Wer nur einigermaßen mit unserm Völkerrecht bekannt ist, weiß daß es nicht an Puncten fehlt, über deren Abänderung oder Feststellung es sehr zu wün- schen wäre, daß die Hauptmächte in Europa sich ver- einigen könnten; daß es in dem Ceremoniel der Völ- ker manche Puncte giebt, welche ohne Noth die Ver- handlungen der Geschäfte erschweren, welche selbst dem herrschenden Geschmack unserer Zeiten nicht mehr angemessen sind, und die man zum Theil kaum von dem Vorwurf der Abgeschmacktheit zu befreyen im Stande ist; daß es auch manche andere weit wichtigere Gegenstände des Völkerrechts, sowohl in Friedens- als in Kriegszeiten giebt, die, eben weil das natürliche Recht sie nicht mit Evidenz zu ent- scheiden vermag, so lange ein beständiger Gegen- stand des Streits bleiben werden, als nicht die Völ- ker sich darüber auf eine dauerhafte Weise durch Verträge auf die eine oder die andere Art verglichen haben werden. Sofern wäre also eine Vereinigung der Völker über gewisse festgesetzte Grundsätze, über gewisse Verbesserungen in der Art ihres gegenseitigen Betragens ein reizender Gedanke, bey welchem man gern vergessen könnte, ob die erste Veranlassung dazu von Feinden oder von Freunden herrühre, sofern jene nur nicht ihre Uebermacht dazu anwenden wollen, um das als Gesetz vorzuschreiben, was, um dauer- haft bestimmt zu werden, nur das Resultat völlig fr[e]yer Berathschlagungen seyn kann.
Es läßt sich auch nicht als chimärisch ansehn, daß über diesen oder jenen einzelnen Punct des Völ- kerrechts bey Gelegenheit eines künftigen Friedens,
es
Vorbericht.
Wer nur einigermaßen mit unſerm Voͤlkerrecht bekannt iſt, weiß daß es nicht an Puncten fehlt, uͤber deren Abaͤnderung oder Feſtſtellung es ſehr zu wuͤn- ſchen waͤre, daß die Hauptmaͤchte in Europa ſich ver- einigen koͤnnten; daß es in dem Ceremoniel der Voͤl- ker manche Puncte giebt, welche ohne Noth die Ver- handlungen der Geſchaͤfte erſchweren, welche ſelbſt dem herrſchenden Geſchmack unſerer Zeiten nicht mehr angemeſſen ſind, und die man zum Theil kaum von dem Vorwurf der Abgeſchmacktheit zu befreyen im Stande iſt; daß es auch manche andere weit wichtigere Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts, ſowohl in Friedens- als in Kriegszeiten giebt, die, eben weil das natuͤrliche Recht ſie nicht mit Evidenz zu ent- ſcheiden vermag, ſo lange ein beſtaͤndiger Gegen- ſtand des Streits bleiben werden, als nicht die Voͤl- ker ſich daruͤber auf eine dauerhafte Weiſe durch Vertraͤge auf die eine oder die andere Art verglichen haben werden. Sofern waͤre alſo eine Vereinigung der Voͤlker uͤber gewiſſe feſtgeſetzte Grundſaͤtze, uͤber gewiſſe Verbeſſerungen in der Art ihres gegenſeitigen Betragens ein reizender Gedanke, bey welchem man gern vergeſſen koͤnnte, ob die erſte Veranlaſſung dazu von Feinden oder von Freunden herruͤhre, ſofern jene nur nicht ihre Uebermacht dazu anwenden wollen, um das als Geſetz vorzuſchreiben, was, um dauer- haft beſtimmt zu werden, nur das Reſultat voͤllig fr[e]yer Berathſchlagungen ſeyn kann.
Es laͤßt ſich auch nicht als chimaͤriſch anſehn, daß uͤber dieſen oder jenen einzelnen Punct des Voͤl- kerrechts bey Gelegenheit eines kuͤnftigen Friedens,
es
<TEI><text><front><divn="1"><pbfacs="#f0010"n="VI"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Vorbericht</hi>.</fw><lb/><p>Wer nur einigermaßen mit unſerm Voͤlkerrecht<lb/>
bekannt iſt, weiß daß es nicht an Puncten fehlt, uͤber<lb/>
deren Abaͤnderung oder Feſtſtellung es ſehr zu wuͤn-<lb/>ſchen waͤre, daß die Hauptmaͤchte in Europa ſich ver-<lb/>
einigen koͤnnten; daß es in dem Ceremoniel der Voͤl-<lb/>
ker manche Puncte giebt, welche ohne Noth die Ver-<lb/>
handlungen der Geſchaͤfte erſchweren, welche ſelbſt<lb/>
dem herrſchenden Geſchmack unſerer Zeiten nicht<lb/>
mehr angemeſſen ſind, und die man zum Theil kaum<lb/>
von dem Vorwurf der Abgeſchmacktheit zu befreyen<lb/>
im Stande iſt; daß es auch manche andere weit<lb/>
wichtigere Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts, ſowohl in<lb/>
Friedens- als in Kriegszeiten giebt, die, eben weil<lb/>
das natuͤrliche Recht ſie nicht mit Evidenz zu ent-<lb/>ſcheiden vermag, ſo lange ein beſtaͤndiger Gegen-<lb/>ſtand des Streits bleiben werden, als nicht die Voͤl-<lb/>
ker ſich daruͤber auf eine <choice><sic>dauerhaſte</sic><corr>dauerhafte</corr></choice> Weiſe durch<lb/>
Vertraͤge auf die eine oder die andere Art verglichen<lb/>
haben werden. Sofern waͤre alſo eine Vereinigung<lb/>
der Voͤlker uͤber gewiſſe feſtgeſetzte Grundſaͤtze, uͤber<lb/>
gewiſſe Verbeſſerungen in der Art ihres gegenſeitigen<lb/>
Betragens ein reizender Gedanke, bey welchem man<lb/>
gern vergeſſen koͤnnte, ob die erſte Veranlaſſung dazu<lb/>
von Feinden oder von Freunden herruͤhre, ſofern<lb/>
jene nur nicht ihre Uebermacht dazu anwenden wollen,<lb/>
um das als Geſetz vorzuſchreiben, was, um dauer-<lb/>
haft beſtimmt zu werden, nur das Reſultat voͤllig<lb/>
fr<supplied>e</supplied>yer Berathſchlagungen ſeyn kann.</p><lb/><p>Es laͤßt ſich auch nicht als chimaͤriſch anſehn,<lb/>
daß uͤber dieſen oder jenen einzelnen Punct des Voͤl-<lb/>
kerrechts bey Gelegenheit eines kuͤnftigen Friedens,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">es</fw><lb/></p></div></front></text></TEI>
[VI/0010]
Vorbericht.
Wer nur einigermaßen mit unſerm Voͤlkerrecht
bekannt iſt, weiß daß es nicht an Puncten fehlt, uͤber
deren Abaͤnderung oder Feſtſtellung es ſehr zu wuͤn-
ſchen waͤre, daß die Hauptmaͤchte in Europa ſich ver-
einigen koͤnnten; daß es in dem Ceremoniel der Voͤl-
ker manche Puncte giebt, welche ohne Noth die Ver-
handlungen der Geſchaͤfte erſchweren, welche ſelbſt
dem herrſchenden Geſchmack unſerer Zeiten nicht
mehr angemeſſen ſind, und die man zum Theil kaum
von dem Vorwurf der Abgeſchmacktheit zu befreyen
im Stande iſt; daß es auch manche andere weit
wichtigere Gegenſtaͤnde des Voͤlkerrechts, ſowohl in
Friedens- als in Kriegszeiten giebt, die, eben weil
das natuͤrliche Recht ſie nicht mit Evidenz zu ent-
ſcheiden vermag, ſo lange ein beſtaͤndiger Gegen-
ſtand des Streits bleiben werden, als nicht die Voͤl-
ker ſich daruͤber auf eine dauerhafte Weiſe durch
Vertraͤge auf die eine oder die andere Art verglichen
haben werden. Sofern waͤre alſo eine Vereinigung
der Voͤlker uͤber gewiſſe feſtgeſetzte Grundſaͤtze, uͤber
gewiſſe Verbeſſerungen in der Art ihres gegenſeitigen
Betragens ein reizender Gedanke, bey welchem man
gern vergeſſen koͤnnte, ob die erſte Veranlaſſung dazu
von Feinden oder von Freunden herruͤhre, ſofern
jene nur nicht ihre Uebermacht dazu anwenden wollen,
um das als Geſetz vorzuſchreiben, was, um dauer-
haft beſtimmt zu werden, nur das Reſultat voͤllig
freyer Berathſchlagungen ſeyn kann.
Es laͤßt ſich auch nicht als chimaͤriſch anſehn,
daß uͤber dieſen oder jenen einzelnen Punct des Voͤl-
kerrechts bey Gelegenheit eines kuͤnftigen Friedens,
es
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Martens, Georg Friedrich von: Einleitung in das positive Europäische Völkerrecht auf Verträge und Herkommen gegründet. Göttingen, 1796, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/martens_voelkerrecht_1796/10>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.