Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

Bild:
<< vorherige Seite
Um Gehorsam gegen die Aeltern.


II.
Um Gehorsam gegen die Aeltern.

Gott, gütigster, huldreichster Vater, mein ganzes
Leben, so kurz es auch ist, zeuget von deiner un-
ermeßlichen Weisheit und Güte. Jeder Tag, wel-
chen ich schon zurückgelegt habe, ist ein Beweis deiner
väterlichen Fürsorge für mich. Du hast mich von gu-
ten, zärtlichen Aeltern geboren werden lassen, welchen
ich nebst dir mein Leben und meine Erhaltung zu ver-
danken habe. Du hast dieselben so genau mit mir,
und mich so fest mit ihnen verbunden, daß sie an
allen meinen Schicksalen den innigsten, thätigsten An-
theil nehmen, und daß ihr Glück und Wohlstand auch
der meinige ist. Und womit kann ich ihnen zur Zeit
ihre mir erwiesenen Wohlthaten vergelten? Was kann
ich für sie thun, die schon so viel für mich gethan ha-
ben? Womit kann ich meine Erkenntlichkeit und mei-
ne guten, dankbaren Gesinnungen gegen dieselben an
den Tag legen? Was verlangen und fordern sie selbst
in dieser Absicht von mir? -- Mein Herz läßt mich
die Antwort leicht finden: ich bin ihnen in jeder Be-
trachtung Gehorsam und Liebe schuldig.

Schwach und ohnmächtig wurde ich geboren, o
Gott; hülflos und von tausend Gefahren umringt kam
ich auf die Welt. Ich hatte unzähliche, dringende
Bedürfnisse, und konnte keines derselben befriedigen.

Ich
Um Gehorſam gegen die Aeltern.


II.
Um Gehorſam gegen die Aeltern.

Gott, gütigſter, huldreichſter Vater, mein ganzes
Leben, ſo kurz es auch iſt, zeuget von deiner un-
ermeßlichen Weisheit und Güte. Jeder Tag, wel-
chen ich ſchon zurückgelegt habe, iſt ein Beweis deiner
väterlichen Fürſorge für mich. Du haſt mich von gu-
ten, zärtlichen Aeltern geboren werden laſſen, welchen
ich nebſt dir mein Leben und meine Erhaltung zu ver-
danken habe. Du haſt dieſelben ſo genau mit mir,
und mich ſo feſt mit ihnen verbunden, daß ſie an
allen meinen Schickſalen den innigſten, thätigſten An-
theil nehmen, und daß ihr Glück und Wohlſtand auch
der meinige iſt. Und womit kann ich ihnen zur Zeit
ihre mir erwieſenen Wohlthaten vergelten? Was kann
ich für ſie thun, die ſchon ſo viel für mich gethan ha-
ben? Womit kann ich meine Erkenntlichkeit und mei-
ne guten, dankbaren Geſinnungen gegen dieſelben an
den Tag legen? Was verlangen und fordern ſie ſelbſt
in dieſer Abſicht von mir? — Mein Herz läßt mich
die Antwort leicht finden: ich bin ihnen in jeder Be-
trachtung Gehorſam und Liebe ſchuldig.

Schwach und ohnmächtig wurde ich geboren, o
Gott; hülflos und von tauſend Gefahren umringt kam
ich auf die Welt. Ich hatte unzähliche, dringende
Bedürfniſſe, und konnte keines derſelben befriedigen.

Ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0020" n="8"/>
      <fw place="top" type="header">Um Gehor&#x017F;am gegen die Aeltern.</fw><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="2">
        <head> <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Um Gehor&#x017F;am gegen die Aeltern.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in"><hi rendition="#b">G</hi></hi>ott, gütig&#x017F;ter, huldreich&#x017F;ter Vater, mein ganzes<lb/>
Leben, &#x017F;o kurz es auch i&#x017F;t, zeuget von deiner un-<lb/>
ermeßlichen Weisheit und Güte. Jeder Tag, wel-<lb/>
chen ich &#x017F;chon zurückgelegt habe, i&#x017F;t ein Beweis deiner<lb/>
väterlichen Für&#x017F;orge für mich. Du ha&#x017F;t mich von gu-<lb/>
ten, zärtlichen Aeltern geboren werden la&#x017F;&#x017F;en, welchen<lb/>
ich neb&#x017F;t dir mein Leben und meine Erhaltung zu ver-<lb/>
danken habe. Du ha&#x017F;t die&#x017F;elben &#x017F;o genau mit mir,<lb/>
und mich &#x017F;o fe&#x017F;t mit ihnen verbunden, daß &#x017F;ie an<lb/>
allen meinen Schick&#x017F;alen den innig&#x017F;ten, thätig&#x017F;ten An-<lb/>
theil nehmen, und daß ihr Glück und Wohl&#x017F;tand auch<lb/>
der meinige i&#x017F;t. Und womit kann ich ihnen zur Zeit<lb/>
ihre mir erwie&#x017F;enen Wohlthaten vergelten? Was kann<lb/>
ich für &#x017F;ie thun, die &#x017F;chon &#x017F;o viel für mich gethan ha-<lb/>
ben? Womit kann ich meine Erkenntlichkeit und mei-<lb/>
ne guten, dankbaren Ge&#x017F;innungen gegen die&#x017F;elben an<lb/>
den Tag legen? Was verlangen und fordern &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
in die&#x017F;er Ab&#x017F;icht von mir? &#x2014; Mein Herz läßt mich<lb/>
die Antwort leicht finden: ich bin ihnen in jeder Be-<lb/>
trachtung Gehor&#x017F;am und Liebe &#x017F;chuldig.</p><lb/>
        <p>Schwach und ohnmächtig wurde ich geboren, o<lb/>
Gott; hülflos und von tau&#x017F;end Gefahren umringt kam<lb/>
ich auf die Welt. Ich hatte unzähliche, dringende<lb/>
Bedürfni&#x017F;&#x017F;e, und konnte keines der&#x017F;elben befriedigen.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0020] Um Gehorſam gegen die Aeltern. II. Um Gehorſam gegen die Aeltern. Gott, gütigſter, huldreichſter Vater, mein ganzes Leben, ſo kurz es auch iſt, zeuget von deiner un- ermeßlichen Weisheit und Güte. Jeder Tag, wel- chen ich ſchon zurückgelegt habe, iſt ein Beweis deiner väterlichen Fürſorge für mich. Du haſt mich von gu- ten, zärtlichen Aeltern geboren werden laſſen, welchen ich nebſt dir mein Leben und meine Erhaltung zu ver- danken habe. Du haſt dieſelben ſo genau mit mir, und mich ſo feſt mit ihnen verbunden, daß ſie an allen meinen Schickſalen den innigſten, thätigſten An- theil nehmen, und daß ihr Glück und Wohlſtand auch der meinige iſt. Und womit kann ich ihnen zur Zeit ihre mir erwieſenen Wohlthaten vergelten? Was kann ich für ſie thun, die ſchon ſo viel für mich gethan ha- ben? Womit kann ich meine Erkenntlichkeit und mei- ne guten, dankbaren Geſinnungen gegen dieſelben an den Tag legen? Was verlangen und fordern ſie ſelbſt in dieſer Abſicht von mir? — Mein Herz läßt mich die Antwort leicht finden: ich bin ihnen in jeder Be- trachtung Gehorſam und Liebe ſchuldig. Schwach und ohnmächtig wurde ich geboren, o Gott; hülflos und von tauſend Gefahren umringt kam ich auf die Welt. Ich hatte unzähliche, dringende Bedürfniſſe, und konnte keines derſelben befriedigen. Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/20
Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/20>, abgerufen am 27.11.2024.