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Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

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Anhang etc. Achter Abschnitt. Erste Fortsetzung etc.
Kunst etc. einen Canon vorzusetzen, so würden die horazischen
Worte dazu vortreflich gewesen seyn:

-- -- -- Nil fuit vmquam
Sic impar sibi.
§. 327.

Grundsätze etc. Seite 17, §. 10. "Es ist vorher gesa-
"get worden, daß die Resolution der zufälligen Dissonanzen am
"natürlichsten auf eben demselben Baßton geschehe. Sie kann
"aber auch erst auf einer folgenden Harmonie geschehen. Da-
"durch erhalten sie das Ansehen, als ob sie wesentlich wären,
"z. E. wie bey Fig. 121 und 122."

Anmerkung. Der Hr. Verfasser scheinet die Unrichtig-
keit seiner Begriffe von wesentlichen und zufälligen Dissonan-
zen zu empfinden, und bemühet sich, einem Theile der von
ihm so genannten zufälligen Dissonanzen wenigstens das An-
sehen von wesentlichen zu geben, da er das was, einmal ge-
schrieben worden, nicht so plötzlich zurücknehmen, und die we-
sentlichen Dissonanzen in integrum herstellen kann. Wir ha-
ben also zur Zeit dreyerley Arten von Kirnbergerschen Disso-
nanzen, als 1) zufällige, welche auf eben derselben Baßnote
ihre Resolution erhalten; 2) wesentliche, welche auf der ver-
änderten Baßnote aufgelöset werden, und 3) zufällig-wesent-
liche,
welche -- -- welche vermuthlich auf eben derselben Baß-
note ihre Resolution erhalten sollten, solche aber erst auf dem
folgenden Baßton erhalten. Es fehlen nicht mehr als wesent-
lich-zufällige Dissonanzen,
welche -- erst auf der folgen-
den Baßnote resolviret werden sollten, und diese Handlung
bereits auf eben derselben liegenbleibenden Baßnote verrichten.
Ein denkender Musiker, welchem diese auf die Art der Auflö-
sung gegründete Unterscheidungszeichen der Kirnbergerschen
zufälligen und wesentlichen Dissonanzen etwas undeutlich sind,
wird wissen wollen, warum diese oder jene Dissonanz entwe-
der schon bey liegenbleibendem oder erst bey verändertem Baße
aufgelöset werden soll, und woran man diese Art von Disso-
nanzen an sich erkennet, ohne Rücksicht auf dasjenige zu neh-
men, was der Componist gethan hat? Jch verhoffe, daß der
Hr. Kirnberger diesem Begehren genugthun wird.

Neun-

Anhang ꝛc. Achter Abſchnitt. Erſte Fortſetzung ꝛc.
Kunſt ꝛc. einen Canon vorzuſetzen, ſo wuͤrden die horaziſchen
Worte dazu vortreflich geweſen ſeyn:

— — — Nil fuit vmquam
Sic impar ſibi.
§. 327.

Grundſaͤtze ꝛc. Seite 17, §. 10. „Es iſt vorher geſa-
„get worden, daß die Reſolution der zufaͤlligen Diſſonanzen am
„natuͤrlichſten auf eben demſelben Baßton geſchehe. Sie kann
„aber auch erſt auf einer folgenden Harmonie geſchehen. Da-
„durch erhalten ſie das Anſehen, als ob ſie weſentlich waͤren,
„z. E. wie bey Fig. 121 und 122.‟

Anmerkung. Der Hr. Verfaſſer ſcheinet die Unrichtig-
keit ſeiner Begriffe von weſentlichen und zufaͤlligen Diſſonan-
zen zu empfinden, und bemuͤhet ſich, einem Theile der von
ihm ſo genannten zufaͤlligen Diſſonanzen wenigſtens das An-
ſehen von weſentlichen zu geben, da er das was, einmal ge-
ſchrieben worden, nicht ſo ploͤtzlich zuruͤcknehmen, und die we-
ſentlichen Diſſonanzen in integrum herſtellen kann. Wir ha-
ben alſo zur Zeit dreyerley Arten von Kirnbergerſchen Diſſo-
nanzen, als 1) zufaͤllige, welche auf eben derſelben Baßnote
ihre Reſolution erhalten; 2) weſentliche, welche auf der ver-
aͤnderten Baßnote aufgeloͤſet werden, und 3) zufaͤllig-weſent-
liche,
welche — — welche vermuthlich auf eben derſelben Baß-
note ihre Reſolution erhalten ſollten, ſolche aber erſt auf dem
folgenden Baßton erhalten. Es fehlen nicht mehr als weſent-
lich-zufaͤllige Diſſonanzen,
welche — erſt auf der folgen-
den Baßnote reſolviret werden ſollten, und dieſe Handlung
bereits auf eben derſelben liegenbleibenden Baßnote verrichten.
Ein denkender Muſiker, welchem dieſe auf die Art der Aufloͤ-
ſung gegruͤndete Unterſcheidungszeichen der Kirnbergerſchen
zufaͤlligen und weſentlichen Diſſonanzen etwas undeutlich ſind,
wird wiſſen wollen, warum dieſe oder jene Diſſonanz entwe-
der ſchon bey liegenbleibendem oder erſt bey veraͤndertem Baße
aufgeloͤſet werden ſoll, und woran man dieſe Art von Diſſo-
nanzen an ſich erkennet, ohne Ruͤckſicht auf dasjenige zu neh-
men, was der Componiſt gethan hat? Jch verhoffe, daß der
Hr. Kirnberger dieſem Begehren genugthun wird.

Neun-
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[306/0326] Anhang ꝛc. Achter Abſchnitt. Erſte Fortſetzung ꝛc. Kunſt ꝛc. einen Canon vorzuſetzen, ſo wuͤrden die horaziſchen Worte dazu vortreflich geweſen ſeyn: — — — Nil fuit vmquam Sic impar ſibi. §. 327. Grundſaͤtze ꝛc. Seite 17, §. 10. „Es iſt vorher geſa- „get worden, daß die Reſolution der zufaͤlligen Diſſonanzen am „natuͤrlichſten auf eben demſelben Baßton geſchehe. Sie kann „aber auch erſt auf einer folgenden Harmonie geſchehen. Da- „durch erhalten ſie das Anſehen, als ob ſie weſentlich waͤren, „z. E. wie bey Fig. 121 und 122.‟ Anmerkung. Der Hr. Verfaſſer ſcheinet die Unrichtig- keit ſeiner Begriffe von weſentlichen und zufaͤlligen Diſſonan- zen zu empfinden, und bemuͤhet ſich, einem Theile der von ihm ſo genannten zufaͤlligen Diſſonanzen wenigſtens das An- ſehen von weſentlichen zu geben, da er das was, einmal ge- ſchrieben worden, nicht ſo ploͤtzlich zuruͤcknehmen, und die we- ſentlichen Diſſonanzen in integrum herſtellen kann. Wir ha- ben alſo zur Zeit dreyerley Arten von Kirnbergerſchen Diſſo- nanzen, als 1) zufaͤllige, welche auf eben derſelben Baßnote ihre Reſolution erhalten; 2) weſentliche, welche auf der ver- aͤnderten Baßnote aufgeloͤſet werden, und 3) zufaͤllig-weſent- liche, welche — — welche vermuthlich auf eben derſelben Baß- note ihre Reſolution erhalten ſollten, ſolche aber erſt auf dem folgenden Baßton erhalten. Es fehlen nicht mehr als weſent- lich-zufaͤllige Diſſonanzen, welche — erſt auf der folgen- den Baßnote reſolviret werden ſollten, und dieſe Handlung bereits auf eben derſelben liegenbleibenden Baßnote verrichten. Ein denkender Muſiker, welchem dieſe auf die Art der Aufloͤ- ſung gegruͤndete Unterſcheidungszeichen der Kirnbergerſchen zufaͤlligen und weſentlichen Diſſonanzen etwas undeutlich ſind, wird wiſſen wollen, warum dieſe oder jene Diſſonanz entwe- der ſchon bey liegenbleibendem oder erſt bey veraͤndertem Baße aufgeloͤſet werden ſoll, und woran man dieſe Art von Diſſo- nanzen an ſich erkennet, ohne Ruͤckſicht auf dasjenige zu neh- men, was der Componiſt gethan hat? Jch verhoffe, daß der Hr. Kirnberger dieſem Begehren genugthun wird. Neun-

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Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/326>, abgerufen am 25.11.2024.