Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

über die Kirnberg. Grundsätze der Harmonie etc.
den Rameau ist so etwas nicht gelehret worden. Mich wundert,
wie alles dieses dem gelehrten Auctor der Theorie so einleuch-
tend hat seyn können. Jch verstehe kein Wort davon. Jn-
dessen deucht mir, daß die Septimen in allen Fällen die Har-
monie des Dreyklangs auf gleiche Art zerstören, sie mögen in
den Dreyklang kommen wie sie wollen. Die Art thut nichts
zur Sache. Jst es mit der Zerstörung des Dreyklangs g h d
bey dem Septimenaccord g h d f von Fig. 107. anders zuge-
gangen, als bey Fig. 108? Klinget hier der Septimenaccord
anders als dort?

§. 321.

Seite 13, §. 7. "Die wesentliche Dissonanz kann sowohl
"auf einem guten als schlechten, die zufällige aber nur auf
"einem guten Taetglied allein vorkommen."

Anmerkung. Man muß hier allezeit die Kirnberger-
schen
wesentlichen und zufälligen Dissonanzen verstehen. Son-
sten heißt es: daß die Septimenaccorde sowohl auf einem gu-
ten als schlechten Tactheile, die den Umfang der Octave über-
steigenden zusammengesetzten Accorde aber nur auf einem gu-
ten Tacttheil, überhaupt gesprochen, gebrauchet werden
können.

§. 322.

Seite 13, §. 8. "Aus dem vorhergehenden erhellet, daß
"alle Jntervalle, auch die ursprünglich consonirend sind, zu-
"fällige Dissonanzen werden können, wenn sie Vorhalte vor
"den zum Grundaccord erforderlichen Tönen sind. Daher
"sind auch zweyerley Quartsextenaccorde, nemlich der conso-
"nirende, welcher die zweyte Verwechselung des Dreyklangs
"ist, und der dissonirende, wo die Sexte ein Vorhalt vor der
"Quinte, und die Quarte ein Vorhalt vor der Terz ist, die
"daher wegen der verschiednen Grundharmonie und der dar-
"aus entstehenden verschiednen Behandlung wohl von einan-
"der zu unterscheiden sind."

Anmerkung. Wenn in dem Sextquintenaccord f d a c
oder f a c d, die Quinte f von c dissoniret, so geschicht solches,
weil der Ton c gegen d eine Septime oder Secunde macher,
nachdem der Stand ist, und bey der Umkehrung des Septi-

men-
T 4

uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze der Harmonie ꝛc.
den Rameau iſt ſo etwas nicht gelehret worden. Mich wundert,
wie alles dieſes dem gelehrten Auctor der Theorie ſo einleuch-
tend hat ſeyn koͤnnen. Jch verſtehe kein Wort davon. Jn-
deſſen deucht mir, daß die Septimen in allen Faͤllen die Har-
monie des Dreyklangs auf gleiche Art zerſtoͤren, ſie moͤgen in
den Dreyklang kommen wie ſie wollen. Die Art thut nichts
zur Sache. Jſt es mit der Zerſtoͤrung des Dreyklangs g h d
bey dem Septimenaccord g h d f von Fig. 107. anders zuge-
gangen, als bey Fig. 108? Klinget hier der Septimenaccord
anders als dort?

§. 321.

Seite 13, §. 7. „Die weſentliche Diſſonanz kann ſowohl
„auf einem guten als ſchlechten, die zufaͤllige aber nur auf
„einem guten Taetglied allein vorkommen.“

Anmerkung. Man muß hier allezeit die Kirnberger-
ſchen
weſentlichen und zufaͤlligen Diſſonanzen verſtehen. Son-
ſten heißt es: daß die Septimenaccorde ſowohl auf einem gu-
ten als ſchlechten Tactheile, die den Umfang der Octave uͤber-
ſteigenden zuſammengeſetzten Accorde aber nur auf einem gu-
ten Tacttheil, uͤberhaupt geſprochen, gebrauchet werden
koͤnnen.

§. 322.

Seite 13, §. 8. „Aus dem vorhergehenden erhellet, daß
„alle Jntervalle, auch die urſpruͤnglich conſonirend ſind, zu-
„faͤllige Diſſonanzen werden koͤnnen, wenn ſie Vorhalte vor
„den zum Grundaccord erforderlichen Toͤnen ſind. Daher
„ſind auch zweyerley Quartſextenaccorde, nemlich der conſo-
„nirende, welcher die zweyte Verwechſelung des Dreyklangs
„iſt, und der diſſonirende, wo die Sexte ein Vorhalt vor der
„Quinte, und die Quarte ein Vorhalt vor der Terz iſt, die
„daher wegen der verſchiednen Grundharmonie und der dar-
„aus entſtehenden verſchiednen Behandlung wohl von einan-
„der zu unterſcheiden ſind.“

Anmerkung. Wenn in dem Sextquintenaccord f d a c
oder f a c d, die Quinte f von c diſſoniret, ſo geſchicht ſolches,
weil der Ton c gegen d eine Septime oder Secunde macher,
nachdem der Stand iſt, und bey der Umkehrung des Septi-

men-
T 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0315" n="295"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber die Kirnberg. Grund&#x017F;a&#x0364;tze der Harmonie &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
den Rameau i&#x017F;t &#x017F;o etwas nicht gelehret worden. Mich wundert,<lb/>
wie alles die&#x017F;es dem gelehrten Auctor der <hi rendition="#fr">Theorie</hi> &#x017F;o einleuch-<lb/>
tend hat &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Jch ver&#x017F;tehe kein Wort davon. Jn-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en deucht mir, daß die Septimen in allen Fa&#x0364;llen die Har-<lb/>
monie des Dreyklangs auf gleiche Art zer&#x017F;to&#x0364;ren, &#x017F;ie mo&#x0364;gen in<lb/>
den Dreyklang kommen wie &#x017F;ie wollen. Die Art thut nichts<lb/>
zur Sache. J&#x017F;t es mit der Zer&#x017F;to&#x0364;rung des Dreyklangs <hi rendition="#aq">g h d</hi><lb/>
bey dem Septimenaccord <hi rendition="#aq">g h d f</hi> von Fig. 107. anders zuge-<lb/>
gangen, als bey Fig. 108? Klinget hier der Septimenaccord<lb/>
anders als dort?</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 321.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Seite</hi> 13, §. 7. &#x201E;Die we&#x017F;entliche Di&#x017F;&#x017F;onanz kann &#x017F;owohl<lb/>
&#x201E;auf einem guten als &#x017F;chlechten, die zufa&#x0364;llige aber nur auf<lb/>
&#x201E;einem guten Taetglied allein vorkommen.&#x201C;</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Anmerkung.</hi> Man muß hier allezeit die <hi rendition="#fr">Kirnberger-<lb/>
&#x017F;chen</hi> we&#x017F;entlichen und zufa&#x0364;lligen Di&#x017F;&#x017F;onanzen ver&#x017F;tehen. Son-<lb/>
&#x017F;ten heißt es: daß die Septimenaccorde &#x017F;owohl auf einem gu-<lb/>
ten als &#x017F;chlechten Tactheile, die den Umfang der Octave u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;teigenden zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzten Accorde aber nur auf einem gu-<lb/>
ten Tacttheil, <hi rendition="#fr">u&#x0364;berhaupt ge&#x017F;prochen,</hi> gebrauchet werden<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 322.</head><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Seite</hi> 13, §. 8. &#x201E;Aus dem vorhergehenden erhellet, daß<lb/>
&#x201E;alle Jntervalle, auch die ur&#x017F;pru&#x0364;nglich con&#x017F;onirend &#x017F;ind, zu-<lb/>
&#x201E;fa&#x0364;llige Di&#x017F;&#x017F;onanzen werden ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie Vorhalte vor<lb/>
&#x201E;den zum Grundaccord erforderlichen To&#x0364;nen &#x017F;ind. Daher<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind auch zweyerley Quart&#x017F;extenaccorde, nemlich der con&#x017F;o-<lb/>
&#x201E;nirende, welcher die zweyte Verwech&#x017F;elung des Dreyklangs<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t, und der di&#x017F;&#x017F;onirende, wo die Sexte ein Vorhalt vor der<lb/>
&#x201E;Quinte, und die Quarte ein Vorhalt vor der Terz i&#x017F;t, die<lb/>
&#x201E;daher wegen der ver&#x017F;chiednen Grundharmonie und der dar-<lb/>
&#x201E;aus ent&#x017F;tehenden ver&#x017F;chiednen Behandlung wohl von einan-<lb/>
&#x201E;der zu unter&#x017F;cheiden &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
              <p><hi rendition="#fr">Anmerkung.</hi> Wenn in dem Sextquintenaccord <hi rendition="#aq">f d a c</hi><lb/>
oder <hi rendition="#aq">f a c d,</hi> die Quinte <hi rendition="#aq">f</hi> von <hi rendition="#aq">c</hi> di&#x017F;&#x017F;oniret, &#x017F;o ge&#x017F;chicht &#x017F;olches,<lb/>
weil der Ton <hi rendition="#aq">c</hi> gegen <hi rendition="#aq">d</hi> eine Septime oder Secunde macher,<lb/>
nachdem der Stand i&#x017F;t, und bey der Umkehrung des Septi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 4</fw><fw place="bottom" type="catch">men-</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[295/0315] uͤber die Kirnberg. Grundſaͤtze der Harmonie ꝛc. den Rameau iſt ſo etwas nicht gelehret worden. Mich wundert, wie alles dieſes dem gelehrten Auctor der Theorie ſo einleuch- tend hat ſeyn koͤnnen. Jch verſtehe kein Wort davon. Jn- deſſen deucht mir, daß die Septimen in allen Faͤllen die Har- monie des Dreyklangs auf gleiche Art zerſtoͤren, ſie moͤgen in den Dreyklang kommen wie ſie wollen. Die Art thut nichts zur Sache. Jſt es mit der Zerſtoͤrung des Dreyklangs g h d bey dem Septimenaccord g h d f von Fig. 107. anders zuge- gangen, als bey Fig. 108? Klinget hier der Septimenaccord anders als dort? §. 321. Seite 13, §. 7. „Die weſentliche Diſſonanz kann ſowohl „auf einem guten als ſchlechten, die zufaͤllige aber nur auf „einem guten Taetglied allein vorkommen.“ Anmerkung. Man muß hier allezeit die Kirnberger- ſchen weſentlichen und zufaͤlligen Diſſonanzen verſtehen. Son- ſten heißt es: daß die Septimenaccorde ſowohl auf einem gu- ten als ſchlechten Tactheile, die den Umfang der Octave uͤber- ſteigenden zuſammengeſetzten Accorde aber nur auf einem gu- ten Tacttheil, uͤberhaupt geſprochen, gebrauchet werden koͤnnen. §. 322. Seite 13, §. 8. „Aus dem vorhergehenden erhellet, daß „alle Jntervalle, auch die urſpruͤnglich conſonirend ſind, zu- „faͤllige Diſſonanzen werden koͤnnen, wenn ſie Vorhalte vor „den zum Grundaccord erforderlichen Toͤnen ſind. Daher „ſind auch zweyerley Quartſextenaccorde, nemlich der conſo- „nirende, welcher die zweyte Verwechſelung des Dreyklangs „iſt, und der diſſonirende, wo die Sexte ein Vorhalt vor der „Quinte, und die Quarte ein Vorhalt vor der Terz iſt, die „daher wegen der verſchiednen Grundharmonie und der dar- „aus entſtehenden verſchiednen Behandlung wohl von einan- „der zu unterſcheiden ſind.“ Anmerkung. Wenn in dem Sextquintenaccord f d a c oder f a c d, die Quinte f von c diſſoniret, ſo geſchicht ſolches, weil der Ton c gegen d eine Septime oder Secunde macher, nachdem der Stand iſt, und bey der Umkehrung des Septi- men- T 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/315
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/315>, abgerufen am 24.11.2024.