Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

musikalischen Jntervalle mit ihren Verhältnissen.
Quarte weg, und die in verminderte Serten umgekehrten
Verhältnisse derselben sind folglich kleiner als die übermäßige
Quinte. Deswegen sind diese Verhältnisse falsch und unnatürlich.

§. 50.

Es ist ein Grundsatz, daß verschiedne Dinge durch ver-
schiedne Zeichen vorgestellet werden müssen, und diesem
Grundsatz zu Folge geschicht es, daß z. E. nicht nur eine kleine
Terz von einer großen Terz, sondern auch eine Terz von einer
Secunde oder Quarte unterschieden wird. So wie im ersten
Falle
ein in einer gewissen Classe enthaltenes Jntervall von
jedem andern Jntervall eben derselben Classe, durch ein be-
sonders ihm von der Natur zu Theil gewordnes Verhältniß
unterschieden werden muß, so muß in dem zweyten Falle
jede Jntervallenclasse durch ihr tiefstes und höchstes Jn-
tervall von den sie umgebenden zwey benachbarten Classen un-
terschieden werden. Laßt uns sehen, ob alles dieses geschehen
würde, wenn z. E. der übermäßigen Quarte das Verhältniß
36:25, und der verminderten Quinte das Verhältniß 25:18
gegeben würde. Es ist wahr, daß die übermäßige Quarte
36:25 sowohl von der reinen Quarte 4:3 als der verminder-
ten 32:25, ingleichen daß die verminderte Quinte 25:18
sowohl von der reinen Quinte 3:2 als der übermäßigen 25:16
unterschieden seyn würde, und mit dem vorhin bemeldten er-
sten Falle hätte es also seine Richtigkeit. Aber mit dem zwey-
ten Falle würde es nicht diese Richtigkeit haben. Denn wenn
die tiefste und höchste Quarte, ingleichen die tiefste und höchste
Quinte die Gränzen der Quarten- und Quintenclasse machen,
und in unserm System solches die verminderte und übermäßige
Quarte, ingleichen die verminderte und übermäßige Quinte
sind, so findet es sich, daß, wenn der übermäßigen Quarte
das Verhältniß 36:25, und der verminderten Quinte das
Verhältniß 25:18 zugeeignet wird, die Quarte ins Gebiet
der Quintenclasse, und die Quinte ins Gebiet der Quarten-
classe übergeht. Denn das Verhältniß der verminderten Quinte
25:18 ist kleiner oder enger als das Verhältniß der übermäßi-
gen Quarte 36:25, und die verminderte Quinte soll gleich-
wohl größer oder weiter als die übermäßige Quarte seyn.

Die

muſikaliſchen Jntervalle mit ihren Verhaͤltniſſen.
Quarte weg, und die in verminderte Serten umgekehrten
Verhaͤltniſſe derſelben ſind folglich kleiner als die uͤbermaͤßige
Quinte. Deswegen ſind dieſe Verhaͤltniſſe falſch und unnatuͤrlich.

§. 50.

Es iſt ein Grundſatz, daß verſchiedne Dinge durch ver-
ſchiedne Zeichen vorgeſtellet werden muͤſſen, und dieſem
Grundſatz zu Folge geſchicht es, daß z. E. nicht nur eine kleine
Terz von einer großen Terz, ſondern auch eine Terz von einer
Secunde oder Quarte unterſchieden wird. So wie im erſten
Falle
ein in einer gewiſſen Claſſe enthaltenes Jntervall von
jedem andern Jntervall eben derſelben Claſſe, durch ein be-
ſonders ihm von der Natur zu Theil gewordnes Verhaͤltniß
unterſchieden werden muß, ſo muß in dem zweyten Falle
jede Jntervallenclaſſe durch ihr tiefſtes und hoͤchſtes Jn-
tervall von den ſie umgebenden zwey benachbarten Claſſen un-
terſchieden werden. Laßt uns ſehen, ob alles dieſes geſchehen
wuͤrde, wenn z. E. der uͤbermaͤßigen Quarte das Verhaͤltniß
36:25, und der verminderten Quinte das Verhaͤltniß 25:18
gegeben wuͤrde. Es iſt wahr, daß die uͤbermaͤßige Quarte
36:25 ſowohl von der reinen Quarte 4:3 als der verminder-
ten 32:25, ingleichen daß die verminderte Quinte 25:18
ſowohl von der reinen Quinte 3:2 als der uͤbermaͤßigen 25:16
unterſchieden ſeyn wuͤrde, und mit dem vorhin bemeldten er-
ſten Falle haͤtte es alſo ſeine Richtigkeit. Aber mit dem zwey-
ten Falle wuͤrde es nicht dieſe Richtigkeit haben. Denn wenn
die tiefſte und hoͤchſte Quarte, ingleichen die tiefſte und hoͤchſte
Quinte die Graͤnzen der Quarten- und Quintenclaſſe machen,
und in unſerm Syſtem ſolches die verminderte und uͤbermaͤßige
Quarte, ingleichen die verminderte und uͤbermaͤßige Quinte
ſind, ſo findet es ſich, daß, wenn der uͤbermaͤßigen Quarte
das Verhaͤltniß 36:25, und der verminderten Quinte das
Verhaͤltniß 25:18 zugeeignet wird, die Quarte ins Gebiet
der Quintenclaſſe, und die Quinte ins Gebiet der Quarten-
claſſe uͤbergeht. Denn das Verhaͤltniß der verminderten Quinte
25:18 iſt kleiner oder enger als das Verhaͤltniß der uͤbermaͤßi-
gen Quarte 36:25, und die verminderte Quinte ſoll gleich-
wohl groͤßer oder weiter als die uͤbermaͤßige Quarte ſeyn.

Die
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0065" n="45"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">mu&#x017F;ikali&#x017F;chen Jntervalle mit ihren Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en.</hi></fw><lb/>
Quarte weg, und die in <hi rendition="#fr">verminderte Serten</hi> umgekehrten<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben &#x017F;ind folglich kleiner als die u&#x0364;berma&#x0364;ßige<lb/>
Quinte. Deswegen &#x017F;ind die&#x017F;e Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e fal&#x017F;ch und unnatu&#x0364;rlich.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 50.</head><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ein Grund&#x017F;atz, daß ver&#x017F;chiedne Dinge durch ver-<lb/>
&#x017F;chiedne Zeichen vorge&#x017F;tellet werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, und die&#x017F;em<lb/>
Grund&#x017F;atz zu Folge ge&#x017F;chicht es, daß z. E. nicht nur eine kleine<lb/>
Terz von einer großen Terz, &#x017F;ondern auch eine Terz von einer<lb/>
Secunde oder Quarte unter&#x017F;chieden wird. So wie <hi rendition="#fr">im er&#x017F;ten<lb/>
Falle</hi> ein in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Cla&#x017F;&#x017F;e enthaltenes Jntervall von<lb/>
jedem andern Jntervall eben der&#x017F;elben Cla&#x017F;&#x017F;e, durch ein be-<lb/>
&#x017F;onders ihm von der Natur zu Theil gewordnes Verha&#x0364;ltniß<lb/>
unter&#x017F;chieden werden muß, &#x017F;o muß <hi rendition="#fr">in dem zweyten Falle</hi><lb/>
jede Jntervallencla&#x017F;&#x017F;e durch ihr tief&#x017F;tes und ho&#x0364;ch&#x017F;tes Jn-<lb/>
tervall von den &#x017F;ie umgebenden zwey benachbarten Cla&#x017F;&#x017F;en un-<lb/>
ter&#x017F;chieden werden. Laßt uns &#x017F;ehen, ob alles die&#x017F;es ge&#x017F;chehen<lb/>
wu&#x0364;rde, wenn z. E. der u&#x0364;berma&#x0364;ßigen Quarte das Verha&#x0364;ltniß<lb/>
36:25, und der verminderten Quinte das Verha&#x0364;ltniß 25:18<lb/>
gegeben wu&#x0364;rde. Es i&#x017F;t wahr, daß die u&#x0364;berma&#x0364;ßige Quarte<lb/>
36:25 &#x017F;owohl von der reinen Quarte 4:3 als der verminder-<lb/>
ten 32:25, ingleichen daß die verminderte Quinte 25:18<lb/>
&#x017F;owohl von der reinen Quinte 3:2 als der u&#x0364;berma&#x0364;ßigen 25:16<lb/>
unter&#x017F;chieden &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, und mit dem vorhin bemeldten er-<lb/>
&#x017F;ten Falle ha&#x0364;tte es al&#x017F;o &#x017F;eine Richtigkeit. Aber mit dem zwey-<lb/>
ten Falle wu&#x0364;rde es nicht die&#x017F;e Richtigkeit haben. Denn wenn<lb/>
die tief&#x017F;te und ho&#x0364;ch&#x017F;te Quarte, ingleichen die tief&#x017F;te und ho&#x0364;ch&#x017F;te<lb/>
Quinte die Gra&#x0364;nzen der Quarten- und Quintencla&#x017F;&#x017F;e machen,<lb/>
und in un&#x017F;erm Sy&#x017F;tem &#x017F;olches die verminderte und u&#x0364;berma&#x0364;ßige<lb/>
Quarte, ingleichen die verminderte und u&#x0364;berma&#x0364;ßige Quinte<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;o findet es &#x017F;ich, daß, wenn der u&#x0364;berma&#x0364;ßigen Quarte<lb/>
das Verha&#x0364;ltniß 36:25, und der verminderten Quinte das<lb/>
Verha&#x0364;ltniß 25:18 zugeeignet wird, die Quarte ins Gebiet<lb/>
der Quintencla&#x017F;&#x017F;e, und die Quinte ins Gebiet der Quarten-<lb/>
cla&#x017F;&#x017F;e u&#x0364;bergeht. Denn das Verha&#x0364;ltniß der verminderten Quinte<lb/>
25:18 i&#x017F;t kleiner oder enger als das Verha&#x0364;ltniß der u&#x0364;berma&#x0364;ßi-<lb/>
gen Quarte 36:25, und die verminderte Quinte &#x017F;oll gleich-<lb/>
wohl gro&#x0364;ßer oder weiter als die u&#x0364;berma&#x0364;ßige Quarte &#x017F;eyn.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0065] muſikaliſchen Jntervalle mit ihren Verhaͤltniſſen. Quarte weg, und die in verminderte Serten umgekehrten Verhaͤltniſſe derſelben ſind folglich kleiner als die uͤbermaͤßige Quinte. Deswegen ſind dieſe Verhaͤltniſſe falſch und unnatuͤrlich. §. 50. Es iſt ein Grundſatz, daß verſchiedne Dinge durch ver- ſchiedne Zeichen vorgeſtellet werden muͤſſen, und dieſem Grundſatz zu Folge geſchicht es, daß z. E. nicht nur eine kleine Terz von einer großen Terz, ſondern auch eine Terz von einer Secunde oder Quarte unterſchieden wird. So wie im erſten Falle ein in einer gewiſſen Claſſe enthaltenes Jntervall von jedem andern Jntervall eben derſelben Claſſe, durch ein be- ſonders ihm von der Natur zu Theil gewordnes Verhaͤltniß unterſchieden werden muß, ſo muß in dem zweyten Falle jede Jntervallenclaſſe durch ihr tiefſtes und hoͤchſtes Jn- tervall von den ſie umgebenden zwey benachbarten Claſſen un- terſchieden werden. Laßt uns ſehen, ob alles dieſes geſchehen wuͤrde, wenn z. E. der uͤbermaͤßigen Quarte das Verhaͤltniß 36:25, und der verminderten Quinte das Verhaͤltniß 25:18 gegeben wuͤrde. Es iſt wahr, daß die uͤbermaͤßige Quarte 36:25 ſowohl von der reinen Quarte 4:3 als der verminder- ten 32:25, ingleichen daß die verminderte Quinte 25:18 ſowohl von der reinen Quinte 3:2 als der uͤbermaͤßigen 25:16 unterſchieden ſeyn wuͤrde, und mit dem vorhin bemeldten er- ſten Falle haͤtte es alſo ſeine Richtigkeit. Aber mit dem zwey- ten Falle wuͤrde es nicht dieſe Richtigkeit haben. Denn wenn die tiefſte und hoͤchſte Quarte, ingleichen die tiefſte und hoͤchſte Quinte die Graͤnzen der Quarten- und Quintenclaſſe machen, und in unſerm Syſtem ſolches die verminderte und uͤbermaͤßige Quarte, ingleichen die verminderte und uͤbermaͤßige Quinte ſind, ſo findet es ſich, daß, wenn der uͤbermaͤßigen Quarte das Verhaͤltniß 36:25, und der verminderten Quinte das Verhaͤltniß 25:18 zugeeignet wird, die Quarte ins Gebiet der Quintenclaſſe, und die Quinte ins Gebiet der Quarten- claſſe uͤbergeht. Denn das Verhaͤltniß der verminderten Quinte 25:18 iſt kleiner oder enger als das Verhaͤltniß der uͤbermaͤßi- gen Quarte 36:25, und die verminderte Quinte ſoll gleich- wohl groͤßer oder weiter als die uͤbermaͤßige Quarte ſeyn. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/65
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/65>, abgerufen am 05.05.2024.