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Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788.

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Entsagung des Neides.
und mit ausgezeichneter Weisheit bisweilen verbun-
den sind.

Nein, so weit ich die Menschen kenne, liegen
andere Ursachen bey diesem Laster zum Grunde. We-
nigstens beneidet sich mein Geschlecht um ganz andere
Dinge und Vorzüge. Die Misgunst, die so häufig
in meinem Stande und unter jungen Personen herrscht,
wird durch die kleinsten, geringfügigsten Gegenstän-
de hervorgebracht und unterhalten. Eben die einge-
bildeten, täuschenden Vorzüge, die zum Stolze An-
laß geben, erwecken auch den Neid. Rang und Ge-
burt, Reichthum und Schönheit, Witz und Annehm-
lichkeit, dieß sind gemeiniglich die Eigenschaften, die
mit einem misgünstigen Blicke und neidischen Herzen
an andern entdeckt und betrachtet werden.

Aber nie, o Gott, nie will ich mich darüber
betrüben, wenn ich höre, daß meine Jugendfreun-
dinnen als reich gepriesen, für schön und reizend ge-
halten und ihrer Geburt wegen geehrt und hervorgezo-
gen werden. Kann ich denn durch das Gute, wel-
ches andern Menschen zu Theil wird, beleidiget wer-
den? Würden denn diese Vorzüge auf mich gefallen
seyn, wenn sie auch jene nicht besäßen? Haben sie
sich denn dieses alles selbst gegeben? Haben sie
mir etwas dadurch entzogen? Ist denn die Tugend,
die Zufriedenheit, die Glückseligkeit an die äussern
Güter gebunden? Sind diese nicht sogar in sehr vielen
Fällen ein vorzügliches Hindernis derselben? Und bist
nicht du es, o Gott, der die irrdis[ch][ - 2 Zeichen fehlen] Vorzüge nach
den Regeln der höchsten Weisheit und Güte unter die

Men-

Entſagung des Neides.
und mit ausgezeichneter Weisheit bisweilen verbun-
den ſind.

Nein, ſo weit ich die Menſchen kenne, liegen
andere Urſachen bey dieſem Laſter zum Grunde. We-
nigſtens beneidet ſich mein Geſchlecht um ganz andere
Dinge und Vorzüge. Die Misgunſt, die ſo häufig
in meinem Stande und unter jungen Perſonen herrſcht,
wird durch die kleinſten, geringfügigſten Gegenſtän-
de hervorgebracht und unterhalten. Eben die einge-
bildeten, täuſchenden Vorzüge, die zum Stolze An-
laß geben, erwecken auch den Neid. Rang und Ge-
burt, Reichthum und Schönheit, Witz und Annehm-
lichkeit, dieß ſind gemeiniglich die Eigenſchaften, die
mit einem misgünſtigen Blicke und neidiſchen Herzen
an andern entdeckt und betrachtet werden.

Aber nie, o Gott, nie will ich mich darüber
betrüben, wenn ich höre, daß meine Jugendfreun-
dinnen als reich geprieſen, für ſchön und reizend ge-
halten und ihrer Geburt wegen geehrt und hervorgezo-
gen werden. Kann ich denn durch das Gute, wel-
ches andern Menſchen zu Theil wird, beleidiget wer-
den? Würden denn dieſe Vorzüge auf mich gefallen
ſeyn, wenn ſie auch jene nicht beſäßen? Haben ſie
ſich denn dieſes alles ſelbſt gegeben? Haben ſie
mir etwas dadurch entzogen? Iſt denn die Tugend,
die Zufriedenheit, die Glückſeligkeit an die äuſſern
Güter gebunden? Sind dieſe nicht ſogar in ſehr vielen
Fällen ein vorzügliches Hindernis derſelben? Und biſt
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[138/0150] Entſagung des Neides. und mit ausgezeichneter Weisheit bisweilen verbun- den ſind. Nein, ſo weit ich die Menſchen kenne, liegen andere Urſachen bey dieſem Laſter zum Grunde. We- nigſtens beneidet ſich mein Geſchlecht um ganz andere Dinge und Vorzüge. Die Misgunſt, die ſo häufig in meinem Stande und unter jungen Perſonen herrſcht, wird durch die kleinſten, geringfügigſten Gegenſtän- de hervorgebracht und unterhalten. Eben die einge- bildeten, täuſchenden Vorzüge, die zum Stolze An- laß geben, erwecken auch den Neid. Rang und Ge- burt, Reichthum und Schönheit, Witz und Annehm- lichkeit, dieß ſind gemeiniglich die Eigenſchaften, die mit einem misgünſtigen Blicke und neidiſchen Herzen an andern entdeckt und betrachtet werden. Aber nie, o Gott, nie will ich mich darüber betrüben, wenn ich höre, daß meine Jugendfreun- dinnen als reich geprieſen, für ſchön und reizend ge- halten und ihrer Geburt wegen geehrt und hervorgezo- gen werden. Kann ich denn durch das Gute, wel- ches andern Menſchen zu Theil wird, beleidiget wer- den? Würden denn dieſe Vorzüge auf mich gefallen ſeyn, wenn ſie auch jene nicht beſäßen? Haben ſie ſich denn dieſes alles ſelbſt gegeben? Haben ſie mir etwas dadurch entzogen? Iſt denn die Tugend, die Zufriedenheit, die Glückſeligkeit an die äuſſern Güter gebunden? Sind dieſe nicht ſogar in ſehr vielen Fällen ein vorzügliches Hindernis derſelben? Und biſt nicht du es, o Gott, der die irrdiſch__ Vorzüge nach den Regeln der höchſten Weisheit und Güte unter die Men-

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Zitationshilfe: Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/150>, abgerufen am 24.11.2024.