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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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I
Empfindungen und Aussichten
einer Mutter
.


Gott, gütigster, barmherzigster Vater, o wie ist
mein Herz deines Lobes und Preises voll!
Was empfinde ich alles, das ich nicht auszudrücken
vermag! Welche innige, lebhafte Freude durchströ-
met und beseliget mich bey dem Anblicke meines Kin-
des! Ja, nun ist alle Furcht und alle Traurigkeit
vorüber. Nun ersetzet mir der wonnevolle Mutter-
name alles reichlich, was ich zuvor gelitten und er-
duldet habe. Nun sind alle Beschwerden und alle
Bekümmernisse verschwunden, alle trübe, schreckvolle
Aussichten aufgehellet worden. Jtzt fange ich gleich-
sam aufs neue zu leben an; die schönsten, erfreulich-
sten Hoffnungen in Absicht der Zukunft öffnen sich mir
und erheben und erweitern mein Herz durch die an-
genehmsten, süssesten Vorgefühle meiner mütterlichen
Glückseligkeit.

Jch versetze mich im Geiste in die künftigen
Zeiten und stelle mir vor, wie das schwache, hülflose
Kind, welches itzt noch alles Selbstbewußtseyns be-
raubt ist, seiner Bestimmung immer näher und nä-
her kommt. Jch freue mich auf die Tage, wo es

anfan-


I
Empfindungen und Ausſichten
einer Mutter
.


Gott, gütigſter, barmherzigſter Vater, o wie iſt
mein Herz deines Lobes und Preiſes voll!
Was empfinde ich alles, das ich nicht auszudrücken
vermag! Welche innige, lebhafte Freude durchſtrö-
met und beſeliget mich bey dem Anblicke meines Kin-
des! Ja, nun iſt alle Furcht und alle Traurigkeit
vorüber. Nun erſetzet mir der wonnevolle Mutter-
name alles reichlich, was ich zuvor gelitten und er-
duldet habe. Nun ſind alle Beſchwerden und alle
Bekümmerniſſe verſchwunden, alle trübe, ſchreckvolle
Ausſichten aufgehellet worden. Jtzt fange ich gleich-
ſam aufs neue zu leben an; die ſchönſten, erfreulich-
ſten Hoffnungen in Abſicht der Zukunft öffnen ſich mir
und erheben und erweitern mein Herz durch die an-
genehmſten, ſüſſeſten Vorgefühle meiner mütterlichen
Glückſeligkeit.

Jch verſetze mich im Geiſte in die künftigen
Zeiten und ſtelle mir vor, wie das ſchwache, hülfloſe
Kind, welches itzt noch alles Selbſtbewußtſeyns be-
raubt iſt, ſeiner Beſtimmung immer näher und nä-
her kommt. Jch freue mich auf die Tage, wo es

anfan-
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[[235]/0247] I Empfindungen und Ausſichten einer Mutter. Gott, gütigſter, barmherzigſter Vater, o wie iſt mein Herz deines Lobes und Preiſes voll! Was empfinde ich alles, das ich nicht auszudrücken vermag! Welche innige, lebhafte Freude durchſtrö- met und beſeliget mich bey dem Anblicke meines Kin- des! Ja, nun iſt alle Furcht und alle Traurigkeit vorüber. Nun erſetzet mir der wonnevolle Mutter- name alles reichlich, was ich zuvor gelitten und er- duldet habe. Nun ſind alle Beſchwerden und alle Bekümmerniſſe verſchwunden, alle trübe, ſchreckvolle Ausſichten aufgehellet worden. Jtzt fange ich gleich- ſam aufs neue zu leben an; die ſchönſten, erfreulich- ſten Hoffnungen in Abſicht der Zukunft öffnen ſich mir und erheben und erweitern mein Herz durch die an- genehmſten, ſüſſeſten Vorgefühle meiner mütterlichen Glückſeligkeit. Jch verſetze mich im Geiſte in die künftigen Zeiten und ſtelle mir vor, wie das ſchwache, hülfloſe Kind, welches itzt noch alles Selbſtbewußtſeyns be- raubt iſt, ſeiner Beſtimmung immer näher und nä- her kommt. Jch freue mich auf die Tage, wo es anfan-

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. [235]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/247>, abgerufen am 23.06.2024.