Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

ohne Zuziehung eines Monochords auf das etc.
ten und Terzen vermischet werden, und deswegen nicht gut seyn
können. Es ist also ein Problem, ohne den Gebrauch des
Monochords, dem Clavier eine gleichschwebende Temperatur
aufs vollkommenste mitzutheilen. -- Dieses Problem ist vor
sehr weniger Zeit von dem illüstren Lambert aufgelöset wor-
den, und die Musik kann stolz auf diese Entdeckung seyn. Die
Methode ist simpel, indem man nichts mehr als reine Octa-
ven, reine Quinten und reine große Terzen zu hören brauchet,
und diese Eigenschaft muß ein jeder haben, der das Stimmen
zu seinem Geschäft machet, indem er ohne selbige in allen Fäl-
len ein Monochord brauchen müßte, und es ist annoch die
Frage: ob, wenn sein Ohr keine reine Consonanzen zu empfin-
den im Stande ist, ihm das Monochord etwas nutzen würde?
Jch übergehe, daß das Monochord selbst durch das auf ver-
schiedne Art wiederholte Untersetzen verstimmet werden kann,
und also beständig probiret werden muß, ob es mit dem zum
Grunde gelegten Ton annoch überein trift oder nicht. Wenn
sich endlich in Ansehung des vorigen Umstandes bey allen Cla-
vierinstrumenten überhaupt die Lambertsche Stimmungs-
methode
besser als das Monochord wird gebrauchen lassen, so
wird solche annoch besonders bey der Orgel deßwegen mit Vor-
theil zu gebrauchen seyn, weil sich, nach der Bemerkung des Hrn.
Adlung, eine. Orgelpfeiffe nicht bequem nach einer Seyte
stimmen lässet; eine Bemerkung, woraus sich der Umstand
erklären lässet, warum dem berühmten Neidhardt die von
selbigem bey der Stadtorgel zu Jena unternommne gleichschwe-
bende Temperatur nicht glücken wollen. Da diese Art von
Temperatur nunmehr mit mehrer Sicherheit als jemals zu er-
halten ist, so wünschte ich, daß ein geschickter Orgelmacher
eine bequeme Stimmmaschine aus Pfeiffen für selbige erfände,
und für Liebhaber fertig hielte. Es verstehet sich, daß dieser
Tredekaulos nicht mit dem Munde, sondern durch einen
Balg angeblasen werden müßte, dessen Gewicht beständig
einerley wäre.

§. 163.

Ehe ich den Proceß der Lambertschen Stimmung darlege,
wollen wir uns mit dem Grundsatz derselben bekannt machen.
Es bestehet aber dieser Grundsatz darinnen, daß das Pro-

duct
J 5

ohne Zuziehung eines Monochords auf das ꝛc.
ten und Terzen vermiſchet werden, und deswegen nicht gut ſeyn
koͤnnen. Es iſt alſo ein Problem, ohne den Gebrauch des
Monochords, dem Clavier eine gleichſchwebende Temperatur
aufs vollkommenſte mitzutheilen. — Dieſes Problem iſt vor
ſehr weniger Zeit von dem illuͤſtren Lambert aufgeloͤſet wor-
den, und die Muſik kann ſtolz auf dieſe Entdeckung ſeyn. Die
Methode iſt ſimpel, indem man nichts mehr als reine Octa-
ven, reine Quinten und reine große Terzen zu hoͤren brauchet,
und dieſe Eigenſchaft muß ein jeder haben, der das Stimmen
zu ſeinem Geſchaͤft machet, indem er ohne ſelbige in allen Faͤl-
len ein Monochord brauchen muͤßte, und es iſt annoch die
Frage: ob, wenn ſein Ohr keine reine Conſonanzen zu empfin-
den im Stande iſt, ihm das Monochord etwas nutzen wuͤrde?
Jch uͤbergehe, daß das Monochord ſelbſt durch das auf ver-
ſchiedne Art wiederholte Unterſetzen verſtimmet werden kann,
und alſo beſtaͤndig probiret werden muß, ob es mit dem zum
Grunde gelegten Ton annoch uͤberein trift oder nicht. Wenn
ſich endlich in Anſehung des vorigen Umſtandes bey allen Cla-
vierinſtrumenten uͤberhaupt die Lambertſche Stimmungs-
methode
beſſer als das Monochord wird gebrauchen laſſen, ſo
wird ſolche annoch beſonders bey der Orgel deßwegen mit Vor-
theil zu gebrauchen ſeyn, weil ſich, nach der Bemerkung des Hrn.
Adlung, eine. Orgelpfeiffe nicht bequem nach einer Seyte
ſtimmen laͤſſet; eine Bemerkung, woraus ſich der Umſtand
erklaͤren laͤſſet, warum dem beruͤhmten Neidhardt die von
ſelbigem bey der Stadtorgel zu Jena unternommne gleichſchwe-
bende Temperatur nicht gluͤcken wollen. Da dieſe Art von
Temperatur nunmehr mit mehrer Sicherheit als jemals zu er-
halten iſt, ſo wuͤnſchte ich, daß ein geſchickter Orgelmacher
eine bequeme Stimmmaſchine aus Pfeiffen fuͤr ſelbige erfaͤnde,
und fuͤr Liebhaber fertig hielte. Es verſtehet ſich, daß dieſer
Tredekaulos nicht mit dem Munde, ſondern durch einen
Balg angeblaſen werden muͤßte, deſſen Gewicht beſtaͤndig
einerley waͤre.

§. 163.

Ehe ich den Proceß der Lambertſchen Stimmung darlege,
wollen wir uns mit dem Grundſatz derſelben bekannt machen.
Es beſtehet aber dieſer Grundſatz darinnen, daß das Pro-

duct
J 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0157" n="137"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">ohne Zuziehung eines Monochords auf das &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
ten und Terzen vermi&#x017F;chet werden, und deswegen nicht gut &#x017F;eyn<lb/>
ko&#x0364;nnen. Es i&#x017F;t al&#x017F;o ein Problem, ohne den Gebrauch des<lb/>
Monochords, dem Clavier eine gleich&#x017F;chwebende Temperatur<lb/>
aufs vollkommen&#x017F;te mitzutheilen. &#x2014; Die&#x017F;es Problem i&#x017F;t vor<lb/>
&#x017F;ehr weniger Zeit von dem illu&#x0364;&#x017F;tren <hi rendition="#fr">Lambert</hi> aufgelo&#x0364;&#x017F;et wor-<lb/>
den, und die Mu&#x017F;ik kann &#x017F;tolz auf die&#x017F;e Entdeckung &#x017F;eyn. Die<lb/>
Methode i&#x017F;t &#x017F;impel, indem man nichts mehr als reine Octa-<lb/>
ven, reine Quinten und reine große Terzen zu ho&#x0364;ren brauchet,<lb/>
und die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaft muß ein jeder haben, der das Stimmen<lb/>
zu &#x017F;einem Ge&#x017F;cha&#x0364;ft machet, indem er ohne &#x017F;elbige in allen Fa&#x0364;l-<lb/>
len ein Monochord brauchen mu&#x0364;ßte, und es i&#x017F;t annoch die<lb/>
Frage: ob, wenn &#x017F;ein Ohr keine reine Con&#x017F;onanzen zu empfin-<lb/>
den im Stande i&#x017F;t, ihm das Monochord etwas nutzen wu&#x0364;rde?<lb/>
Jch u&#x0364;bergehe, daß das Monochord &#x017F;elb&#x017F;t durch das auf ver-<lb/>
&#x017F;chiedne Art wiederholte Unter&#x017F;etzen ver&#x017F;timmet werden kann,<lb/>
und al&#x017F;o be&#x017F;ta&#x0364;ndig probiret werden muß, ob es mit dem zum<lb/>
Grunde gelegten Ton annoch u&#x0364;berein trift oder nicht. Wenn<lb/>
&#x017F;ich endlich in An&#x017F;ehung des vorigen Um&#x017F;tandes bey allen Cla-<lb/>
vierin&#x017F;trumenten u&#x0364;berhaupt die <hi rendition="#fr">Lambert&#x017F;che Stimmungs-<lb/>
methode</hi> be&#x017F;&#x017F;er als das Monochord wird gebrauchen la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o<lb/>
wird &#x017F;olche annoch be&#x017F;onders bey der Orgel deßwegen mit Vor-<lb/>
theil zu gebrauchen &#x017F;eyn, weil &#x017F;ich, nach der Bemerkung des Hrn.<lb/><hi rendition="#fr">Adlung,</hi> eine. Orgelpfeiffe nicht bequem nach einer Seyte<lb/>
&#x017F;timmen la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et; eine Bemerkung, woraus &#x017F;ich der Um&#x017F;tand<lb/>
erkla&#x0364;ren la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, warum dem beru&#x0364;hmten <hi rendition="#fr">Neidhardt</hi> die von<lb/>
&#x017F;elbigem bey der Stadtorgel zu Jena unternommne gleich&#x017F;chwe-<lb/>
bende Temperatur nicht glu&#x0364;cken wollen. Da die&#x017F;e Art von<lb/>
Temperatur nunmehr mit mehrer Sicherheit als jemals zu er-<lb/>
halten i&#x017F;t, &#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;chte ich, daß ein ge&#x017F;chickter Orgelmacher<lb/>
eine bequeme Stimmma&#x017F;chine aus Pfeiffen fu&#x0364;r &#x017F;elbige erfa&#x0364;nde,<lb/>
und fu&#x0364;r Liebhaber fertig hielte. Es ver&#x017F;tehet &#x017F;ich, daß die&#x017F;er<lb/><hi rendition="#fr">Tredekaulos</hi> nicht mit dem Munde, &#x017F;ondern durch einen<lb/>
Balg angebla&#x017F;en werden mu&#x0364;ßte, de&#x017F;&#x017F;en Gewicht be&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
einerley wa&#x0364;re.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 163.</head><lb/>
            <p>Ehe ich den Proceß der Lambert&#x017F;chen Stimmung darlege,<lb/>
wollen wir uns mit dem Grund&#x017F;atz der&#x017F;elben bekannt machen.<lb/>
Es be&#x017F;tehet aber die&#x017F;er Grund&#x017F;atz darinnen, <hi rendition="#fr">daß das Pro-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J 5</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">duct</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0157] ohne Zuziehung eines Monochords auf das ꝛc. ten und Terzen vermiſchet werden, und deswegen nicht gut ſeyn koͤnnen. Es iſt alſo ein Problem, ohne den Gebrauch des Monochords, dem Clavier eine gleichſchwebende Temperatur aufs vollkommenſte mitzutheilen. — Dieſes Problem iſt vor ſehr weniger Zeit von dem illuͤſtren Lambert aufgeloͤſet wor- den, und die Muſik kann ſtolz auf dieſe Entdeckung ſeyn. Die Methode iſt ſimpel, indem man nichts mehr als reine Octa- ven, reine Quinten und reine große Terzen zu hoͤren brauchet, und dieſe Eigenſchaft muß ein jeder haben, der das Stimmen zu ſeinem Geſchaͤft machet, indem er ohne ſelbige in allen Faͤl- len ein Monochord brauchen muͤßte, und es iſt annoch die Frage: ob, wenn ſein Ohr keine reine Conſonanzen zu empfin- den im Stande iſt, ihm das Monochord etwas nutzen wuͤrde? Jch uͤbergehe, daß das Monochord ſelbſt durch das auf ver- ſchiedne Art wiederholte Unterſetzen verſtimmet werden kann, und alſo beſtaͤndig probiret werden muß, ob es mit dem zum Grunde gelegten Ton annoch uͤberein trift oder nicht. Wenn ſich endlich in Anſehung des vorigen Umſtandes bey allen Cla- vierinſtrumenten uͤberhaupt die Lambertſche Stimmungs- methode beſſer als das Monochord wird gebrauchen laſſen, ſo wird ſolche annoch beſonders bey der Orgel deßwegen mit Vor- theil zu gebrauchen ſeyn, weil ſich, nach der Bemerkung des Hrn. Adlung, eine. Orgelpfeiffe nicht bequem nach einer Seyte ſtimmen laͤſſet; eine Bemerkung, woraus ſich der Umſtand erklaͤren laͤſſet, warum dem beruͤhmten Neidhardt die von ſelbigem bey der Stadtorgel zu Jena unternommne gleichſchwe- bende Temperatur nicht gluͤcken wollen. Da dieſe Art von Temperatur nunmehr mit mehrer Sicherheit als jemals zu er- halten iſt, ſo wuͤnſchte ich, daß ein geſchickter Orgelmacher eine bequeme Stimmmaſchine aus Pfeiffen fuͤr ſelbige erfaͤnde, und fuͤr Liebhaber fertig hielte. Es verſtehet ſich, daß dieſer Tredekaulos nicht mit dem Munde, ſondern durch einen Balg angeblaſen werden muͤßte, deſſen Gewicht beſtaͤndig einerley waͤre. §. 163. Ehe ich den Proceß der Lambertſchen Stimmung darlege, wollen wir uns mit dem Grundſatz derſelben bekannt machen. Es beſtehet aber dieſer Grundſatz darinnen, daß das Pro- duct J 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/157
Zitationshilfe: Marpurg, Friedrich Wilhelm: Versuch über die musikalische Temperatur. Breslau, 1776, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marpurg_versuch_1776/157>, abgerufen am 05.05.2024.