halten beschlossen. Beides
wirkt ein unwiderrufliches Recht für die Zukunft, da hier der
Rechtsgrundsatz: ad semel renunciata non datur regressus anwend-
bar ist. Anders sieht es hingegen aus, wenn aus einer solchen
Handlung eine bloße, wenn gleich noch so dringende, Vermu-
thung für die Zukunft erwächst. Z. E. aus der freywilligen Er-
theilung des Majestäts oder Königstitels u. s. f.
Drittes Hauptstück.
Herkommen und Analogie.
§. 59.
Begriff und Verbindlichkeit des Herkommens.

Handlungen zu welchen ein Volk sich entweder gar
nicht, oder doch nur unvollkommen durch die Vorschriften

der
E 4
Von Vertraͤgen.

Unter dieſen Umſtaͤnden kann eine einzige Handlung
den Beweis der ſtillſchweigenden Einwilligung enthalten.
Er wird aber verſtaͤrkt durch oͤftere Wiederholung der Hand-
lung. Daß uͤbrigens der kleinſte Theil unſres Voͤlkerrechts
auf wahrhafte ſtillſchweigende Vertraͤge beruhe, und daß
auch dieſer mehr Verzichtleiſtungen oder einſeitige Verbind-
lichkeiten, als gegenſeitige poſitive Praͤſtationen enthalte, das
kann wohl nur von denen gelaͤugnet werden, welche ſtill-
ſchweigende Vertraͤge und Gewohnheit fuͤr einerley halten.

a) Unter Wortzeichen werden diejenigen verſtanden welche dem
Herkommen nach gewiſſen Worten gleich gelten, z. E. das Aus-
ſtecken einer weiſſen Flagge in einem Seegefecht; dieß laͤßt ſich
aber nicht von allen Handlungen behaupten, aus welchen unſere
Einwilligung durch eine Schlußfolge hergeleitet wird, obwohl
auch dieſe den Beweis unſerer Gedanken enthalten, die ſich ohne
Worte nicht faſſen laſſen.
b) Wenn z. B. das teutſche Reich Venedig beym weſtphaͤliſchen Frie-
den zum Vermittler angenommen, ſo liegt hierin eine ſtillſchwei-
gende Anerkenntniß der Unabhaͤngigkeit der Republik, ſo wie
die Unabhaͤngigkeit der vereinigten Niederlande dadurch von Sei-
ten des Reichs bewilliget worden, daß es im R. A. von 1654
gute Nachbarſchaft mit ſelbigen zu halten beſchloſſen. Beides
wirkt ein unwiderrufliches Recht fuͤr die Zukunft, da hier der
Rechtsgrundſatz: ad ſemel renunciata non datur regreſſus anwend-
bar iſt. Anders ſieht es hingegen aus, wenn aus einer ſolchen
Handlung eine bloße, wenn gleich noch ſo dringende, Vermu-
thung fuͤr die Zukunft erwaͤchſt. Z. E. aus der freywilligen Er-
theilung des Majeſtaͤts oder Koͤnigstitels u. ſ. f.
Drittes Hauptſtuͤck.
Herkommen und Analogie.
§. 59.
Begriff und Verbindlichkeit des Herkommens.

Handlungen zu welchen ein Volk ſich entweder gar
nicht, oder doch nur unvollkommen durch die Vorſchriften

der
E 4
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[71/0099] Von Vertraͤgen. Unter dieſen Umſtaͤnden kann eine einzige Handlung den Beweis der ſtillſchweigenden Einwilligung enthalten. Er wird aber verſtaͤrkt durch oͤftere Wiederholung der Hand- lung. Daß uͤbrigens der kleinſte Theil unſres Voͤlkerrechts auf wahrhafte ſtillſchweigende Vertraͤge beruhe, und daß auch dieſer mehr Verzichtleiſtungen oder einſeitige Verbind- lichkeiten, als gegenſeitige poſitive Praͤſtationen enthalte, das kann wohl nur von denen gelaͤugnet werden, welche ſtill- ſchweigende Vertraͤge und Gewohnheit fuͤr einerley halten. a⁾ Unter Wortzeichen werden diejenigen verſtanden welche dem Herkommen nach gewiſſen Worten gleich gelten, z. E. das Aus- ſtecken einer weiſſen Flagge in einem Seegefecht; dieß laͤßt ſich aber nicht von allen Handlungen behaupten, aus welchen unſere Einwilligung durch eine Schlußfolge hergeleitet wird, obwohl auch dieſe den Beweis unſerer Gedanken enthalten, die ſich ohne Worte nicht faſſen laſſen. b⁾ Wenn z. B. das teutſche Reich Venedig beym weſtphaͤliſchen Frie- den zum Vermittler angenommen, ſo liegt hierin eine ſtillſchwei- gende Anerkenntniß der Unabhaͤngigkeit der Republik, ſo wie die Unabhaͤngigkeit der vereinigten Niederlande dadurch von Sei- ten des Reichs bewilliget worden, daß es im R. A. von 1654 gute Nachbarſchaft mit ſelbigen zu halten beſchloſſen. Beides wirkt ein unwiderrufliches Recht fuͤr die Zukunft, da hier der Rechtsgrundſatz: ad ſemel renunciata non datur regreſſus anwend- bar iſt. Anders ſieht es hingegen aus, wenn aus einer ſolchen Handlung eine bloße, wenn gleich noch ſo dringende, Vermu- thung fuͤr die Zukunft erwaͤchſt. Z. E. aus der freywilligen Er- theilung des Majeſtaͤts oder Koͤnigstitels u. ſ. f. Drittes Hauptſtuͤck. Herkommen und Analogie. §. 59. Begriff und Verbindlichkeit des Herkommens. Handlungen zu welchen ein Volk ſich entweder gar nicht, oder doch nur unvollkommen durch die Vorſchriften der E 4

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Zitationshilfe: Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/99>, abgerufen am 23.11.2024.